Die Erdbahn gab den Meerestieren den Rest
Klimaerwärmung und Sauerstoffmangel im Wasser waren Ursachen des großen Artensterbens am Ende des Devon. Von Ingrid Wenzl
Vor rund 370 Millionen Jahren spielte sich das Leben noch hauptsächlich in den Ozeanen ab. Der Meeresspiegel lag damals so hoch, dass sich an den Kontinentalsockeln ausgedehnte Korallenriffe bildeten. Große Raubfische regierten die Meere, unter ihnen bis zu zehn Meter lange Panzerfische sowie Haie und erste Knochenfische. Pflanzen breiteten sich auf allen Landmassen aus, es entstanden erste Wälder aus bis zu 30 Meter hohen Schachtelhalmen, Urfarnen und Bärlappgewächsen. In diese Zeit fällt das zweite der fünf großen Artensterben der Erdgeschichte: Den sogenannten Kellwasserereignissen - benannt nach Kalksteinformationen des Kellwassertals im Oberharz - fielen rund Dreiviertel der marinen Arten zum Opfer, unter ihnen Ammoniten, Armfüßler, Panzerfische und viele der damaligen riffbildenden Tierarten.
Über die Gründe dafür wird in der Wissenschaft bis heute gerätselt. Während die einen große Vulkanausbrüche dafür verantwortlich machen, vermuten andere einen Meteoriteneinschlag ähnlich dem, der vor 67 Millionen Jahren die Dinosaurier ausgelöscht haben soll. Gute Belege gibt es dafür, dass im Devon nicht nur das Erdklima insgesamt, sondern auch die ozeanischen Bodenwasser deutlich wärmer waren als heute. Nur langsam zirkulierte das Meerwasser zwischen Polen und Äquator.
Während mehrerer Phasen starken Sauerstoffmangels in den Weltmeeren wurde ein Großteil des Lebens dort buchstäblich erstickt. Dies beweisen Schwarzschiefer-Funde aus der damaligen Zeit: toniges, kohlenstoffreiches Sedimentgestein marinen Ursprungs. »Wenn es im Ozean zu wenig Sauerstoff für eine erfolgreiche Verrottung gibt, wird das organische Material in den Sedimenten gespeichert«, erklärt der Geologe David De Vleeschouwer vom Zentrum für Marine Umweltwissenschaften der Universität Bremen (MARUM).
In einer Anfang diesen Jahres in der Fachzeitschrift »Nature Communications« (DOI: 10.1038/s41467-017-02407-1) veröffentlichten Studie vertreten er und sein internationales Team die These, zyklische Änderungen der Erdumlaufbahn und Erdachsenstellung, hätten den letzten Ausschlag für das Massenaussterbeereignis gegeben.
De Vleeschouwer und Kollegen untersuchten Proben devonischen Schwarzschiefers aus Belgien, Polen, Kanada, den USA und China. Anschließend verglichen sie den Rhythmus dort sichtbarer Veränderungen mit den astronomischen Zyklen. Die Erdumlaufbahn variiert alle 100 000 Jahre von einer Ellipse zu einem Kreis, die Erdachsenstellung alle 40 000 Jahre. Dabei zeigte sich, dass der Hauptimpuls des Massenartensterbens in eine Periode fiel, in der sich die Erde fast kreisförmig um die Sonne bewegte. In diesen Phasen ist das Klima recht stabil. »Damit verminderte sich in den Ozeanen die vertikale Zirkulation, die tiefere Wasserschichten mit Sauerstoff versorgt«, erklärt De Vleeschouwer. Auch gelang es den Forschern erstmals, den Zeitraum zwischen den beiden Kellwasser-Ereignissen präzise zu benennen: Danach begann die zweite sauerstoffarme Phase der Ozeane bereits 600 000 Jahre nach der ersten.
Anlehnend an die These des US-amerikanischen Geologen Thomas Algeo aus den 1990er Jahren gehen De Vleeschouwer und sein Team davon aus, die sich ausbreitenden Landpflanzen hätten über die Flüsse große Mengen Biomasse ins Meer getragen. Deren Abbau habe die letzten Sauerstoffreserven der Ozeane aufgezehrt. »Erst diese Kombination von Faktoren hat das Erdsystem über einen Kipppunkt getrieben und zu dem Massenaussterben geführt«, so De Vleeschouwer.
Ralph Thomas Becker, Professor am Institut für Geologie und Paläontologie der Uni Münster, hält die These bezüglich der Rolle der Erdbahnparameter für durchaus plausibel, kritisiert jedoch, es gebe noch besseres Material. So sollten die Ergebnisse etwa noch an einem guten deutschen Schwarzschiefer-Profil überprüft werden. Skeptisch steht Becker dagegen Algeos Landpflanzentheorie gegenüber: Die eigentliche Entstehung großer Wälder sei erst später, im Carbon, erfolgt, und Schwarzschiefer habe man nie in Küstennähe gefunden.
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