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- G20-Fotofahndung
Presseethisch ist »das Vorgehen der 'Bild'-Zeitung grenzwertig«
Anwalt zu G20-Fahndungsfotos in Medien: »Erhebliche Prangerwirkung«
Berlin. Nach der Veröffentlichung von G20-Fahndungsfotos durch mehrere Medien sieht der Berliner Presseanwalt David Geßner eine mögliche »erhebliche Prangerwirkung« für die abgebildeten Personen. »Die Presse muss sich am öffentlichen Fahndungsaufruf der Polizei nicht bedingungslos beteiligen«, sagte Geßner dem Evangelischen Pressedienst (epd) am Mittwoch. Zwar treffe der G20-Gipfel in Hamburg auf ein breites öffentliches Interesse. »Doch ob man Fotos von mutmaßlichen Straftätern abbildet, unterliegt immer einer sorgfältigen Abwägung zwischen dem Persönlichkeitsrecht des Betroffenen auf der einen Seite und der Pressefreiheit sowie dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit auf der anderen Seite.«
Unter dem Titel »Ihr kommt nicht davon« veröffentlichte die »Bild«-Zeitung am Dienstag ausgewählte G20-Fahndungsfotos der Polizei. Damit sucht die Behörde nach mutmaßlichen Straftätern. Die Personen sollen sich laut »Bild«-Zeitung während des G20-Gipfels im Juli in Hamburg an Plünderungen und Randalen beteiligt haben. Bereits zuvor hatte die Sonderkommission »Schwarzer Block« der Polizei Hamburg über hundert Fotos von mutmaßlichen Straftätern veröffentlicht.
»Grundsätzlich gilt, dass eine Veröffentlichung von polizeilichen Fahndungsfotos in den Medien gerechtfertigt ist, wenn ein überwiegendes öffentliches Informationsinteresse an schweren Straftaten besteht oder wenn ein Fahndungsaufruf durch Ermittlungsbehörden erfolgt«, erläuterte Geßner. Bei schweren Straftaten wie schwerer Körperverletzung, Betrug oder Serienstraftaten stehe das Persönlichkeitsrecht in der Regel zurück. »Ob das Persönlichkeitsrecht im Einzelfall überwiegt, ist eine Wertungsfrage.«
»Aus presseethischer Perspektiv ist das Vorgehen der 'Bild'-Zeitung grenzwertig«, sagte Geßner. »Zudem wird der Pressekodex leider immer wieder mit Füßen getreten.« In der Richtlinie 8.1. des Pressekodex ist die Kriminalberichterstattung festgelegt. Darin heißt es: »An der Information über Straftaten, Ermittlungs- und Gerichtsverfahren besteht ein berechtigtes Interesse der Öffentlichkeit.« Und weiter: »Die Presse veröffentlicht dabei Namen, Fotos und andere Angaben, durch die Verdächtige oder Täter identifizierbar werden könnten, nur dann, wenn das berechtigte Interesse der Öffentlichkeit im Einzelfall die schutzwürdigen Interessen von Betroffenen überwiegt.«
Schikane statt Strafaufklärung
Sebastian Bähr über die tendenziöse G20-Öffentlichkeitsfahndung
Im September sprach der Deutsche Presserat bereits eine Missbilligung gegen die »Bild«-Zeitung aus. Die »Bild«-Zeitung (Print- und Online-Ausgabe) hatte im Juli Einzelfotos von G20-Demonstranten in Aktion gezeigt und zur Fahndung aufgerufen. epd/nd
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