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Die Bürger und die Einheitskasse
SPD kürt das Thema Bürgerversicherung zu einem zentralen Zankapfel der bevorstehenden Groko-Verhandlungen
Der Berliner SPD-Parteitag hat das Thema Bürgerversicherung zu einem zentralen Zankapfel der bevorstehenden Groko-Verhandlungen gekürt. Die Union ist strikt dagegen. Vor dem Gespräch von Union und SPD zur möglichen Regierungsbildung hat sich der Streit verschärft. CSU-Chef und Ex-Gesundheitsminister Horst Seehofer hat dem Modell eine klare Absage erteilt: Er sehe nicht, »wie man die Bürgerversicherung so umsetzen kann, dass sie nicht für große Ungerechtigkeiten sorgt«.
In die von der SPD vorgeschlagene Einheitskasse sollen auch Beamte und Selbstständige einzahlen. Dies würde langfristig das Nebeneinander von gesetzlicher und privater Krankenversicherung beenden. Ein Scheitern der Verhandlungen dürfte nur dann zu verhindern sein, wenn die Union unterhalb der Schwelle eines kompletten Systemwechsels auf andere Weise dazu beiträgt, dass das Gefälle in der medizinischen Behandlung von gesetzlich und privat Versicherten abgebaut wird.
Bei der Bürgerversicherung gibt es jedenfalls noch ungeklärte Fragen. Zum Beispiel: Was geschieht mit den 49 Unternehmen der privaten Krankenversicherung und ihren 68 000 Beschäftigten? Was passiert mit den 233 Milliarden Euro an Alterungsrückstellungen der privaten Krankenversicherung? Es fehlt immer noch ein klares Konzept zu diesem Thema.
Der Einheitskassenvorschlag von SPD, Grünen und Linkspartei sieht vor, ein einheitliches Leistungsrecht für privat und gesetzlich Versicherte zu schaffen und zugleich eine Pflichtmitgliedschaft für alle Bürger - auch für solche, die bisher nicht versichert sind. Durch eine Nivellierung des Leistungsangebots will die SPD die »Zwei-Klassen-Medizin« beseitigen. Die Unterschiede in der Leistung für gesetzlich und privat Versicherte sollen also abgebaut werden. Beispiele für die Zwei-Klassen-Medizin sind zum Beispiel die unterschiedlichen Wartezeiten für einen Besuch beim Facharzt, Ein-Bett- statt Drei-Bett-Zimmer in der Klinik, exklusive Chefarztvisite und Kostenerstattung bei der Behandlung mit alternativen Heilmethoden.
Die Reformgegner sind zahlreich. So ist es für niedergelassene Ärzte allemal lukrativer, Privatpatienten zu behandeln. Erlaubt ihre Gebührenordnung doch, ein Mehrfaches der Grundpauschale abzurechnen.
Den 49 Unternehmen der Privatkassenbranche droht je nach Ausgestaltung der Bürgerversicherung das wirtschaftliche Aus. Zwar verfügt die private Krankenversicherung bereits über einen »Basistarif«, der auf die Gesetzeslage der gesetzlichen Krankenversicherung zugeschnitten ist. Das Billigangebot wird jedoch kaum angenommen - von den neun Millionen privat Vollversicherten wählen nur 100 000 den Basistarif. Schon heute kooperieren die Kassen der gesetzlichen und privaten Versicherung, wenn es um eine private Zusatzversorgung geht. Jedenfalls würde die Einführung einer Bürgerversicherung eine Welle an Fusionen bei privaten wie gesetzlichen Kassen auslösen. Wie viele von den 68 000 Arbeitsplätzen nach Fusionen beziehungsweise Kooperationen übrig bleiben würden, lässt sich schwer vorhersagen.
Über das Thema Bürgerversicherung wird bereits seit 14 Jahren gestritten. Doch hat sich bisher weder Rot-Grün noch Schwarz-Rot getraut, das heiße Eisen anzupacken. Die Phalanx der Ärzte, Privatkassen und der »größten Fraktion« im Bundestag, nämlich die Beamten, hat Reformen in dieser Richtung bisher im Keim erstickt. Die Reformer haben bei der Realisierung der Einheitsversicherung zwei Möglichkeiten: Sie verpflichten Beamte und Selbstständige zum Beitritt in die gesetzliche Versicherung oder sie überlassen es den Menschen, ob sie freiwillig wechseln.
Solange in der kapitalistischen Marktwirtschaft ein gesellschaftliches Zwei-Klassen-System herrscht, dürfte es den Politikern schwer fallen, die Folgen dieser Dichotomie in der Sozialpolitik zu kompensieren. Dennoch könnte eine Politik der kleinen Schritte eine Annäherung an das Ziel der Ein-Klassen-Medizin erreichen.
Ein Kompromiss zwischen Gegnern und Befürwortern der Bürgerversicherung wäre die Beibehaltung der Zusatzversicherung. Dies steht aber im Widerspruch zum erklärten Ziel einer nivellierten und solidarischen Krankenversorgung. Dazu gehört eine schrittweise Angleichung der Gebührenordnung, um künftig eine Bevorzugung von Privatversicherten bei Ärzten zu verhindern. Eine wie auch immer geartete Bürgerversicherung erfordert Ärzte, die keine Unterschiede in der Behandlung beider Patientengruppen machen.
Die SPD verlangt auch eine Rückkehr zur vollen paritätischen Beitragszahlung, die seit 2005 dem Wohlwollen gegenüber den Unternehmen geopfert wurde. Künftig sollen die Beiträge zur Krankenversicherung wieder in gleichem Maße von Unternehmen und Beschäftigten geleistet werden. Auf dem Parteitag in Berlin forderte die SPD-Basis zudem, den Trend zur Privatisierung der Krankenhäuser umzukehren. Hohe Gewinne für die Konzerne des Gesundheitswesens auf dem Rücken der Patienten widersprechen demnach den sozialen Absichten der SPD. Ebenso wie Grüne und Linkspartei will die SPD-Basis die Beitragsbemessungsgrenze abschaffen.
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