Freihandelsabkommen im Endspurt

Dokumente des Abkommens zwischen EU und Mercosur-Staaten geleakt

  • Andreas Behn, Buenos Aires
  • Lesedauer: 3 Min.

Jahrelang dümpelten die Freihandelsverhandlungen zwischen dem Gemeinsamen Markt Südamerikas, Mercosur, und der Europäischen Union vor sich hin. Jetzt stehen sie womöglich kurz vor dem Abschluss. Aus Verhandlerkreisen verlautete, ein Freihandelsabkommen zwischen den beiden Wirtschaftsblöcken könnte noch während der Ministerkonferenz der Welthandelsorganisation WTO vom 10. bis 13. Dezember in Buenos Aires unterzeichnet werden.

Wieder wurden wichtige Fragen der Wirtschaftspolitik und Richtlinien für internationalen Handel offenbar hinter dem Rücken der Bevölkerung ausgehandelt - denn es war ein Leak, eine nicht genehmigte Veröffentlichung interner Diskussionsdokumente im Internet, der Ende vergangener Woche publik machte, wie weit die Gespräche bereits fortgeschritten sind. Und dass zumindest im Agrarbereich Einigungen erzielt wurden, die Umweltschützer und Menschenrechtler sofort in Rage versetzten: Dabei geht es um Exportgarantien für die umstrittene industrielle Landwirtschaft in Südamerika, die für Abholzung im großen Stil, Umweltsünden aller Art und für die gewaltsame Vertreibung von Indigenen und Kleinbauern verantwortlich gemacht wird.

Lesen Sie hier die geleakten Dokumente der Mercosur-Leaks

Das enorme Tempo am Verhandlungstisch von EU und Mercosur hat seinen Grund in den veränderten politischen Rahmenbedingungen. Zum einen brachte der abrupte Paradigmenwechsel der USA unter Donald Trump hin zu protektionistischer Rhetorik beide Regionen in Zugzwang und zur Suche nach neuen Handelspartnern. Zum anderen hat der radikale Rechtsruck in den beiden wichtigsten Mercosurstaaten Brasilien und Argentinien die Freihandelsampel auf wohlwollendes Entgegenkommen umgeschaltet. Zwar waren auch die vorherigen Mitte-Links-Regierungen durchaus freihandelsorientiert, aber sie beharrten auf den nationalen Interessen und ließen sich nicht ohne weiteres über den Tisch ziehen. Die jetzigen neoliberalen Regierungen beider Länder setzen auf Auslandsinvestitionen um jeden Preis und den Rückbau staatlichen Einflusses auf die Wirtschaft, so dass einem Freihandelsabkommen nach Gusto der EU nicht mehr viel im Wege steht.

Im Wesentlichen geht es in dem Abkommen um die Festschreibung althergebrachter Handelsstrukturen. Die EU will die Exporte ihrer Industrieprodukte gen Süden steigern, während der Mercosur - zu dem nach dem Rausschmiss Venezuelas noch Paraguay und Uruguay gehören - mineralische und fossile Rohstoffe und landwirtschaftliche Produkte in die Waagschale legen wird. Ein guter Deal für die europäische Industrie und auch die Agrarkonzerne im Süden, die mit Monokulturen, dem Anbau von Genmais und -soja, dem Export von billigen Futtermitteln sowie immer größeren Viehbeständen enorme Gewinne machen. Nur die Menschen in den Staaten des Mercosur werden davon kaum profitieren: Das Agrobusiness schafft kaum Arbeitsplätze, zahlt trotz Milliardensubventionen nur wenig Steuern und ist klima- wie umweltpolitisch kaum zu verantworten. Das voraussichtliche Abkommen mit der EU festigt also sogar noch die im Zuge der Wirtschaftskrise beispielsweise in Brasilien eingesetzte Deindustrialisierung und verbaut auch in der Zukunft Chancen auf eine eigenständige, nicht vom Export von Rohstoffen abhängige Entwicklung.

Lesen Sie hier die geleakten Dokumente der Mercosur-Leaks

Unklar ist trotz der geleakten Dokumente, wie weit die EU den Interessen der Agrarlobby im Mercosur entgegengekommen ist. Frankreich und andere EU-Staaten wollen ihre heimische Landwirtschaft schützen und haben damit in der Vergangenheit ein Abkommen stets blockiert. Umwelt- und Verbraucherschützer schlugen jedoch bereits Alarm und kritisieren, dass ohne eingehende Kontrollen jetzt mehr Fleisch sogar aus Brasilien importiert werden soll, obwohl dort erst dieses Jahr ein Gammelfleischskandal aufgeflogen ist. Es sei ein Skandal und ein Schlag ins Gesicht von Erzeugern und Verbraucher, was die EU-Kommission klammheimlich mit Brasilien und anderen südamerikanischen Ländern verhandle, erklärte Martin Häusling, agrarpolitischer Sprecher der Grünenfraktion im Europäischen Parlament: »Werden diese Texte einmal Vertrag, dann heißt es freie Fahrt für Gentech-Soja und andere mit Pestiziden hochbelastete Rohstoffe, Agro-Treibstoffe aus zweifelhaften Quellen sowie Tonnagen von Hormon- und Gammelfleisch.«

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