Eine ICE-Fahrt ist kein Computerspiel

Nach den Problemen auf der neuen Schnellfahrstrecke sucht die Bahn mit dem Hersteller Alstom nach Ursachen

Wer sich die Pressemitteilungen der Deutschen Bahn in den vergangenen Tagen las, bekam den Eindruck, als würde darin über die Zeit nach einer schlimmen Katastrophe informiert. Die DB »konnte den Betrieb heute spürbar stabilisieren«, verlautete am Dienstag aus dem Bahntower. Am Mittwoch hieß es: »Bahnverkehr auf der Schnellfahrstrecke Berlin-München stabilisiert sich weiter.«

Die schlimme Katastrophe war der jährlich stattfindende Fahrplanwechsel. Diesmal hatte sich die Bahn mehr vorgenommen als das übliche Neuaustarieren von Taktungen und Zugumstellungen. Die neue Schnellfahrstrecke Berlin-München wirbelt das Zeitsystem von Anschlusszügen bundesweit durcheinander, hinzu kommt der Einsatz der neuen Leit- und Sicherungstechnik ETCS 2 in nachgerüsteten ICE. Beides zusammen erwies sich als nicht managebar: Gleich am Sonntag fielen zahlreiche Züge aus, andere hatten große Verspätungen oder mussten auf Strecken mit alter Technik umgeleitet werden. Auch wenn Verspätungen im DB-Fernverkehr ein dauerhaftes Ärgernis sind, war der missglückte Start besonders peinlich: Der Einweihungssonderzug mit prominenten Ehrengästen und einer Medienmeute an Bord musste mehrmals anhalten und brauchte zwei Stunden länger. In Coburg wartete Bürgermeister Norbert Tessmer in Begleitung von Pfarrer, Sambatänzerinnen und einer Zuschauermenge vergeblich auf seinen Zug nach Berlin, der wegen ETCS-Problemen an der oberfränkischen Stadt vorbeigeleitet wurde. Das System verzichtet auf ortsfeste Signale und kommuniziert über Sensoren an den Gleisen mit den Zügen. Es soll den Flickenteppich in Europas Schienennetzen beseitigen.

Für die Lokführergewerkschaft GDL sind die Probleme auf eine unzureichende Vorbereitung zurückzuführen: »Es hat keinen Probebetrieb für die Lokführer gegeben. Sie fahren nur mit Hilfe der Instrukteure, die einen solchen Probebetrieb gefahren sind«, sagte der GDL-Vorsitzende Claus Weselsky den Zeitungen der Funke-Mediengruppe (Mittwoch).

Die Bahnspitze wies den Vorwurf des Kaltstarts zurück: Alle Lokführer seien auf der neuen Strecke geschult worden und nicht nur am Computer, sagte die Vorstandsvorsitzende von DB Fernverkehr, Birgit Bohle, am Mittwoch bei einer kurzfristig einberufenen Telefonkonferenz. Es habe hunderte Testfahrten mit der neuen Technik gegeben. Sie lobte auch das Engagement der Mitarbeiter seit Sonntag: »Die ganze Mannschaft hat mit höchster Intensität um jeden einzelnen Zug gekämpft.«

Die Reaktionen lassen indes auch vermuten, dass die Bahnspitze hofft, den Schwarzen Peter weiterreichen zu können: an das mit der Umrüstung auf ETCS 2 beauftragte Bahntechnikunternehmen Alstom. Mit diesem berät die DB gerade über ein Maßnahmepaket.

Sparten-Chefin Bohle relativierte auch das Ausmaß der Probleme. Der »größte Fahrplanwechsel aller Zeiten« sei in vielen Teilen gelungen, auch der Einsatz von Neigetechnik in zahlreichen ICE-Zügen sei problemlos verlaufen. Bis Sonntagmittag verkehrten die DB-Fernverkehrszüge sogar überdurchschnittlich pünktlich - bis dann ein Wintereinbruch der Strecke Köln-Rhein/Main zusetzte, die vorübergehend komplett gesperrt werden musste. Hauptproblem war hier der Ausfall mehrerer Weichenheizungsanlagen. Wie dies sein, wo diese doch vor nicht allzu langer Zeit erst eingebaut worden waren, konnte die Bahn genauso wenig beantworten wie die Frage, warum eigentlich die ETCS-Programmierung nicht doppelt gecheckt wird. Bei mindestens einem ICE kam es nämlich zu ständigen Zwangsbremsungen, da ein Werkstattmitarbeiter den Durchmesser eines Radsatzes falsch eingegeben hatte, was zu Fehlermeldungen im digitalen Leitsystem führte.

Für genervte Bahnkunden kündigte die Bahn das Übliche an - eine finanzielle Kulanzregelung: Ab 60 Minuten Verspätung bekommen sie das Ticket voll erstattet und obendrauf einen Gutschein von mindestens 50 Euro. Kommentar Seite 4

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