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Abschiebungen mit Foltergefahr

Journalist soll in Türkei ausgewiesen werden / Karlsruhe: »ernste Anhaltspunkte« für Misshandlungen

  • Sebastian Bähr
  • Lesedauer: 4 Min.

Ertugrul Yigit lebt seit 35 Jahren in Hamburg. Als freier Journalist schreibt er dort unter anderem für die für die »taz«, die »Zeit« und mehrere türkische Oppositionszeitungen. Er betreut außerdem die Erdogankritische Onlinezeitung »Avrupa Postasi«, wo auch Karikaturen des türkischen Präsidenten veröffentlicht werden. Die Hansestadt will jedoch den Aufenthaltsstatus des Autoren nicht weiter verlängern und ihn zurück in sein Geburtsland Türkei abschieben. »Die familiäre Lebensgemeinschaft mit Ihren deutschen Kindern besteht nicht, da diese sich in der Türkei befinden. Ferner sind Sie nicht erwerbstätig«, zitierte der »Spiegel« die Ausländerbehörde. Die deutsche Ex-Partnerin von Yigit zog mit den beiden Töchtern nach der Trennung in die Türkei, von dem Lohn als freier Autor kann er nach eigener Aussage nicht leben.

Der türkische Journalist hat nun Widerspruch gegen die Entscheidung eingelegt. »Wie kann Hamburg so jemanden wie ihn abschieben?«, fragte sein Rechtsanwalt Mahmud Erdem im »Spiegel«. »Mein Mandant wird mit Sicherheit ins Gefängnis kommen.« Ygit erklärte, dass er vor vier Jahren einen türkischen Reisepass beantragt hatte, um in seine Heimat zurückzukehren - der Putschversuch 2016 in der Türkei habe dies jedoch verhindert. »Jeder, der nicht für Erdogan ist, gilt seither als ein Feind der Türkei«, so der Journalist. Ein Mitarbeiter des türkischen Generalkonsulats habe bereits 2015 eine Strafanzeige gegen ihn wegen Beleidigung gestellt.

Tatsächlich stehen die deutschen Behörden vor der Frage, ob sie Abschiebungen in die Türkei weiterhin rechtfertigen können. Das Bundesverfassungsgericht hatte jüngst erklärt, dass es »ernsthafte Anhaltspunkte für eine Foltergefahr« im Land geben würde. Vor einer Abschiebung müssen Gerichte nun von der Türkei eine Zusicherung einholen, dass Folter und eine unmenschliche Behandlung nicht angewendet werden. Eine spezifische Sachaufklärung wäre aufgrund der »allgemeinen Erkenntnisse zur politischen Situation in der Türkei« notwendig.

Ein in Deutschland geborener türkischer Staatsbürger hatte in Karlsruhe zuvor gegen seine drohende Ausweisung geklagt. Er war wegen Unterstützung der syrisch-dschihadistischen Junud al-Sham-Miliz sowie wegen Geldtransfers auf ein IS-Konto 2015 zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt worden. In einem Eilantrag wandte sich der Islamist gegen die Abschiebung, weil ihm in der Türkei möglicherweise Folter drohen würde. Er berief sich auf einen Bericht von Amnesty International und erklärte, dass in Ankara ein Verfahren gegen ihn wegen Unterstützung einer islamistischen Terrororganisation laufe.

Das Verwaltungsgericht lehnte den Eilantrag ab. Die Begründung: In der Türkei wären lediglich kurdische Aktivisten oder Anhänger der Gülen-Bewegung von Folter bedroht. In seinem Fall gebe es keine Anhaltspunkte für eine Gefahr. Karlsruhe hat diesen Beschluss nun aufgehoben.

Der Vorsitzende des Innenausschusses im Bundestag, Ansgar Heveling (CDU), kritisierte das Verfassungsgericht für seine Entscheidung. Wenn Anforderungen an die Prüfung einer Abschiebung »überspannt« würden, könne das die rechtlichen Hürden für Abschiebungen »bis hin zur Undurchführbarkeit massiv erhöhen«, sagte er gegenüber Medien.

Nach Angaben des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) haben zwischen Januar und November des vergangenen Jahres 7522 türkische Staatsbürger in Deutschland einen Asylantrag gestellt, rund 56 Prozent mehr als 2016. Die große Mehrheit der Anträge wurde jedoch abgelehnt. Die Anerkennungsquote lag bei 27 Prozent. Unter den abgelehnten Asylsuchenden befanden sich nach »nd«-Recherchen unter anderem ein Kämpfer der syrisch-kurdischen Miliz YPG sowie der bekannte HDP-Politiker Orhan Sansal, ehemaliger Bürgermeister der türkisch-kurdischen Grenzstadt Suruc. Die türkischen Behörden gehen mit voller Härte gegen beide Organisationen vor. Vor zwei Wochen konnte die Abschiebung von Sansal gestoppt werden.

Verschiedene Menschenrechtsorganisationen zeigen in aktuellen Recherchen auf, dass türkische Sicherheitskräfte gegen Häftlinge und vermeintliche Staatsgegner Folter einsetzen sollen. »Die Bundesregierung nimmt die Berichte von Human Rights Watch und Amnesty International sowie weiteren Menschenrechtsorganisationen ernst«, hieß es aus der Bundesregierung gegenüber »nd«. »Die Türkei hat das Recht und die Pflicht, die Geschehnisse um den Putschversuch juristisch, in Einklang mit rechtsstaatlichen Standards und dem Verhältnismäßigkeitsprinzip aufzuarbeiten.«

Auch das BAMF war in seiner Antwort an das »nd« eher zögerlich: »Anhand des individuellen Vortrags prüft der Entscheider, welche Gefahr dem Asylsuchenden bei Rückkehr ins Herkunftsland droht.« Im hauseigenen »Texthandbuch Türkei« habe man jedoch alle Passagen »im Hinblick auf die aktuellen Ereignisse einer kritischen Würdigung« unterzogen.

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