- Kultur
- Literatur
Der Feind meines Feindes
Jakob Hein erinnert an eine Zeit, in der Deutschland die Muslime zum Dschihad aufrief
Für einen Autor, der im arbeitsintensiven Hauptberuf Psychiater mit eigener Praxis ist, hat der 46-jährige Jakob Hein eine erstaunliche Liste belletristischer Veröffentlichungen vorzuweisen. Seit der Sohn des Schriftstellers Christoph Hein in den späten 1990er Jahren als Teil der Berliner Lesebühnenszene ins Licht der literarischen Öffentlichkeit trat, erschienen in kurzen Abständen Romane, Erzählungen, Satiren, humoristische Essays und, gemeinsam mit Kurt Krömer, auch ein wunderbares Kinderbuch.
Wenn man all diese Titel auf einen Nenner bringen sollte, käme man rasch auf den Begriff der Schelmenliteratur. Einen historischen Roman, wie er ihn jetzt vorlegt, hat Hein zuvor indessen noch nicht geschrieben. Freunden seiner schnörkellosen Komik kann aber versichert werden, dass das Schelmische auch im Setting des Ersten Weltkriegs nicht ganz auf der Strecke bleibt.
In Zeiten, in denen die Angst vor militanten Auswüchsen des religiösen Fundamentalismus den Nährboden für antiislamische Stimmungen bildet, erscheint der Handlungskern dieses Romans unerhört, ja nachgerade absurd. Er basiert aber auf gesicherten Fakten: Auf Geheiß Kaiser Wilhelms II. entwickelte der deutsche Orientalist und Diplomat Max von Oppenheim bereits 1914 den Plan, mit Hilfe des verbündeten Sultans von Konstantinopel den heiligen Krieg aller Muslime zu entfachen. Ziel des letztlich am Unwillen und an der Heterogenität der muslimischen Gemeinschaften gescheiterten Unterfangens war es, die gegnerische Entente-Mächte England, Frankreich und Russland durch die befeuerte Rebellion in deren Kolonien zu schwächen - und die Deutschen so an der Hauptfront zu entlasten.
Nur etwas mehr als hundert Jahre ist es also her, dass man in Deutschland den Dschihad nicht etwa als existenzielle Bedrohung, sondern vielmehr als politisches Instrument zum eigenen Nutzen betrachtete. Ganz ähnlich wie übrigens auch die Bolschewiki. »In der Schweiz«, lässt Jakob Hein einen seiner historisch verbrieften Strategen im Reichskolonialamt sagen, »haben wir einen Uljanow zu sitzen, […], ein ganz und gar grässlicher Mensch, obwohl er eigentlich adliger Herkunft ist. […] Dieser Uljanow ist einer der schärfsten Gegner von Zar Nikolaus. Also lassen wir ihn gewähren, mehr noch: Es gibt schon Überlegungen, wie wir Uljanow auf unserer Kosten nach Russland befördern können. Einen russischen Sozialisten! Aber so geht eben Insurrektion. Wir können uns die Feinde unserer Feinde nicht aussuchen.«
Jakob Hein musste die Geschichte, die er erzählen wollte, so wenig erfinden wie die meisten der darin handelnden Personen. Als Autor oblag es ihm aber, sie nach seiner Vorstellung und nach seinen Fähigkeiten auszumalen. Das gelingt ihm so schlicht wie grandios. Er bedient sich dabei einer überwiegend nüchternen, leicht verständlichen Sprache und eines Kompositionsprinzips, das uns Leser sukzessive aus verschiedenen Richtungen in das Geschehen zieht. Jedes Kapitel ist mit den Namen wechselnder Akteure überschrieben, deren Geschicke sich allmählich annähern, überlagern und schließlich miteinander verweben. Ins Zentrum rückt dabei immer mehr der titelgebende Leutnant Edgar Stern, ein sympathischer Pfiffikus mit jüdischen Wurzeln - der Schelm dieses Buches, wenn man so will.
Nachdem Sterns Idee, den Suez-Kanal zu sprengen, um den Engländern die überlebenswichtigen Handelswege abzuschneiden, auf Eis gelegt wurde, betraut man ihn mit der Begleitung einer als Zirkustruppe getarnten Ansammlung muslimischer Kriegsgefangener nach Konstantinopel. Dort sollen sie als deutsche Delegation der Ausrufung des Dschihad durch den Sultan beiwohnen und werden nach einer abenteuerlichen Bahnreise durch teils verfeindetes Gebiet tatsächlich euphorisch empfangen. Nach getaner Pflicht allerdings werden sie fallengelassen - nur nicht von Stern.
Jakob Heins Buch handelt zwar von einem geopolitischen Komplott, es wirft Schlaglichter auf den Dünkel der deutschen Diplomatie, auf die Instrumentalisierung maghrebinischer Rekruten durch wechselnde Kriegsmächte, auf die deutsche Duldung des türkischen Vernichtungszugs gegen die Armenier und einiges mehr, aber es tut all dies in einer Wärme, die staunen macht. Die Menschen, denen Jakob Hein literarisches Leben einhaucht, bleiben uns inmitten der Kriegsmaschinerie allesamt unglaublich nahe. Es scheint, als sei die Liebe des Autors zu seinen Figuren zu groß, als dass er das Böse in ihnen walten sehen könnte.
Vielleicht liegt darin der eigentliche Reiz dieses kurzen Romans: Er zeigt die verheerende Wirkung der Konstruktion von Feindschaften, ohne sich selbst darauf einzulassen. Dem einzelnen Menschen, jedem, bleibt er freundlich gesinnt.
Jakob Hein: Die Orient-Mission des Leutnant Stern. Roman. Galiani Berlin, 242 S., geb., 18 €.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.