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Kopftuch, jes, jes, jes...
Weingummi-Marke provoziert neue Debatte über Verschleierung durch Model mit Hijab / Feministinnen verweisen auf aktuelle Proteste in Iran
Der Blutdruck von »Emma«-Leser*innen ist nach der Einführung der Kopftuch-Barbie noch nicht wieder gesunken, da sorgt die Weingummi-Marke Katjes mit einem verschleierten Werbemodel für die nächsten 180 mmHg. In ein Hijab aus hellem Bonbon-Rosa gehüllt kaut eine von drei neuen Katjes-Protagonistinnen vegane Fruchtgummis, die also auch halal sind, ohne Schweinegelantine. #achtemaldrauf lautet der dazugehörige Slogan.
Der Zeitpunkt zum Launch dieser neuen Kampagne ist mindestens ungeschickt gewählt – angesichts der aktuellen Proteste gegen den Kopftuchzwang in Iran. Seit Dezember fordern Frauen am »Weißen Mittwoch« die Abschaffung des Zwangs zum Schleier. Bis jetzt wurden mindestens 30 Frauen von der Polizei festgenommen. Die Proteste wachsen an und werden auch von gläubigen Muslim*innen unterstützt, die es ablehnen, dass Mädchen und Frauen ab neun Jahren in der Öffentlichkeit ein Kopftuch sowie einen langen, weiten Mantel tragen müssen.
Angesichts dieser Kämpfe liberaler Muslima gegen die Verschleierung gerät die Katjes-Werbung in harte Kritik – insbesondere im feministischen Magazin »Emma«, deren Gründerin Alice Schwarzer eine bekannte Kritikerin patriarchaler Strukturen im Islam ist. »#achtemaldrauf«, schreibt die Zeitschrift zur Kampagne: »Nicht nur im Iran, sondern auch in Nordafrika und im arabischen Raum wehren sich Frauen massiv gegen den expliziten oder impliziten Kopftuchzwang – mindestens auf Kosten ihrer gesellschaftlichen Reputation, teilweise sogar unter Einsatz ihres Lebens.« Befürchtet wird, dass diese Katjes-Werbung ebenso wie die Einführung der Kopftuch-Barbie zur Normalisierung der Verschleierung beiträgt und die Kämpfe liberaler Muslima in Deutschland gegen eine konservative muslimische Kultur schwächen könnte. Studien gehen davon aus, dass über 70 Prozent der in Deutschland lebenden Muslima es ablehnen, ein Kopftuch zu tragen.
Auch in den Sozialen Medien löste die Katjes-Kampagne einen Shitstorm aus. Nutzer twitterten das Symbolbild der feministischen Kämpfe in Iran zusammen mit einem Screenshot aus der Werbung. Der Anti-Beschneidungs-Aktivist Ali Utli aus Köln stellte gar Nazi-Vergleiche an: »Genauso gut hätte Katjes 1936 auch eine junge Frau mit der Uniform des BDM (Bund deutscher Mädel) und dem Slogan ‘Der Führer ißt vegan’ vermarkten können«, schrieb der deutsch-türkische Islamkritiker auf Twitter – und erntete dafür selbst Kritik. Die AfD Offenbach nennt die Werbung einen »Schlag ins Gesicht für alle Frauen, die muslimischer Unterdrückung entfliehen wollen«, und warnt gleichzeitig vor einer Islamisierung Deutschlands.
Doch die Meinung ist gespalten. Neben dem Shitstorm finden sich auch viele Tweets liberaler Nutzer*innen christlichen Hintergrunds, die auf kulturelle Vielfalt pochen. Muslim*innen mit Kopftuch twittern über ihre Freude, in der Kampagne repräsentiert zu werden, als Teil der deutschen Gesellschaft. Die Frage, die in den aktuellen Protesten in Iran sehr präsent ist – nämlich die der Entscheidungsfreiheit einer Frau, ein Kopftuch zu tragen oder eben nicht – bleibt in der Debatte bislang unterbelichtet.
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