Lametta, Liebe - und Lebenslügen

Anmerkungen zu Lichterketten, Liedern und Weihnachten

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 4 Min.
Es weihnachtet sehr. Der Satz geht um. Er produziert Spötter, die dabei lauter, und Staunende, die dabei leiser werden. Der Satz schafft Leute, die ihm glauben, und Leute, die ihn in jener gleichen Manier entlarven müssen, mit der sie auch sonst im Dienste notwendiger Entlarvungen stehen. Stehen? Kämpfen.

Jeden Spötter und jeden Ungläubigen möchte man in diesen Tagen zur größtmöglichen Zumutung überreden: Mach doch einfach mit. Zier dich möglichst lange, bitteschön, dann aber, kurz vor Heiliger Nacht, schlüpf doch noch in eine Rolle. Du Vernünftiger, du Erzkritiker von Gott und Gesellschaft, tu doch nicht ausgerechnet jetzt, als sei dir Rollenspiel fremd. Auch fortschrittlichste Gesinnung schwitzt mitunter und braucht ihr Deo - nimm Räucherkerzen. Gesteh doch, dass du Eltern hast, Kinder oder Enkel oder eine Großmutter, und da hast du sie doch schon, deine ehrlich gerührte Weihnachts-Rolle. Sag der Tradition deinen Dank, auch wenn es nicht deine ist.

Schäm dich nicht, wenn du dir feierlich Mühe gibst wie sonst nicht - am Ende hat doch jedes Jahr seine gefürchteten Feiertage verdient. So unbestechlich, wie du gestrickt bist, kommt dir die Klimaveränderung zupass. Denn stell dir bloß vor, es läge zu allem Übel auch noch Schnee wie früher - womöglich würdest du zu vorzeitig unsentimental und gar von dem Gedanken überwältigt werden, dass so ein Schneefall die schönste, lautloseste Veränderung der Welt ist und über Nacht geschieht. Nacht, nicht Macht.

Warum sperrst du dich gegen Gemeinplätze, nur weil sie plattest gesäuselt werden, mehr denn je in diesen Tagen? Jetzt rutsch nicht, in letzter Notwehr, in Agitation und Anklage: Alle würden zwar feiern, aber an Christus denke in Wahrheit keiner! Bist du selbst denn von Januar bis November so edel, so mutig, so ketzerisch, wie du jetzt tust, da um dich herum alle aufweichen? Spötter, Ungläubiger, Vernünftiger: In diesen Tagen gibst du eine unglückliche Figur ab, denn du offenbarst, dass dich zwiespältige Empfindungen stören. Du fichst tagtäglich (fürs Bessere, wofür sonst!!) und möchtest nicht heiligabendlich in Verdacht geraten, auch du seiest anfechtbar. Aber mach, was du willst: Edelraureif fällt gezielt auch auf den sprödesten Fleck.

Es weihnachtet sehr. Die Feiertage sind wie Bühnen, auf denen wir angestrengt Gelassenheit und Empfindlichkeit spielen. Spielen, ja, mehr nicht - na und?

Gundermann sang: »frag mich nicht wie/ frag mich nicht wann/ s ist doch nurn lied/ aber mitm lied/ fang ich erst mal an.« Mitm Lied, mitm Spiel. Das Beginnen wird in Politik und Gesellschaft so aktivistisch und aktionistisch beschworen, dass man fast überall ausrufen möchte: Wehret den Anfängen! Nicht jedem Anfang, denn Jahresende ist schließlich auch einer: Spiel mit. Es ist das schlechteste Spiel nicht, also zuck nicht, wenn das Wort von der Liebe fällt. Setz dich der Mehrheit aus, die ist immer verführbar - das kennst du doch. Nimm Weihnachten als Trainingslager: um Mehrheit auch mal zu ertragen und einzustimmen.

Trau dir was zu. Ganz positiv. Tu, als könntest du momentan nicht anders; trink Glühwein, obwohl Afrika das Wasser fehlt; wähl Heimlichkeit und freu dich am weißen Bart - spiel dich frei, und ringsum (hörst du’s?) verfallen die Glocken sofort in wildfröhliches Läuten. Immer blüht die Misere so, wie im Winter auch Blumen blühen. Spiel beides nicht gegeneinander aus. Man weiß, du willst Askese - vor allem für andere. Man weiß, du hasst diese Ordnung - und magst ihre Freiheit. Mensch, dein Leben hat aber doch nicht weniger Heil, Trost, Gnade nötig als jene, von denen du meinst, sie hätten vor allem Belehrung, Aufklärung, Befreiung nötig. Natürlich durch Leute wie dich. Also: Lass mal nach in kritischem Bewusstsein. Die Lebenslüge wird schön, wenn sie im Lametta glänzt. Lichterketten mal anders!

Kerzengerechtigkeit! Das ist nichts, aber doch besser als gar nichts. Streich deinem Leben einfach mal übern Kopf, und zähl nicht die Haare. Jedenfalls nicht jetzt, denn es weihnachtet sehr.

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