Aus dem Giftschrank der Hochschule für Grafik und Buchkunst
Die Leipziger Fotografin Christiane Eisler porträtiert in ihrem Bildband »Wutanfall« die Punk-Bewegung in der DDR
Punks in der DDR - es gab sie, wenn es auch wenige waren, ein paar Hundert vielleicht. Alle jung, zwischen 15 und 20 Jahre alt. Als Hochburg galten Berlin und Leipzig, aber auch Dresden und Weimar. Die Leipziger Fotografin Christiane Eisler (59) hat jetzt im Eigenverlag einen opulenten Bildband herausgebracht mit fast 500 Fotos, viele zuvor unveröffentlicht und mit Texten der Protagonisten. Das Dokument einer wenig erforschten Jugendbewegung in der DDR.
»Chaos«, eigentlich Jürgen Gutjahr, Jahrgang 1964, war als Sänger der Untergrund-Band »Wutanfall« damals einer der bekanntesten Punks. Wer derart anders sein wollte, musste Mut haben, sich was trauen. Die Staatssicherheit setzte »Chaos« besonders zu. Er wurde, sagt er, brutal zusammengeschlagen, hörte als Sänger von »Wutanfall« 1984 auf, stellte im gleichen Jahr einen Ausreiseantrag. Heute lebt der gelernte Bautischler in Berlin als IT-Spezialist. »Rotz«, eigentlich Uwe Plociennik, lernte Werkzeugmacher, er hatte die Haarspitzen blond gefärbt, trug die Haare »stehend«. Als er deswegen keine Fahrerlaubnis machen sollte, gingen seine Eltern zu seiner Berufsschule: »So geht das nicht, das ist Diskriminierung.« »Rotz« durfte die Prüfung dann doch ablegen. Bernd Stracke, der nach dem Ausscheiden von »Chaos« nachfolgende Sänger von »Wutanfall«, wurde nach einer Kerzendemo 1983 festgenommen und drei Jahre später durch die Bundesregierung freigekauft.
Auch in der DDR revoltierten Jugendliche, die Punk-Bewegung war Ausdruck dafür. Die Obrigkeit sah die jungen Leute mit ihren verrückten Frisuren und den ausgefallenen Klamotten mit Misstrauen. Entsprechend wurden sie überwacht.
Christiane Eisler, die eigentlich aus Berlin stammt, erzählt: »Ich studierte damals an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig, das war für DDR-Verhältnisse ein relativ liberaler Ort.« Sie war auf der Suche, hatte viele Fragen, war neugierig. Die Verantwortlichen der Hochschule hielten ihre schützende Hand über die Studentinnen und Studenten, so konnte Christiane Eisler, die damals Mitte zwanzig war, 1983 ihre fotografische Abschlussarbeit über die Punk-Bewegung machen. Titel: »Ich trage ein Herz mit mir herum«.
Kennengelernt hatte die Studentin die Punks, weil sie im Leipziger Seeburg-Viertel Nachbarn waren: Abgewetzte Gestalten in Lederklamotten, leicht muffig und nach Alkohol und Zigaretten riechend. Sie hatte die Protagonisten gefunden, die sie suchte. Und die Punks bekamen die Aufmerksamkeit, die sie begehrten. Über die Jahre hat Eisler viele der Punks begleitet, zu einigen wie zu »Chaos« riss der Kontakt nie ab. Weitere Fotos entstanden, von ehemaligen Punks, die im Erwachsenen-Leben angekommen waren. Oft sind sie auch heute eher unangepasst, manche sind von den Erfahrungen und Ereignissen von damals geprägt. Zum Beispiel Jana und Mita, zwei Mädels aus Berlin. Mädchen gab es nur wenige bei den Punks. Das Unangepasste, Revoltierende war eher ein Jungs-Ding. Punks wurden in der Straßenbahn angestarrt, auf Arbeit häufig gemobbt, manchmal beschimpft. Viele zahlten für ihr Anderssein einen hohen Preis, viele stellten einen Ausreiseantrag.
Als Eisler einen Verlag für ihr Buchprojekt suchte, stieß sie schnell an Grenzen: »Ich hatte genaue Vorstellungen, wollte zum Beispiel aufklappbare Seiten, um die Entwicklung meiner Protagonisten nachvollziehbar zu machen.« Doch so etwas ist teuer. Der Verlag wollte allein entscheiden. So entschloss sich die Fotografin, das Buch selbst zu finanzieren und startete bei der Leipziger Internet-Firma visionbakery eine Crowdfunding-Kampagne: Man stellt das Projekt vor, und wer will, gibt Geld. Insgesamt 435 Unterstützer taten es und gaben 31 481 Euro. Ein großer Erfolg.
Seit April 2017 ist der Bildband mit 316 Seiten als Katalog in Klapp-Edition auf dem Markt. Neben dem eigentlichen Buch gibt es auch eine »Art Edition« in einer kleinen Auflage von 200 Büchern, die fast ausverkauft ist. Für Christiane Eisler, die übrigens selbst kein Punk war, ist das Projekt eine Herzensangelegenheit. Viele Punks lebten in den Tag hinein. Man fuhr nach Berlin, im Kulturpark Plänterwald war der zen- trale Treff für alle Punks. Man machte Mugge, hörte Musik, tanzte. Manche wie Bernd Stracke, der zweite Sänger von »Wutanfall«, landeten im Gefängnis, Mädchen kamen in den Jugendwerkhof. Eisler fotografierte auch dort. Im Jugendwerkhof in Crimmitschau sollten 160 Mädchen zu sozialistischen Persönlichkeiten erzogen werden.
Die Verteidigung der Diplomarbeit von Christiane Eisler fand 1983 unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, die Arbeit selbst verschwand im Giftschrank der Hochschule. Zahlreiche ihrer Ausstellungen mit Fotos der Punks wurden in den folgenden Monaten und Jahren verboten und abgehängt.
Das Buch »Wutanfall« von Christiane Eisler ist gedacht als Katalog zur gleichnamigen Ausstellung, die in mehreren Städten zu sehen sein wird. Informationen im Internet unter: www.transit.de
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