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Bei schwedischen Feministen
Martin Leidenfrost besuchte eine Aktivistin, die sich für das neue »Einverständnis-Gesetz« eingesetzt hat
Nach vielen Jahren als Europareporter fiel mir auf, dass ich noch nie auch nur ein Wort über Frauenrechte geschrieben hatte. Ich hatte das immer für eine Selbstverständlichkeit, nicht aber für ein Thema gehalten.
In der Folge der MeToo-Bewegung beschloss ich, endlich über Feminismus zu schreiben. Als Zielland wählte ich Schweden. Schweden hat eine der höchsten Gleichstellungsraten der Welt, eine Ministerin für »Gender Equality«; für Prostitution wird der Kunde und nicht die Prostituierte bestraft, und aus der Anklage gegen Julian Assange konnte man schließen, dass eine schwedische Staatsanwältin nach einer Gesetzesverschärfung schon das unabgesprochene Abziehen des Kondoms während eines einvernehmlichen Aktes als Vergewaltigung werten kann.
Umso mehr wunderte ich mich, dass MeToo ausgerechnet in Schweden einen solchen Aufschrei auslöst. Praktisch alle schwedischen Politikerinnen unterschrieben den anklagenden Aufruf »In den Korridoren der Macht«, und Premierminister Löfven äußerte kleinlaut: »Ich glaube nicht, dass sich irgendwer das Ausmaß vorstellen konnte.«
Ich ging ins Stockholmer Nobelmuseum, untergebracht in der von einem Missbrauchsfall erschütterten Schwedische Akademie. Ich nahm an zwei Führungen teil, eine gehalten von einer selbstbewussten Asiatin, die andere von einem rotblonden Witzbold. Beide sagten im Vortrag, dass »leider nur fünf Prozent der Nobelpreisträger Frauen« seien. Die Vorgänge in den Stockwerken darüber sprach niemand an.
Ich nahm die »Tunnelbahn« nach Räcksta hinaus, in ein Gewerbegebiet. Schweden hat eine feministische Partei, die in den Parlamenten aller nennenswerten Großstädte vertreten ist. Eine der Gründerinnen der »Feministischen Initiative«, Lotten Sunna, empfing mich in ihrer Steinmanufaktur. Mit ihrem Partner, einem langhaarigen englischen Grufti, auch er »absoluter« Feminist, stellt sie überwiegend Grabsteine her. Bis auf ein paar bunte Stickereien an der Hose war sie ganz in Schwarz, nannte sich einen »alten Punk« und ansonsten eine »mittelalte Mittelklasse-Frau in der Norm«.
Sie sagte, dass sie oft zu Interviews mit ausländischen Journalisten geschickt würde. Ich konnte mir vorstellen, warum - sie wirkte cool. Zwei ihrer drei Söhne spielten Eishockey, »das ist hart und schnell, als Mädchen hätte ich das geliebt«. Sie hat nichts gegen diese Art von Männlichkeit, nur sitzt sie nun auch im Vorstand des Klubs, »damit Sexismus ausgeschlossen ist«.
Den Aufschrei der schwedischen Frauen erklärte sie nüchtern: »Verglichen mit anderen Ländern, sind wir recht weit gekommen. Wir können uns daher erlauben, uns zu beschweren.« Ich fragte sie nach der »Männersteuer«, die ihre Partei laut Wikipedia forderte. Sunna schmunzelte, der Ausdruck stamme vom politischen Gegner. In Wirklichkeit schlage die »Feministische Initiative« vor, dass ein halbes Prozent der Sozialabgaben in einen Fonds fließen sollten, der Menschen in unterbezahlten, als klassisch weiblich wahrgenommenen Berufen den Lohn aufbessern soll, zum Beispiel im Handel. Männer in solchen Jobs würden davon genauso profitieren.
Ich fragte sie nach dem importierten Machismus von Migranten. Sie reagierte entspannt: »Gebt ihnen Zeit! Die Migranten aus Lateinamerika und vom Balkan haben sich integriert, die aus dem Nahen Osten werden sich auch integrieren.«
Wir kamen zur Forderung ihrer Partei, dass vor dem Akt das explizite Einverständnis des Sexualpartners einholt werden muss. Sex ohne Einverständnis sollte strenger bestraft werden: »Man soll vor Gericht nicht sagen können, ich konnte nicht ahnen, dass sie das nicht wollte. Der Mann muss beweisen, dass er ihr Einverständnis hatte.« - »Fürchten Sie nicht, dass ein solches Gesetz missbraucht werden könnte?« - »Es gibt mehr Frauen, die vergewaltigt werden, als Männer, die ungerecht verfolgt werden. Das ist sehr hart …« - »Sind die Gesetze, siehe Assange, nicht jetzt schon sehr streng?« - »Was er getan hat, war Vergewaltigung.«
Am Ende fragte mich Sunna: »Was denken Sie jetzt?« Ich antwortete: »Ich bin nicht schockiert.« Die Feministin kam mir in der behaglichen Sitzecke ihrer Steinmanufaktur tatsächlich gemäßigt vor. Erst jetzt, beim Hintippen ihrer Antworten, finde ich sie radikal. Das »Einverständnis-Gesetz«, das die Feministische Initiative lange gefordert hatte, wurde kurz vor Weihnachten von der schwedischen Regierung beschlossen.
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