Kein einfacher, aber ein gangbarer Weg

Sterbefasten kann ein selbstbestimmtes Ende ohne Qualen möglich machen - dazu ist Unterstützung und Akzeptanz nötig

  • Ulrike Henning
  • Lesedauer: 4 Min.

Über Sterbehilfe, assistierten Suizid und die rechtlichen Einwände sowie moralischen Bedenken dagegen gibt es jede Menge Diskussionen. Dabei blieb das Sterbefasten bisher unter dem öffentlichen Radar. Dennoch liegen dazu schon Erfahrungen vor, von denen in wenigen, stark nachgefragten Publikationen berichtet wird.

Sterbefasten ist eine Form des Abschieds, für die sich Menschen freiverantwortlich und bei klarem Bewusstsein entscheiden. Mit einer guten pflegerischen Begleitung und ausreichend Zuwendung scheint es ein fast einfacher Weg zum Tode zu sein. Dennoch sind bei diesem »freiwilligen Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit« einige wichtige Punkte zu beachten.

Was das Sterbefasten von anderen Suizidformen unterscheidet, ist das im Vergleich sanfte Vorgehen, das aber einen festen Entschluss voraussetzt. Da es zu keiner lebensverkürzenden Einwirkung von außen kommt, könnte auf dem Totenschein ein »natürlicher Tod« vermerkt werden. Physiologisch handelt es sich um ein akutes Nierenversagen, das durch den Flüssigkeitsmangel eintritt. Letzteres bewirkt, dass der Mensch dabei immer schläfriger wird.

Bei den letzten physischen Bedürfnissen spielt die Mundpflege die wichtigste Rolle. Da der Körper keine Flüssigkeit mehr erhält, entwickelt sich ein mehr oder weniger starkes Durstgefühl. Dagegen lässt sich mit ständiger Mundbefeuchtung angehen. Dies kann der immer schwächer werdende Sterbende in den letzten Tagen nicht allein leisten. Hier ist praktische Hilfe von Angehörigen oder Ehrenamtlichen gefragt, von Pflegekräften ist dies kaum zu schaffen. Nur noch wenige Medikamente kommen zum Einsatz: Schmerzmittel, vielleicht Beruhigungs- und Schlafmittel.

Christiane zur Nieden beschreibt in ihrem Buch ausführlich den Fall ihrer eigenen Mutter, die sich auch ohne eine schwere Erkrankung zum Sterben entschloss. Von Beginn des Fastens bis zum Tod dauerte es dreizehn Tage. Die Bedingungen waren schon dadurch gut, dass zur Nieden selbst viele Jahre als Sterbe- und Trauerbegleiterin tätig war. Mit Schwester und Tochter wechselte sie sich bei der Versorgung der Mutter ab. Auch ihr Ehemann als Palliativmediziner war eine Hilfe. Dennoch zeigten sich selbst unter diesen guten Bedingungen neue Fragen, bis dahin, etwa bei einem längeren Verlauf für eine Dekubitusmatratze zu sorgen, damit die geschwächte Patientin keine unnötigen Schmerzen durch Druckgeschwüre erleidet.

Durch das zugewandte Umfeld und die gute Organisation hatte zur Niedens Mutter kaum Schmerzen, weder war ihr übel noch wirkte sie ängstlich. Was sie in diesen Tagen brauchte, wurde ihr geboten und auch von ihr selbst gelebt: »eine Mischung aus Ruhe und Unterhaltung, aus Sich-Mitteilen und Zuhören, Ablenkung und Insichgehen, freudigen und melancholischen Momenten.« Weil der Körper nicht mehr durch die Nahrungsaufnahme und anderen Stress belastet sei, bleibe nun Zeit und Raum zur »Besinnung auf sich selbst und die Begleiter«.

Sehr wichtig für ein gelungenes Sterbefasten ist die Kommunikation. Das Reden über Tod und Sterben sollte zwischen einander vertrauten Menschen schon lange vor der Entscheidung zu diesem Schritt beginnen. Der offene Austausch von Argumenten, Bedürfnissen und Ansichten zu dem Thema kann es den Weiterlebenden erleichtern, die Entscheidung zu akzeptieren und sie praktisch zu unterstützen. Christiane zur Nieden ermutigt die Leser, keine Angst vor einer solchen Entscheidung eines Angehörigen zu haben. Die Mundpflege ließe sich leicht erlernen, die Einfühlung in letzte Bedürfnisse eines nahen Menschen sollte ohne spezielle Ausbildung möglich sein. Das Geben und Nehmen kann in dieser Lebensphase durchaus gegenseitig sein.

Jedoch gibt es bei vielen Sterbewilligen widersprüchliche Gefühle, die aus dem tiefsten Inneren kommen: Einerseits das Leben beenden wollen und andererseits an den guten Dingen dabei weiter festhalten zu wollen. Da es sich um einen Prozess von mehreren Tagen bis hin zu einigen Wochen handeln kann, besteht am Anfang auch noch die Möglichkeit, das Fasten abzubrechen. Auch dies ist zu respektieren.

In dem schon in fünfter Auflage vorliegenden Band des Psychiaters Boudewijn Chabot und des Neurobiologen Christian Walther sind eingangs gleich vier verschiedene Fälle und Verläufe des Sterbefastens aus den Niederlanden vorgestellt. Sie sind nicht in dem Sinne ideal, wie es zur Nieden zeigen konnte, aber gerade deshalb lehrreich. Im Anschluss werden ausführliche Informationen zu den Vorgängen im Stoffwechsel und die nötigen Hilfsleistungen erläutert. Genügend Platz gibt es sowohl für rechtliche als auch für ethische Aspekte, darunter moralische Fragen, die sich allen Beteiligten stellen können, etwa die nach Gründen für die Entscheidung oder nach den Interessen Angehöriger.

Christiane zur Nieden: Sterbefasten. Mabuse-Verlag, 179 Seiten, 19,95 €.

Boudewijn Chabot, Christian Walther: Ausweg am Lebensende. Ernst Reinhardt Verlag. 200 Seiten, 19,90 €.

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