Die Frau des Kalifen

Ken Bugul hinterfragt europäische Normen

  • Manfred Loimeier
  • Lesedauer: 3 Min.

Nur ein sandiger Weg führt von dem Haus einer afrikanischen Familie zu dem stattlichen Gut des lokalen Herrschers. Eine junge Frau, die Protagonistin dieses Romans, geht diesen sandigen Weg, um sich dem Herrscher, einem religiösen Führer und Weisen, zur Frau zu geben. Das sorgt für Erstaunen und Verwirrung. Erstaunen, weil man sich gewöhnlich nicht selbst zum Geschenk macht, und Verwirrung, weil damit zu den vielen Frauen dieses polygam lebenden Mannes eine neue Konkurrentin hinzutritt. Und außerdem ist der fromme Herr in einem Alter, dass er der Großvater der jungen Frau sein könnte. Was also will sie dort?

»Riwan oder der Sandweg« heißt dieser Roman der senegalesischen Autorin Ken Bugul, der unter anderem mit dem Großen Literaturpreis Schwarzafrikas ausgezeichnet wurde - immerhin einer der renommiertesten Preise für französischsprachige afrikanische Literatur. Riwan ist aber nicht etwa der Name der Protagonistin, die in den USA studiert hat, die emanzipiert lebt und westlich orientiert ist. Riwan heißt ein junger Mann, der als Außenseiter Aufnahme im Hof des Herrschers findet. Er ist so etwas wie der männliche Gegenpart zur weiblichen Hauptfigur und kann sich auf dem Anwesen ebenso frei bewegen wie die junge Frau. Wie sie genießt er die Freiheit zu bleiben. Und diese Freiheit ist ein Privileg, denn für gewöhnlich leben die Frauen des Herrschers in einem abgeschlossenen Hof, einem Harem.

Die Autorin Ken Bugul hat nach ihrer Rückkehr aus Europa in den 1980er Jahren selbst eine enge Beziehung zu einem Kalifen in Senegal geführt, der sie als seine Frau betrachtete. Bei ihm fand Bugul die Geborgenheit, die sie in Europa vermisste. So ergeht es auch ihrer Romanheldin, die Liebe findet, Zuneigung und Zärtlichkeit sowie Toleranz und eine bis dahin nicht gekannte Leidenschaft. Der erfahrene Mann ist ein kundiger Liebhaber, der ihren Körper zum Klingen und ihre Gefühle zum Schwingen bringt.

Doch geht es Bugul mit diesem Roman nicht um eine Autobiografie, sondern um die Verteidigung weiblicher Lebensentwürfe. Um das Recht der Frauen, wider alle Erwartungen und vermeintliche Vernunft entscheiden zu dürfen, wie sie leben wollen - frei auch von westlichen Vorstellungen von Freiheit und Selbstbestimmung. Dabei verklärt Bugul nichts, denn sie schildert gleichermaßen und sehr eindringlich die Rivalitäten unter den Frauen, ihre Feindseligkeiten und Intrigen, ihre Isolation, ihre unerfüllten Sehnsüchte und heimlichen Fluchten. Dennoch löste der Roman nach seinem Erscheinen in Frankreich heftige Diskussionen aus. Bugul stellt europäische Normen auf den Kopf, hinterfragt vermeintliche Selbstverständlichkeiten und betont das Recht, nach eigenem Gutdünken entscheiden zu dürfen. Politisch korrekt ist dieser Roman nicht.

Buguls Roman ist aber nicht nur seines Themas wegen provokant, sondern auch wegen seiner Form der Prosa. Die Autorin arbeitet mit mehreren Erzählerinnenstimmen, mehreren zeitlich versetzten Handlungssträngen, sie integriert persönliche Ansprache und politische Kommentare. Und als typische Elemente mündlichen afrikanischen Erzählens kommen Rhythmik und wiederkehrende Sprachmuster dazu, sodass definitiv klar wird: Ken Bugul eignet sich das Genre des europäischen Romans an und formt daraus ein eigenes Stück Literatur.

Ken Bugul: Riwan oder der Sandweg. Aus dem Französischen von Jutta Himmelreich. AfricAvenir, 191 S., geb., 14,90 €.

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