Oprah for President

Die gefeierte Oprah Winfrey steht für Selbstoptimierung, nicht für bessere Verhältnisse.

  • Maria Jordan
  • Lesedauer: 4 Min.

Kaum eine Gestalt des öffentlichen Lebens in den USA wird so sehr idealisiert wie sie. Oprah Winfrey: Eine Talkmasterin, die gefeiert wird wie eine Predigerin. Nach ihrem Auftritt bei der Golden-Globe-Preisverleihung für Kinofilme und TV-Sendungen wird jetzt sogar über ihre Kandidatur bei der US-Präsidentschaftswahl 2020 spekuliert. Dabei hat die 63-Jährige selbst nie über solche Ambitionen gesprochen. Doch hat Winfrey mit ihrer Rede offenbar einen Nerv getroffen. Als erste schwarze Frau mit dem Cecil-B.-DeMille-Preis für ihr Lebenswerk gekürt, widmete sie sich in ihrer Ansprache dem Thema des Abends: sexuelle Belästigung. Schon trugen alle namhaften Gäste des Abends auf Initiative der Kampagne »Time’s Up« ausschließlich schwarz, als Zeichen der Solidarität mit den Opfern sexueller Gewalt.

Winfrey erinnerte in ihrer Rede an die Frauen, die jahrelange sexuelle Gewalt ertragen mussten, weil sie »Kinder zu ernähren, Rechnungen zu Zahlen und Träume zu verfolgen« hatten. Zu lange sei Frauen nicht zugehört oder geglaubt worden, wenn sie es wagten, gegen die Macht der Männer aufzubegehren. Doch die Zeit dieser Männer sei abgelaufen. Für diesen Satz, der an dem Abend nicht nur einmal fiel, erntete Winfrey stehende Ovationen. Es müsse dafür gekämpft werden, sagte sie, dass niemals wieder eine Frau sagen müsse: »me too« - ich auch. Mit dieser Ansprache löste Winfrey beim US-amerikanischen Publikum derartige Begeisterung aus, dass viele sie sogleich zu ihrer Wunschkandidatin für das Staatsoberhaupt kürten. Die Idee, Winfrey an die politischen Spitze der USA zu wählen, sorgte besonders in sozialen Medien für viel Euphorie - aber auch für Kritik. Woher kommt dieser neue Höhepunkt des »Oprah-Effekts«?

Oprah Winfrey ist seit Jahrzehnten eine der einflussreichsten Personen der US-amerikanischen Öffentlichkeit. Ihre Talkshow erreichte mehr als zehn Jahre lang Millionen Zuschauer, ihre Buchempfehlungen werden häufig zu Bestsellern. Für viele Frauen ist sie eine Ikone. Was Winfrey sagt, wird zur Wahrheit erklärt.

Das hat viel mit ihrer eigenen Lebensgeschichte zu tun. Aufgewachsen in ärmlichen Verhältnissen, hat sich die Afroamerikanerin ihren Weg zum Erfolg selbst erkämpft. Aus eigener Kraft hat sie es geschafft, sich ein Imperium aufzubauen. Sie wurde zum Fernsehstar, zum Vorbild für unzählige US-Amerikaner, zu ihrer eigenen Marke. Sie hat einen eigenen Fernsehsender und ein Lifestyle-Magazin. Ihr Vermögen wird auf rund 2,7 Milliarden US-Dollar geschätzt. Oprah Winfrey verkörpert gewissermaßen den »American Dream«.

Mit dem Format ihrer Talkshow und ihrem selbst ernannten Auftrag, Menschen glücklich zu machen, trifft sie seit Beginn ihrer Karriere den Nerv der Zeit. Ihr immerwährender Ansatz, das eigene Leben durch positives Denken und Eigenverantwortung zum Besseren verändern zu können, hat bei einem Millionenpublikum ungebrochenen Erfolg. Winfreys Konzept lautet: Hilfe zur Selbsthilfe. Und es geht auf. Ihre Anhänger lieben sie, verlassen sich auf sie und schöpfen Kraft aus ihren Ratschlägen.

Die Autorin Nicole Aschoff schreibt in einem im »Guardian« veröffentlichten Auszug ihres Buchs »New Prophets of Capital«: Winfreys Geschichten fänden deshalb so viel Zuspruch, weil sie die Rolle politischer, ökonomischer und sozialer Strukturen verdeckten. Die Lösung für Probleme, die das Leben in der spätkapitalistischen Gesellschaft mit sich bringt - Stress, Überarbeitung, Existenzängste - lautet stets: Verbessere dich selbst! Oprah gibt praktische Tipps, wie man sich als Individuum erfolgreich an die gegebenen Umstände anpasst: Fotos am Arbeitsplatz gegen Burn-out, positives Denken gegen Angstzustände. »Oprah erkennt den durchdringenden Charakter der Angst und Entfremdung unserer Gesellschaft«, schreibt Aschoff. Doch statt die politischen oder ökonomischen Ursachen dieser Gefühle zu untersuchen, rate sie den Menschen, sich selbst zu verändern, um anpassungsfähiger zu sein.

Nicht das System, in dem wir leben, muss verändert werden, sondern wir selbst sind es, die sich anpassen müssen. Dann können wir erfolgreich sein. Und wer erfolgreich ist, ist glücklich. Dieser Logik folgt Winfreys Ansatz. Laut Aschoff macht sie so den »American Dream« wieder zu etwas Erreichbarem.

An diesem Duktus, der sich beim US-Publikum großer Beliebtheit erfreut, gibt es jedoch auch Kritik. Die Autorin und Kommunikationswissenschaftlerin Janine Peck beispielsweise unterstellt der Entertainerin, eine Welt wachsender Ungleichheiten zu legitimieren, indem sie die Anpassung der Individuen an diese Welt fordert und fördert. Laut Aschoff macht Winfrey aus uns perfekte, entpolitisierte, selbstgefällige neoliberale Subjekte. Sie sei damit eine der wichtigsten Köpfe des Neoliberalismus, schlussfolgert die Autorin.

Als Königen der Herzen und Mutter der Nation könnte Oprah Winfrey bei einer Präsidentschaftswahl tatsächlich gute Chancen haben. Die US-Journalistin April Ryan sagte dazu: »Wir sind inzwischen eine Nation, die nicht mehr nur einem Politiker sucht, sondern einen Rockstar. Wir suchen jemandem mit dem ›It-Faktor‹. Und Oprah hat diesen ›It-Faktor‹.«

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