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Krieg in der Heimat, Krieg in der Welt
Yücel Özdemir über die Partei Atatürks, die Erdoğans Offensive gegen Afrin unterstützt, und die Friedensbewegung in der Türkei
Der Gründer der Türkischen Republik, Mustafa Kemal Atatürk, hatte die Außenpolitik des neuen Staates nach dem Zusammenbruch des Osmanischen Reiches wie folgt zusammengefasst: »Frieden in der Heimat, Frieden in der ganzen Welt«. Die Regierungen, die in den darauffolgenden Jahrzehnten das Land beherrschten hielten sich zwar nicht an den »Frieden in der Heimat«, aber wenigstens - im Großen und Ganzen - an den »Frieden in der Welt«. Einmal abgesehen von der Militäroperation in Zypern im Jahr 1974, zog die türkische Armee in Anatolien zu Felde, griff aber nie ein anderes Land an.
Die islamistische AKP und ihr autoritärer Führer Recep Tayyip Erdoğan haben auch hier - wie in vielen anderen Bereichen - mit einem Grundsatz gebrochen. Nach der Militäroffensive »Fırat Kalkan« (Operation Euphrat) im August 2016 zur Verhinderung einer Vereinigung der kurdischen Kantone Kobani und Afrin im nordsyrischen Rojava, wurde am 20. Januar die Operation »Olivenzweig« gestartet, um Afrin zu besetzen. Diese Invasion richtet sich gegen Kurden, die auf dem Territorium des Nachbarlandes Syrien leben. Sie richtet sich aber natürlich auch gegen alle Kurden, die in der Region leben.
Yücel Özdemir wurde 1968 in der türkischen Stadt Varto geboren. Er lebt mit seiner Familie in Köln.
Neben seinem Mathematikstudium an der Universität Istanbul war Özdemir verantwortlicher Redakteur der linken Wochenzeitschrift "Gerçek" (Realität), der Vorläuferin der Tageszeitung "Evrensel". Nach der Veröffentlichung eines geheimen Militärprotokolls, in dem es um die Bespitzelung von Kurden, Aleviten und Linken ging, machte ihm die türkische Justiz den Prozess wegen „Landesverrats“. Er flüchtete im August 1993 nach Deutschland. Seit Jahren schreibt Özdemir für "Evrensel" Berichte und Kolumnen aus Deutschland. Er gehört zu den 50 Journalisten, die beim NSU-Prozess einen ständigen Beobachterplatz erhalten haben und teilt seinen Platz mit "neues deutschland".
Am Wichtigsten dabei ist, dass dieser Krieg von Atatürks Partei, der Republikanischen Volkspartei (CHP), unterstützt wird. Der einzige Einwand des CHP-Chefs Kemal Kılıçdaroğlu gegen die Vorbereitungen auf den Afrin-Krieg war, man müsse aber »zuerst die Luftschläge arrangieren«. Dies ist passiert. Und so hat die Partei Atatürks zur Beseitigung der einstigen türkischen Außenpolitik beigetragen. Ein weiteres Mal, dass die CHP es vorzog, Erdoğan und nicht ihrem Gründer zu folgen.
Nicht nur die CHP, sondern auch andere nationalistische und konservative Parteien und Organisationen unterstützen die Besatzung, da sie sich gegen Kurden richtet. So bewahrheitet sich Erdoğans Kalkül, dass der Angriff auf Afrin im Wesentlichen eine innere Angelegenheit sei, und bereits Wahlkampf. Denn die nationalistischen Kräfte, die sich ihm bislang widersetzten, stehen nun hinter ihm, bereit, alles für die »Verteidigung der Heimat« zu tun.
Auch die Presse unterstützt den Krieg. Am zweiten Tag der Operation »Olivenzweig« hat Ministerpräsident Binali Yıldırım alle Medien - außer der linken und kurdischen Presse - versammelt und eine 15-Punkte-Liste vorgelegt, die diese bei der Berichterstattung über den Krieg zu befolgen haben. Gleichzeitig drohte er denen, die dies nicht tun. Etwa zur gleichen Zeit erklärte Erdoğan, man werde alle Antikriegsproteste unverzüglich auflösen. Die Ankläger gingen sofort in Aktion über: Allein zwischen dem 20. und 22. Januar wurden Ermittlungen gegen 57 Personen eingeleitet. Viele bekannte Journalisten - so Nurcan Baysal, İshak Karakaş und İsmail Eskin - wurden wegen ihrer Kommentare in sozialen Medien inhaftiert. Meltem Cumbul und Ceylan Edem, beide renommierte Künstler, wurden in sozialen Medien gelyncht, weil sie »Frieden in der Heimat, Frieden in der Welt« gepostet hatten.
Kurz gesagt: Der »anderen Türkei« ist es verboten, den Frieden gegen den Krieg zu verteidigen und die Regierung zu kritisieren. Wer aber »Krieg!« schreit, dem steht es frei, Hass gegen Kurden zu verbreiten. Der Krieg gegen Kritiker der Regierung wurde aufgrund des Krieges gegen Afrin in einer neuen Intensität wieder aufgenommen. Damit ist die Situation für Erdoğan-Gegner noch einmal schwieriger geworden. Und die Tatsache, dass das Regime von Deutschland und anderen europäischen Ländern für die Militäroperation keine Kritik erfährt, erleichtert es Erdoğan, Kritiker zu verfolgen.
Doch trotz der sich verschlechternden Bedingungen versucht die »andere Türkei« auch weiterhin, gegen das Regime zu kämpfen. Die Kurden und progressiven links-sozialistischen Kräfte sind nicht hilflos und - das ist am wichtigsten - nicht unorganisiert. Niemand im Land erwartet, dass der Krieg bald zu Ende geht. Vielleicht wird das Ende des Regimes, das Erdoğan errichten will, durch die Operation »Olivenzweig« herbeigeführt, deren Dauer unbekannt ist.
Wer weiß ...
Aus dem Türkischen von Nelli Tügel. Die etwas längere Textfassung auf Türkisch ist hier zu lesen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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