Gott ist es

Klang der Stille von Agnieszka Holland

  • Caroline M. Buck
  • Lesedauer: 2 Min.
Am Anfang ist der Maestro schon fast tot und seine treueste Anhängerin in eiliger Kutschfahrt auf dem Weg an sein Sterbebett, dabei fortwährend sein letztes, nicht nur zu Lebzeiten höchst umstrittenes Meisterwerk im Ohr, dessen innere Schönheit sie inzwischen - endlich! - und damit ein knappes Jahrhundert vor dem Rest der Musikwelt zu schätzen lernte. Der Meister selbst hatte ohnehin nie Zweifel: Gott hat ihm sein Talent gegeben und Gott ist es folglich, der durch des Meisters Musik zu den weniger Begabten spricht. »Klang der Stille« heißt im Original »Copying Beethoven«, und um's Kopieren geht es auch. Um das handschriftliche Kopieren erst einer, dann einer zweiten Partitur für den alternden Ludwig van Beethoven im Wien des Jahres 1824. Und um das unwillkürliche Kopieren der musikalischen Stimme des zänkischen Meisters durch eine zur Komponistin zwar ausgebildete, aber selbst nicht mit Genie gesegnete Konservatoriumsschülerin namens Anna Holtz. Den Meister, der taub sein wohl bekanntestes Werk schuf - die Neunte Sinfonie, um deren Schlusschor an die Freude sich der halbe Film dreht -, den Meister gab es. Seine Kopistin gab es nicht, aber wahrscheinlich macht sich so ein hübsches und noch dazu erstaunlich emanzipiertes Frauenzimmer einfach besser als die historisch korrekte männliche Realität. Was für den Film allerdings zur Folge hat, dass er sich ständig mit der Rolle der Frau und ihrer immer noch als selbstverständlich vorausgesetzten Minderwertigkeit gegenüber der männlichen Krone der Schöpfung auseinander setzen muss. Ihren absurden Höhepunkt aber findet die Charade, als die fiktive Kopistin dem realen, aber stocktauben Maestro bei seinem Wunsch unterstützt, die Uraufführung seiner letzten Sinfonie noch selbst zu dirigieren. In einem doppelten Phantomdirigat - das Orchester vor der Kamera ist nicht das Orchester, dessen Einspielung man hört - dirigiert sie ihm aus der Mitte seines Orchesters heraus seine Sinfonie vor, und er dirigiert ihr spiegelbildlich vom Podest aus nach - vollkommen fehlerlos, garantiert schweißfrei und taktweise mit schwärmerisch geschlossenen Augen. Schade um die Künste der beiden Darsteller: Ed Harris spielt in verblüffend effektiver Maske nach dem Maler Jackson Pollock (»Pollock«) nun noch ein weiteres kreatives Monster, und selbst die bisher selten mehr als dekorative Diane Kruger (Helena in Wolfgang Petersens »Troja« und singende Soldatenmuse in Christian Carons »Merry Christmas«) machte eine ganz überzeugende Figur, wenn die nur nicht so furchtbar fiktiv wäre. Agnieszka Holland, die polnische Regisseurin dieses mit deutschen Medienfonds-Geldern und US-amerikanischem Produktionsteam gedrehten britisch-ungarischen Produktion (Wiens Kopfsteinpflaster-Gässchen wurden in Ungarn aufgenommen) scheitert am Drehbuch der »Ali«- und »Nixon«-Autoren Christopher Wilkinson und Steven Rivele.

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