Sabotage an der Demokratie-Meile

Absehbare Teilnahme der AfD stellt Magdeburger Protestaktion in Frage

  • Hendrik Lasch, Magdeburg
  • Lesedauer: 5 Min.

Das Papier drückt sich eigentlich nicht vor klaren Ansagen. Magdeburg sei eine Stadt, in der Menschen »unabhängig von Herkunft, Religion, Aufenthaltsstatus, sexueller Orientierung« friedlich zusammen leben, heißt es im Aufruf für die 10. »Meile der Demokratie«, die am 20. Januar 2018 in der Landeshauptstadt Sachsen-Anhalts stattfinden soll. Anlässlich des vier Tage zuvor begangenen 73. Jahrestags der Zerstörung der Stadt im II. Weltkrieg solle bekundet werden, dass »Ausgrenzung und Nationalismus« keinen Platz in Magdeburg hätten. Das sei, so wird betont, gerade in Zeiten »populistischer Vereinfachung« wichtig.

Solche Formulierungen richten sich deutlich auch gegen Positionen der AfD. Diese hatte dennoch kein Problem damit, die Aussagen zu unterschreiben – und darf nun, wie Dutzende andere Parteien, Gewerkschaften, Wohlfahrtsverbände und Vereine, bei der Aktion mitmischen. »Wenn die AfD den Aufruf zur Meile der Demokratie unterzeichnet, dann kann sie auch teilnehmen«, sagte Holger Platz (SPD), der zuständige Beigeordnete im Magdeburger Rathaus, der »Volksstimme«. Dem Vernehmen nach sind zwei riesige Infostände des Kreisverbandes und der Landtagsfraktion geplant. Rechtlich, räumt die Linksabgeordnete und Juristin Eva von Angern ein, »gibt es keine andere Möglichkeit«.

Die Stände der AfD haben freilich das Zeug, die Meile zu sprengen. Mit dem Verein »Miteinander e.V.« hat ein wichtiger Vertreter der Demokratiebildung in Sachsen-Anhalt bereits den Rückzug in Aussicht gestellt. Die Meile sei entstanden als »öffentliches Zeichen gegen Rechtsextremismus, Menschenverachtung und Geschichtsrevisionismus«, sagt Geschäftsführer Pascal Begrich. Sie sei auch eine Kundgebung »für eine plurale und offene Gesellschaft«. Die AfD, die bei der Wahl des Landtags 2016 mehr als 25 Prozent der Stimmen erhielt, zeige mit vielen ihrer dortigen Anträge und mit vielen öffentlichen Äußerungen, »dass sie mit dieser Programmatik nicht übereinstimmt«. Teile ihres Personals hätten einst sogar an den Naziaufmärschen teilgenommen, gegen die sich die Meile richtete. Wenn die AfD am 20. Januar tatsächlich Flagge zeigen kann, würde das »den Charakter der Meile grundlegend ändern« – und, fügt Begrich an, »Miteinander e.V.« würde nicht teilnehmen.

Der Verein steht damit nicht allein. Mit einer Teilnahme der AfD würde »die Meile obsolet«, sagt Robert Fietzke, Sprecher des Bündnisses »BlockMD«. Er erinnert etwa an Äußerungen von André Poggenburg, dem Fraktionschef der AfD im Landtag, der von der »Volksgemeinschaft« fabulierte und AfD-kritische Studenten als »Geschwür am deutschen Volkskörper« bezeichnete: »Soll so einer dann etwa neben dem Oberbürgermeister auf der Bühne stehen?!« Eine Partei, die »die Demokratie so offen verachtet«, sagt Fietzke, habe auf einer solchen Veranstaltung »nichts zu suchen«.

Die Meile, die in zurückliegenden Jahren bis zu 10.000 Menschen auf den Breiten Weg unweit des Magdeburger Doms zog, war in der Stadt nie unumstritten. Ihr ursprüngliches Anliegen war es, einen zentralen Platz in der Stadt für den Neonazi-Aufmarsch zu versperren; zugleich aber sollte sie auch Menschen ein Bekenntnis zu Weltoffenheit und Toleranz ermöglichen, die sich zur Teilnahme an politisch eindeutigeren Demonstrationen oder gar Blockaden nicht durchringen konnten. Kritiker sprachen indes abfällig von »Bratwurst-Antifaschismus«. Als »niedrigschwellige Form bürgerlichen Protests« sei die Meile dennoch »wichtig und richtig«, sagt Fietzke. Mit Aktionsformen wie den in der Stadt verteilten »Meilensteinen« unterstützte sie zuletzt zudem die Blockadebündnisse.

Nun freilich steht die Meile selbst vor einer Blockade. Viele Organisationen überlegen, ob sie dem Schritt von »Miteinander e.V.« folgen sollen. Ein Organisationstreffen in der vergangenen Woche drehte sich fast ausschließlich um das AfD-Problem; erwogen wurde etwa eine Verschärfung des Aufrufs. Fietzke hielte das für wirkungslos: »Die würden alles unterschreiben.« Die AfD selbst teilte süffisant mit, derlei Versuche widersprächen ihrem Demokratieverständnis. »Wir freuen uns weiterhin auf die Teilnahme«, sagte Ronny Kumpf, der Magdeburger Kreischef.

Für den 20. Januar droht damit ein höchst unerquickliches Szenario. Die Reihen der langjährigen Teilnehmer könnten sich erheblich lichten; die mediale Aufmerksamkeit dürfte sich auf die Stände der AfD und den Protest dagegen konzentrieren, den zu organisieren man etwa bei »BlockMD« fest entschlossen ist. Fietzke erwartet für die Meile einen »Erosionsprozess«. Und auch Eva von Angern, die sich seit Anbeginn für die Veranstaltung engagierte, beschleicht die Ahnung, dass die Meile von 2018 »die letzte in dieser Form« gewesen sein könnte. Sie räumt ein, dass die AfD das als Erfolg verbuchen dürfte.

Wie aber soll es weitergehen? Die Meile dürfe nicht einschlafen, müsse sich aber neu erfinden, sagt die Landtagsabgeordnete von Angern: »Wir brauchen Veranstaltungsideen und -formen, die sich klar von Rechtspopulismus distanzieren.« Auch Robert Fietzke hofft auf einen Neustart und eine Veranstaltung, mit der »der Demokratiebegriff nicht noch weiter entkernt wird«. Dafür dürfte es unter anderem nötig sein, die Federführung nicht bei der Stadt zu belassen, weil dann die AfD kaum auszuschließen sei. Fietzke setzt auf eine zivilgesellschaftlich organisierte Veranstaltung – eine Art »Meile von unten«.

Die Suche nach einem neuen Konzept dürfte nicht einfach werden – nicht zuletzt, weil für die Diskussion darüber zunächst ganz schlicht ein passender Raum gefunden werden muss; bei den formalen Organisationstreffen der Meile sitzt die AfD schließlich mit am Tisch. Es ist freilich eine Debatte, die unausweichlich ist, auch, weil ähnliche Probleme inzwischen viele Gremien und Einrichtungen im Land treffen. Fietzke weist darauf hin, dass etwa beim »Runden Tisch gegen Ausländerfeindlichkeit« in Sachsen-Anhalt die AfD ebenfalls bereits Präsenz zeigte. Nach Ansicht des »BlockMD«-Sprechers stellt sich für derlei Institutionen damit »per se die Frage, ob sie noch geeignet sind, bestimmte gesellschaftliche Fragen zu thematisieren«. Bei der AfD dürfte man indes frohlocken. Schließlich sind in Magdeburg viele überzeugt, dass es der Partei nicht nur bei der Meile der Demokratie weniger um Präsenz geht als vielmehr um »gezielte Sabotage«.

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