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Längst nicht alles gesagt, nicht alles getan

Rück- und Ausblicke anlässlich 25 Jahre Gedenkstättenreferat in der Topographie des Terrors

Das hat man nicht erwartet. Ausgerechnet an diesem Ort, dem einstigen Ort der Täter, der Verbrecherzentrale von Gestapo und SS, das diskreditierende Wort vom »verordneten Antifaschismus in der DDR« zu hören. Mit einem Unterton, als wäre dieser eine Ausgeburt des Bösen gewesen, schlimmer als die Pestilenz. Auch die westlichen Besatzungsmächte mussten nach 1945 (oder versuchten es zumindest) den Deutschen Antifaschismus verordnen. Entnazifizierung, Re-Education. Im alsbald beginnenden Kalten Krieg wurde dies indes aufgegeben. Was vielen Deutschen zupass kam. Und, so wäre weiter zu fragen, stünde es nicht der heutigen Bundesrepublik gut an, Antifaschismus zur Staatsdoktrin zu erheben? Wäre dies nicht ein Gebot der Stunde, angesichts der Wiederkehr unheilvollen Gedankengutes?

Zur Ehrenrettung der Topographie des Terrors in Berlins Mitte sei erwähnt, dass nur ein Redner, ein Gastreferent, »verordneten Antifaschismus« als etwas offenbar Unanständiges empfand. Allerdings erntete er keinen Widerspruch. Dabei kann man trefflich über die Ausformung oder Aushöhlung des »verordneten« und wahrhaft gelebten Antifaschismus im Laufe der 40-jährigen Existenz der DDR disputieren. Ja, das ist sogar notwendig. Fakt ist aber auch, dass dem vereinten Deutschland zunehmend Antifaschisten entschwinden. Nicht nur ob der biologischen Uhr. Und das ist bedenkenswert, bedenklich.

Die Topographie feierte am Dienstagabend 25 Jahre Gedenkstättenreferat. Zu Recht mit Stolz. Andreas Nachama, Direktor der Stiftung Topographie des Terrors, erinnerte daran, wie alles begann. Franz von Hammerstein, jüngerer Bruder von Mitverschworenen des Hitler-Attentäters Stauffenberg und selbst Mitbegründer und langjähriger Vorsitzender der Aktion Sühnezeichen, schlug Anfang der 1990er Jahre vor, »sein« Gedenkstättenreferat mit der noch im Aufbau befindlichen Topographie zu vereinen. Reinhard Rürup, damals wissenschaftlicher Direktor der Topographie, nahm die Offerte an und übernahm Thomas Lutz, der das Gedenkstättenreferat schon zehn Jahre als Ein-Mann-Betrieb führte. Sukzessive wurde dieses erweitert, vor allem mit neuen Aufgaben betraut. Das Gedenkstättenreferat avancierte zu einer renommierten Informations- und Koordinierungsstelle, die von in- und ausländischen Gedenkstätten konsultiert wird, Bundesregierung und Landesregierungen berät sowie internationale Projekte, etwa der UNESCO, unterstützt. Der von ihr zunächst in bescheidener hektographierter Auflage herausgegebene »GedenkstättenRundbrief« ist inzwischen erste Quelle für alle, die sich über neueste Forschungen national wie international informieren möchten.

Kultursenator Klaus Lederer (Linkspartei) dankte den Mitarbeitern der Topographie, die »über Trauerarbeit hinaus eine intensive historische Auseinandersetzung mit der NS-Diktatur« auf streng wissenschaftlicher Basis leisten. Das Gedenkstättenreferat sollte in einer Zeit, da wieder lautstark ein »Schlussstrich« gefordert wird, »eine zentrale, nicht zentralisierende Funktion in der dezentralen Gedenkstättenlandschaft« einnehmen. Maria Bering, Leiterin der Referatsgruppe »Geschichte und Erinnerung« bei der Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU), stimmte in das Lob ein; die »Topographie« mache »mit großer Fachkompetenz und Sensibilität« Geschichte greifbar. Wenngleich das Gedenkstättenreferat in der öffentlichen Wahrnehmung nicht so präsent ist, sei dessen Bemühen um weitere Vernetzung zur Teilung und Mehrung von Wissen wichtig - gerade wegen der wachsenden zeitlichen Distanz zur NS-Diktatur und den weniger werdenden Zeitzeugen. Bering referierte die Beobachtung von Gedenkstättenmitarbeitern, immer mehr Schulklassen würden mit immer weniger Vorwissen Orte einstigen Terrors und Leidens aufsuchen. Ein Problem, das Detlef Garbe, Leiter der KZ-Gedenkstätte Neuengamme in Hamburg (der eingangs erwähnte Gastreferent mit dem Hinweis auf den »verordneten Antifaschismus in der DDR«), bestätigte. Er kritisierte zudem die in aktuellen Diskursen auftauchende Diktion von »Zwangsbesuchen«. Notwendig sei natürlich stets eine solide schulische Einbettung der Exkursionen zu KZ-Gedenkstätten, die als Projekttage organisiert werden sollten, die Schüler zu eigenen Erkundungen ermuntern.

Garbe berichtete auch über die Sorge von Holocaust-Überlebenden ob nationaler und nationalistischer Abschottungen autokratischer Regime und Gefährdungen der Friedensordnung. Andererseits sei, gar in der Mitte der Gesellschaft, zunehmendes »Unbehagen über die Erinnerungskultur« hierzulande zu registrieren, das sich im Ruf nach »Befreiung vom Schuldkult« und in der Verunglimpfung des Zentralen Holocaust-Mahnmals der Bundesrepublik als ein »Schandmal« manifestiert. Der Kampf um Umgang mit und Deutung der NS-Vergangenheit sei weiterhin eine »heiße Geschichte«. Zuvor hatte Garbe darauf verwiesen, dass man sich erst Anfang der 1980er Jahre in der Bundesrepublik zu vergewärtigen begann, wie stark, und zwar netzartig, Deutschland mit Konzentrations- und Arbeitslagern überzogen war. Man entdeckte nun »die vergessenen Lager vor der eigenen Haustür«. Zuvor gab es in der Bundesrepublik nur einzelne Gedenkstätteninseln (Beispiel Dachau), die zudem erst entstanden, als die DDR Nationale Mahn- und Gedenkstätten bereits eingerichtet hatte.

Den Abend in der Topographie beschloss ein Podiumsgespräch über Staatsverbrechen und deren Aufarbeitung im internationalen Vergleich, moderiert von Thomas Lutz. Carol Gluck von der Columbia University in New York, die weltweit - »zum Leidwesen meines Mannes auch im Urlaub« - Kriegsmuseen besucht, vermisst historische Kontexte in asiatischen Erinnerungsorten. In Japan dominierte bislang die Sicht, sich als Opfer der eigenen militärischen Elite und zweier US-Atombombenabwürfe zu sehen und die Jahre 1941 bis 1945 als nationale Tragödie zu empfinden. Die Aggressionen gegen China in den 1930er Jahren, das Massaker von Nanking, die koreanischen Zwangsprostituierten (»Trostfrauen«), Kriegsverbrechen in Indochina, Mittäterschaften werden langsam,zaghaft thematisiert. Alexander Hasgall aus Genf konstatierte unterschiedliche Dynamiken der Aufarbeitung der Militärdiktaturen in Südamerika, so in Argentinien, Peru und Chile, während Uwe Bergmeier, in der Zivilkonfliktberatung in Afrika tätig, auf dem schwarzen Kontinent kein institutionalisiertes Gedenken fand. Existenzielle Probleme, Flucht vor Armut und Bürgerkriegen vereiteln in Kenia, Uganda und Sudan Fragen nach der Verantwortlichkeit für interethnische Gewaltexzesse. Juristische Aufarbeitungsversuche des Internationalen Strafgerichtshof endeten in Desaster und spalten die Völker, statt sie über die Wahrheit auszusöhnen.

Kurzum, dies war ein Abend, der bewies, dass global bezüglich der Erinnerung und des Gedenkens an die Opfer von Völkermord und Verbrechen wider die Menschlichkeit längst nicht alles gesagt, nicht alles getan ist.

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