Die Zunge an der Glyphosat-Waage

EU-Zulassung des Pestizids wird um fünf Jahre verlängert - Alleingang des deutschen Agrarministers entscheidend

Kurz vor Toresschluss einigten sie sich doch noch: Die Zulassung des umstrittenen Unkrautvernichtungsmittels Glyphosat in der EU wird um fünf Jahre verlängert. 18 der 28 EU-Staaten, darunter Deutschland, stimmten für den Vorschlag der EU-Kommission, neun votierten dagegen.

Die Beratungen erfolgten im Ständigen Ausschuss für Pflanzen, Tiere, Lebensmittel und Futtermittel, der aus entsandten Fachleuten der EU-Mitgliedsländer besteht. Das Meinungsbild war höchst unterschiedlich: Einige Staaten wollten das Mittel aus Gesundheits- und Umweltschutzgründen möglichst schnell aus dem Verkehr ziehen, andere Länder mit großer konventioneller Landwirtschaft waren für eine langfristige Weiterzulassung. Im Ständigen Ausschuss braucht es aber eine qualifizierte Mehrheit für eine Entscheidung - demnach müssen mindestens 16 Staaten zustimmen, die für 65 Prozent der EU-Bevölkerung stehen.

Deutschland als größtes Mitglied war daher das Zünglein, wenn nicht gar die Zunge an der Waage. Wegen der kontroversen Positionen von CSU-Landwirtschaftsminister Christian Schmidt und SPD-Umweltministerin Barbara Hendricks enthielt sich Deutschland bisher immer. Nun aber stimmte Schmidt im Alleingang zu.

Dies sorgte für heftige Reaktionen: Als »instinktlos und skandalös« bezeichnete der Grünen-Europaabgeordnete Martin Häusling das Verhalten des Ministers. »Die Entscheidung hat Europa dem desolaten Zustand der Regierungsbildung in Deutschland zu verdanken. Das Umschwenken liefert uns einen Vorgeschmack auf die künftigen Machtverhältnisse in Berlin«, sagte er mit Blick auf die womöglich anstehenden Koalitionsverhandlungen zwischen CDU, CSU und SPD.

Der Ärger ist verständlich: Glyphosat steht zumindest unter dem Verdacht, krebserregend zu sein. Der einst vom US-Agrarchemiekonzern Monsanto entwickelte Wirkstoff gehört seit Langem zu den meistverwendeten Pestiziden in der europäischen Landwirtschaft. Allerdings gilt er mittlerweile als überholt, es gibt ungefährlichere Alternativen. Die Entscheidung der fünfjährigen Weiterzulassung nutzt vor allem dem deutschen Bayer-Konzern, der dabei ist, Monsanto zu übernehmen.

Die bisherige Genehmigung läuft am 15. Dezember aus. In jedem Fall hätte abschließend die EU-Kommission die Entscheidung getroffen - die Verlängerung um fünf Jahre dürfte jetzt reine Formsache sein. Brüssel selbst brachte den Kompromissvorschlag, nachdem die EU-Behörde zuvor eine zehnjährige Verlängerung vorgeschlagen hatte, wofür es aber nie die erforderliche Mehrheit gab.

In Deutschland sorgte die Entscheidung für schwarz-roten Koalitionsknatsch: Umweltministerin Hendricks warf ihrem CSU-Kollegen Schmidt Vertrauensbruch vor. Sie habe diesem noch zwei Stunden vor der Sitzung am Montag erklärt, »mit einer Verlängerung der Zulassung von Glyphosat weiterhin nicht einverstanden« zu sein. Knapp 40 Minuten später habe Schmidt per SMS bestätigt, dass der Dissens zwischen beiden Ministerien bestehen bleibe. Der CSU-Politiker rechtfertigte sein Abstimmungsverhalten damit, dass die EU-Kommission ohnehin die Weiterzulassung beschlossen hätte. Deutschland habe »wichtige Bedingungen durchsetzen« können wie die »Stärkung der Rolle von Biodiversität und Tierschutz« und eine Überprüfung der Genehmigungsverfahren. National werde man zusätzliche Maßnahmen im Sinne restriktiverer Anwendungen ergreifen, versprach Schmidt.

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