Revolution, was ist das?
Theater unterm Dach: Peter Wittig inszenierte Brechts »Die Tage der Kommune«
Komisch, diese kleine Bühne am Thälmannpark geht den großen voran, fällt der Blick auf die Klassiker des politischen Theaters oder auf progressive Persönlichkeiten der Geschichte. Freie Gruppen spielen Büchner, Brecht, Böll, theatralisieren, was Rosa Luxemburg als Frau und Revolutionärin ausmacht, befragen Nachkommen von während der Leningrader Blockade Ermordeten und vieles mehr. Das Theater unterm Dach, geleitet von Liesel Dechant, unabkömmlich in der Berliner Theaterlandschaft, gibt ihnen die Spielfläche. Sie ist klein und eher Behelf, aber enorm, was darauf passiert.
Die dreistündige »Kommune«-Performance glänzte durch ihre Jugendlichkeit. Rasch die Tempi darin, wechselfältig die Abläufe, klar die Ansagen. Peter Wittig und sein Kollektiv haben das 1948 in Zürich uraufgeführte Brecht-Stück beherzt umgesetzt. Überraschung: Sie nahmen Publikum mit an die Hand, tanzten mit den Bereitwilligen, alten wie jungen, und sangen mit ihnen. Margarete Steinhäuser als Witwe Cabet (und in drei weiteren Rollen) gab ihre eigenen Songs. Sie ist die praktische, steuernde Figur, anfällig gegen die Unbill der Kämpfe. Was wird aus den Kindern?
Die Pariser Kommune, großer Moment im Geschichtsbuch der europäischen Emanzipationskämpfe, schwer errungen, zäh verteidigt, in die Zange genommen, schließlich vernichtet, kommt zum Sprechen. Brecht hat sich das Stück nicht ausgedacht, sondern es entlang der Einsichten in den konkreten Geschichtsverlauf als Parabel geformt. Große Bühnen, ob in Frankreich oder Deutschland, inszenieren das Stück nicht. Die Macher lassen derlei liegen wie die Fußballer ihre Chancen oder sagen »alter Hut«. Aber die weltweiten Stürmer und Dränger von jetzt, darauf aus, die steigende Ausbeutung zu stoppen, wenn nicht zu überwinden, würden sich Brecht durchaus gefallen lassen.
Revolution, was ist das? Die der Zahnpasta? »Kapitalistische« Revolutionen, von den Welthütern so nicht bezeichnet, aber befeuert und gefeiert, schießen fortgesetzt ins Kraut. Das sind jene der Farben und Blumen, in denen Runenzeichen, Rauchbomben und Scharfschützen die Impulsgeber sind. Die laufen wie manches Bühnenstück nach präzisen Szenarien ab. Ein Novum sind sie nicht. Mächte, die sie zertrümmerten, hat es immer gegeben.
Brecht half der Pariser Kommune aus der Vergessenheit. Marx analysierte und würdigte sie in »Der Bürgerkrieg in Frankreich« als außergewöhnliche, aus kühlen Gründen nur wenige Monate anhaltende Befreiungstat. Der Text ist hochaktuell. Er lädt zu geschichtlichen wie aktuellen Debatten geradezu ein. Kardinaler Punkt: Je stärker der soziale Furor im Horizont der Ungleichheit, desto lauter die Weise der Gewaltlosigkeit, desto brutaler die Schläge der Repressionskräfte.
Brechts Stück bringt das Gewaltthema am Beispiel des Hergangs der »Kommune« als soziale und Machtfrage. Vielerlei Personal spielt rein, differenziertes Volk und Typen von Herrschaft. Die Volksszenen mit Jean, dem Kellner, dem beleibten Herrn, Philippe und Geneviéve, dem Steuereinnehmer, Soldaten, Kindern, dem jungen Arbeiter, der Bäckerin, den Delegierten, mittendrin jene auf Lebenspraxis abgestellte Witwe Cabet, gehören zum Schönsten, was Brecht geschrieben hat. Die Leute der Kommune feiern unterm Theaterdach. Was gut Volk ausmacht, turnt ausgelassen über das Spielfeld. Dann kommen - im Stück dialektisch entfaltet - der Druck, die Kompromisse, die Fallen und Verlogenheiten der Regierungsleute um Thiers, schließlich der Schrecken. Hohe Kunst, die jähen Kollisionen bis in die Zellen der Straße lebendig klarzulegen. Fast jeder der Truppe spielt mehrere Rollen. Rasch erfolgen ihre Verkleidungen, wie aus Holz geschnitzt erscheinen die Typen der Konterrevolution.
Schieße ich zurück, lädt der Unterdrücker erneut durch. Dieses Problem rollt ab, wie Friedrich Engels es erörtert hat (»Die Rolle der Gewalt in der Geschichte«). Hätten die Kommunarden Versailles eingenommen, die Macht- und Würdenträger mitsamt deren Militärs verjagt und ihr Kostbarstes, die freie Assoziation der Bürger im Zeichen der Produktion, zum Nutzen aller beispielhaft verwirklicht, das ganze großbürgerlich-aristokratische Europa hätte sich zusammengetan, diesen Brutherd auszulöschen.
Aber die Kommunarden schulterten ihre Gewehre nicht, sie marschierten 1871 nicht nach Versailles, sie nahmen nicht jenes sie ausplündernde Pack in Gewahrsam, sondern schreckten zurück vor Gewalt. Sie verstanden sich als Menschen, als freie Bürger, Citoyens, als wahrhafte Demokraten. Ihre Gewehre lagen nicht weit, aber kein Blut sollte kleben an den Bajonetten. Sie wollten besser sein als ihre Häscher. Und sie verloren. Versailles und Preußen, eben noch Erzfeinde (Preußens Truppen standen vor Paris), verbündeten sich und schlugen zu. Aller Glaube an Menschlichkeit und Vernunft ertrank im Blut. Das Foto mit den zwölf hingemetzelten Kommunarden in Särgen auf dem Pariser Friedhof Père Lachaise zeigt die ganze Tragödie.
Brecht rückt im Stück die Gewaltfrage ins Zentrum. Die Familie um die Witwe Cabet ist nicht minder gespalten als die handelnden revolutionären Parteien. Glaube und Hoffnung, Schwächen und Ängste gehen durch sie hindurch. Das junge Wittig-Team, in vielerlei Kostüme gesteckt, agiert höchst beweglich den ganzen Reigen der Debatten aus. Sollen wir nach Versailles marschieren oder nicht? Ist es nötig, die Klingen zu kreuzen, wohl bedenkend, dass Preußens Heere vor der Tür stehen, vermutend den Angriff auf das freie Paris?
Die berühmte »Resolution der Kommunarden« geht ab wie eine militärische Zeremonie, die weder blanke Stiefel noch Schaum vorm Mund kennt. Alle Körper und Kehlen sind davon affiziert. In Reihe feuert der Chor den Text stimmkräftig ins Publikum. Die Musik komponierte Hanns Eisler. Genial: Sie kommt über Lautsprecher in Originalfassung. Das macht keiner sonst. Kein Rock- oder Technogeballer verunziert das Spiel. Das Ensemble unter Wittig hat außerdem den kompletten Brecht-Text umgesetzt, was selbst das Berliner Ensemble unter Helene Weigel und Manfred Wekwerth nicht geschafft hat. Revolutionäre Gewalt schließt die Resolution nicht aus: »In Erwägung, ihr hört auf Kanonen/ Andre Sprache könnt ihr nicht verstehn/ Müssen wir dann eben, ja, das wird sich lohnen/ Die Kanonen auf euch drehn!«
Nächste Vorstellung am 19.12.
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