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Morgen zu Hause
Eine Ausstellung im Museum Pankow verknüpft die bundesdeutsche Migrationsgeschichte mit der des Bezirks
Prenzlauer Berg - Zuwanderung - Schwabylon. So geht er doch, der bekannte Dreiklang. Kaum vorstellbar, dass Neuberliner in Pankow eine längere Reise als diese 600 und ein paar mehr Kilometer aus Nördlingen, Memmingen oder Dillingen auf sich nehmen, um am Helmholtzplatz ein neues Leben anzufangen. Abseits deutsch-deutscher Spätzle-Kleinkriege aber spielen sich seit Jahren im Nordosten ganz andere Geschichten von Ankommen und Dazugehören ab. In den letzten sieben Jahren, so weiß die Statistik, kam jeder zweite Neupankower aus Italien, Polen, USA oder Syrien. Den Geschichten dieser mutigen Wanderer und Geflüchteten widmet sich die Ausstellung »Onkel Hasan und die Generation der Enkel« im Museum Pankow, die seit Mitte Dezember im ersten Stock des Hauses an der Prenzlauer Allee zu sehen ist.
Angelehnt an das Leben von Hasan Koşan, der 1964 als Gastarbeiter aus Anatolien ins Ruhrgebiet abgeworben wurde, erzählt die kleine, aber intensive Schau, wie es den drei Generationen zwischen Hasan bis heute ergangen ist, was für ein emotionales Kunststück sie vollbracht haben, neue Wurzeln zu schlagen, ohne alte verkümmern zu lassen. Hasans Geschichte ist der Ausgangspunkt für Erzählungen aus Prenzlauer Berg, Weißensee und Pankow, die ihren Ursprung ganz woanders haben, aber genauso von Anpassungsdruck, Einsamkeit oder Sehnsucht sprechen wie er. So erzählt eine Frau, die in einem Interviewvideo zu sehen ist, davon, dass ihre Mutter sie nicht mehr besuchen kommen wird, wenn sie, die Tochter, tatsächlich nach Berlin ziehen sollte, in diese grausamste aller deutschen Städte. Da muss nicht explizit vom Jüdischsein geredet werden, es reichen die Wörter »Polen«, »Flucht«, »Schweden« (in der Reihenfolge), ewiges Suchen nach dem Gefühl, hier ausruhen zu können und dann endlich anzukommen, ausgerechnet in Prenzlauer Berg. Für die Tochter ist dieser Ort nicht weit weg von der alten Heimat der Familie, die immer noch ein bisschen Wärme über die Oder hinweg strahlt. Und da ist diese Frau aus der Türkei, die sagt, sie werde nie mit der Kälte der Deutschen klarkommen. Und diese Italienerin, die meint, die Deutschen würden so viel im Leben verpassen, weil sie so verschlossen seien. Autsch, das sitzt. Zum Schluss bleibt der Satz einer Russlanddeutschen hängen, die mit ihrem Mann auf der Couch sitzt, die sie wohl seit ihrer Ankunft besitzen, und in ihrem kleinen, dunklen Wohnzimmer gefilmt werden: »Wenn ich gefragt werde, was ich hier überhaupt suche, dann denke ich, ich suche doch gar nichts. Ich bin einfach da.«
Die Geschichten aus Pankow zeigen, dass der Status Migrant aus Menschen keine homogene Masse macht. Sie sprechen vom Bleiben wollen und vom Transitgefühl, erzählen von denen, die nie wieder weg wollen, weil Ostberlin beides in sich vereint, was die Seele seit Ewigkeiten ausbalanciert (Ost und West) und von denen, die die Sehnsucht nicht zum Schweigen bringen können und Sätze sagen wie »Den Ort, wo man geboren ist, den vergisst man nicht«.
Gerade die Beschreibungen der Jungen erscheinen so, als würden sie mit dem Teil der Ausstellung kommunizieren, der von Hasans Leben berichtet. Ein Hirte aus Ostanatolien, der es in der Bundesrepublik zu etwas gebracht hat. Der bei Hoesch (heute ThyssenKrupp) fast 30 Jahre an der Haspelmaschine arbeitete, an der Automobilfedern gefertigt wurden. Ein ganzes Arbeitsleben, bis er 1991 in Rente ging, hat er an dieser Maschine gestanden. Wir sehen Fotos von ihm, wie er mit der Betriebsgruppe in einer Dortmunder Kneipe sitzt und Bilder von Besuchen in Erzincan, eine Region im Osten der Türkei, wo er 2012 beerdigt wurde. Das hatte er sich so gewünscht.
Die Enkel wissen manchmal nicht viel von dieser Zeit, höchstens, dass es anstrengend und schwierig war für die Generation Koffer, die noch mit ganzem Herzen in der alten Heimat lebte, weil man ihnen nichts anderes versprach als einen Aufenthalt auf Zeit. Die Jüngeren wissen manchmal nur wenig von der kräfteraubenden Anstrengung ihrer Großeltern, bei der es darum ging, aus dem Nichts eine neue Existenz aufzubauen. Das Fundament: Einsamkeit, bis die Familie nachkommen konnte und harte Arbeit als Lebensmittelpunkt.
Losgelöst von den individuellen Biografien steht ein Exkurs, in dem es um Gleichberechtigung und Teilhabe geht und der den Blick auf die Bundesrepublik lenkt. Geschichte und Gegenwart werden eins. Die Ausstellung ruft die »Mach meinen Kumpel nicht an«-Kampagne des DGB aus den 1980er Jahren ins Gedächtnis. In einer sehr vorsichtigen Formulierung wird die Frage gestellt, ob der Gewerkschaftsbund, als er im Dezember 2014 sein von Geflüchteten besetztes Haus in der Berliner Keithstraße räumen ließ, die richtigen Signale sendete. Solidarität und ihre Grenzen, ein Thema, das keine große Rolle in der Ausstellung spielt, weil es wohl den Fokus von den Personen, die wir kennenlernen sollen, genommen hätte.
Der verzweifelte Versuch, eine Perspektive zu erzwingen, scheiterte damals im DGB-Haus. Der Pankower Teil der Ausstellung kehrt zu Flüchtlingsbiografien zurück, die aber noch nicht von Desillusionierung sprechen wollen. Die Fotografin Anne Bollwahn hat 13 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge porträtiert und sie gebeten, dem Betrachter eine Botschaft mitzugeben. Hasans Biografie kommt einem in den Sinn, wenn sie von Fremdheit und Chance zugleich berichten. Er und alle, die mit ihm und nach ihm gekommen sind, teilen ähnliche Gedanken, dabei liegen über 60 Jahre dazwischen und man fragt sich: Hätten wir es nicht nach so vielen Jahren besser wissen müssen? Ihre (viel zu) lange Suche nach Haltepunkten da, wo erst mal nichts war, ist allen gemein. Und so wird die Sichtweise der dritten Generation, derer, die in Deutschland geboren und aufgewachsen sind, die sich zwischen der neuen und der alten Welt ihrer Eltern nicht zerreißen lassen wollen, zur Quintessenz. Ihr Leitspruch ist das Motto der Ausstellung: »Wir fordern den Plural von Heimat.«
Die Grundlage für dieses Selbstbewusstsein legte die zweite Generation der heute 40 bis 60-Jährigen. Der soziale Aufstieg wurde zu ihrem Credo. Sie sind es, die mit 40 das Abitur nachmachten, nebenbei vier Kinder großzogen und zwei Jobs hatten, denn nur so, davon waren sie überzeugt, ist man in Deutschland wirklich akzeptiert. Ihre Erfolgsgeschichten dominieren die Ausstellung. Ihre Söhne und Töchter studieren mittlerweile und ihnen sieht man an, dass sie glücklich sind, die Erwartungshaltung so vieler zu erfüllen. Die der Mehrheitsgesellschaft, für die sie Beispiel gelungener Integration sind und die ihrer stolzen Eltern. Von denen, die an dieser immensen Herausforderung gescheitert sind, erfahren wir in der Schau leider viel zu wenig.
Bis 18. März, »Hasan und die Generation der Enkel«, Museum Pankow, Prenzlauer Allee 227, Prenzlauer Berg, Begleitprogramm: 18. Januar: polnisches Pankow, 1. Februar: junges Europa in Pankow, 22. Februar: russisches Pankow
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