Social-Media-Protest von Seenotrettern

Zivile Rettungsorganisationen fordern das Ende der EU-Finanzierung für libysche Küstenwache

  • Maria Jordan
  • Lesedauer: 3 Min.

Mehrere Organisationen der zivilen Seenotrettung rufen an diesem Sonntag zu einem sogenannten Social-Media-Aktionstag auf, darunter der Verein Mission Lifeline, Sea Watch und Jugend Rettet. Den ganzen Tag wollen die Seenotretter unter dem Hashtag #RechtAufFlucht auf ihren Social-Media-Kanälen Artikel, Bilder und Videos veröffentlichen, die die systematische Menschenrechtsverletzungen der libyschen Küstenwache (LYCG) dokumentieren. Die Rettungsorganisationen wollen erreichen, dass die Zusammenarbeit zwischen der EU und der libyschen Küstenwache gestoppt wird.

Das Rettungsschiff der Mission Lifeline war im September vergangenen Jahres bei ihrem ersten Rettungseinsatz im Mittelmeer von der libyschen Küstenwache angegriffen worden. Der Gründer der Organisation, Axel Steier, gibt an, dass die LYCG Schüsse abgegeben habe und Soldaten ohne Erlaubnis auf das Schiff gekommen seien, mit dem die Crew versuchte, Geflüchtete vor dem Ertrinken zu retten.

»Während des Angriffes im September befahl uns die Küstenwache, die geretteten Menschen auszuhändigen, damit diese zurück nach Libyen gebracht werden«, berichtet Steier. Die Crew habe sich jedoch geweigert, der Forderung nachzukommen. Dabei berief sie sich auf das sogenannte Nichtzurückweisungsprinzip (Non-Refoulement Prinzip). Es ist ein Teilaspekt des Folterverbots und in der UN-Antifolterkonvention verankert. Das Non-Refoulement Prinzip verbietet die Auslieferung, Ausweisung oder Rückschiebung einer Person in ein Land, wenn ein ernsthaftes Risiko von Folter oder anderen Menschenrechtsverletzung besteht.

Die europäische Seenotrettungsorganisation SOS Mediterranee veröffentlichte Teile von Interviews, die die Teams der Aquarius an Bord mit den Überlebenden führten. Diese »bezeugen vom Ausmaß der Gewalt und Willkür gegen Flüchtende in Libyen«, so die Organisation. Ihren Berichten zufolge habe sich die Lage der Geflüchteten aus Libyen im vergangenen Jahr dramatisch verschlechtert. Folter, Zwangsarbeit und sexuelle Gewalt gehörten zur Tagesordnung. Der Fluchtweg über das Mittelmeer werde durch die Abschottungspolitik der Europäischen Mitgliedsstaaten und das verstärkte Auftreten der libyschen Küstenwache immer gefährlicher. »Wir wollen die Menschen in Europa daran erinnern, was im Mittelmeer passiert und den Flüchtenden eine Stimme geben, weil sie in Libyen viel zu lange schweigen mussten«, sagt Verena Papke, Geschäftsführerin von SOS Mediterranee.

Aus Sicht der Seenotretter brechen die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten diesen völkerrechtlichen Grundsatz durch die Finanzierung der libyschen Küstenwache. Auch die Menschenrechtsorganisation Amnesty International wirft den EU-Staaten in einem 2017 veröffentlichten Bericht vor, Misshandlungen und Ausbeutung von Migranten in Libyen zu fördern. Sea Watch berichtete in der Vergangenheit mehrmals von Vorfällen, bei denen die Soldaten der LYCG sich gewalttätig Zugang zu den Rettungsschiffen verschafften, Crewmitglieder und Geflüchtete in Gefahr brachten und sogar mehrere Menschen ums Leben kamen. Die EU hielt jedoch weiter an der Zusammenarbeit mit der LYCG fest. Die Organisation hat inzwischen eine Petition gegen diese Zusammenarbeit gestartet.

Die an dem Action-Tag beteiligten Organisationen fordern daher »ein sofortiges Ende der Zusammenarbeit und den Ausbau der staatlichen Seenotrettung«. »Wir wünschen uns, dass die Europäische Union endlich Verantwortung übernimmt und die Menschen aus dem Wasser rettet«, sagt Mission Lifeline-Gründer Steier.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.