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Mei Lohn geheert in meine Hand
Die Revolution hängt in den Seilen: »Die Weber« von Gerhart Hauptmann am Schauspiel Köln, Regie: Armin Petras
Die Werktätigen wissen, wer sie ausbeutet. Organisiert sind sie auch. Den Kapitalisten wähnen sie sich haushoch überlegen. »Alle Räder stehen still. / Wenn dein starker Arm es will« - das hatten diese Leute schon verinnerlicht, bevor Georg Herwegh es 1863 ins »Bundeslied für den Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein« schreiben sollte. Dennoch kämpfen sie jetzt auf verlorenem Posten. Hundert Jahre nach Herwegh dozierte Rudi Dutschke im Fernsehinterview mit Günter Gaus, in Deutschland könnten nur rechte Minderheiten siegen. Linke, befand die Galionsfigur der bundesrepublikanischen »68er«, benötigten eine Mehrheit für einen erfolgreichen Umsturz, mögen die Verhältnisse auch noch so elend sein.
Regisseur Armin Petras hat sich für seine Inszenierung von Gerhart Hauptmanns »Die Weber« am Schauspiel Köln entschieden, das uralte Stück mit genau dieser historischen Perspektive neu aufzulegen. Seine Version des nur noch selten gespielten Stoffes ist kein schön anzusehendes Proletenmärchen. Petras will auch nicht, wie Hauptmann zur Zeit der skandalumwitterten Uraufführung 1894, revolutionären Optimismus vermitteln. Nein, das Publikum erhält eine dreistündige Geschichtslektion, wie sie der Schulunterricht selbst unter Aufbietung aller heutzutage verfügbaren Medien kaum bildgewaltiger präsentieren könnte.
Schon die Bühne von Olaf Altmann ist ein Ereignis für sich. Zwischen Zuschauern und Ensemble steht ein riesiger Webrahmen mit straffen Seilen. Dem Auge erscheint das Setting so weitläufig und offen, und doch behindert es den freien Blick in seiner durchsichtigen, aber kaum durchdringlichen Struktur. Das Ding ist eine Wand, die das spätmoderne Bürgertum von der Arbeiterklasse des frühen Industriezeitalters zugleich trennt und mit ihm vereint. Die einen können nicht ohne die anderen sein. Eine Klassengesellschaft - das unterscheidet sie vom Phantasma sozial durchlässiger Schichten - funktioniert nicht nur hierarchisch, sondern auch relational. Der alte Brecht hat’s sich schon richtig zusammengereimt: »Reicher Mann und armer Mann / standen da und sahn sich an. / Und der Arme sagte bleich: / ›Wär ich nicht arm, wärst du nicht reich.‹«
In diesen Seilen arrangieren die mehr als 15 Schauspieler ihre Rollen so akrobatisch, dass sie den mit schlesischem Zungenschlag versehenen Text in den Zuschauerraum kunstvoll hineinturnen. Dabei liegt der Akzent dieser Aufführung gar nicht im Pompösen. Die für heute noch bedeutsame Seite des Stücks kommt in den leisen Passagen zum Tragen, die von Stolz und Respekt erzählen. Da fordert ein Arbeiter seine Bezahlung, von der er sagt, sie sei »a schäbiges Almosen, aber kee Lohn«. Der Fabrikant knallt das Geld hastig auf den Tisch. Die Münzen rollen auf die Dielen. Worauf der Arbeiter den Arm ausstreckt und sich von den Kollegen erheben lässt: »Mei Lohn geheert in meine Hand. Hieher geheert mei Lohn.« Bevor der im feinen Zwirn polternde Chef explodiert, eilt der Lehrling herbei, hebt das Zeug auf und legt es dem Arbeiter auf die Handfläche.
Während der Zorn der Geknechteten zum Happening reift und die Revolte in ein choreographiertes Tanzevent hinübergleitet, bestellt der Fabrikant die Staatsmacht und die Kirche an seine an Buñuel-Filme erinnernde Dekadenztafel. Seine Arbeiter, zürnt er, die haben sich früher auch nie beklagt! Diese »Humanitätsdusler« - ein heutiger Kapitalist würde sagen: »Gutmenschen« - die haben den Leuten überhaupt erst diesen Floh ins Ohr gesetzt! Und nun komme doch bitte mal einer her »und rücke ihnen den Kopf wieder zurecht«!
Gezeter folgt auf Demonstration, Gewalt auf Protest und Wehklagen auf Prügel. Armin Petras ist so vernarrt in seine Einfälle, dass er von Berliner Mauerspringern über die Nacktärsche der Kommune 1 bis zu Pussy Riot alles in den Abend hineingepresst haben dürfte, was im Probenprozess an guten Ideen entstanden ist. Die Inszenierung lebt von ihren Bildern, also von jenen vergegenständlichten Geistesblitzen und plastisch dargebotenen Schlaglichtern, die dem nicht mehr ganz taufrischen, aber im Original vorgetragenen Stücktext eine Relevanz schenken, ohne ihn auf den Klassikersockel zu stellen.
Als misstraue er Hauptmanns naturalistischem Furor, lässt Petras kurz vor der großen Niederlage einen Lumpensammler zum vorderen Bühnenrand treten und Georg Büchners Verurteilung eines Gesetzes deklamieren, »das die große Masse der Staatsbürger zum frohnenden Vieh macht, um die unnatürlichen Bedürfnisse einer unbedeutenden und verdorbenen Minderzahl zu befriedigen«. Je weiter der dünne Handlungsfaden sich abrollt, desto tiefer senkt sich der Webrahmen dem Bühnenboden entgegen.
Ganz am Ende, wenn alle Hoffnung verschwunden ist, da kommt das wuchtige Ungetüm endlich auf dem Geläuf an. Die Aufständischen, von denen jeder seinen ganz eigenen Charakter ausgestellt hat und trotzdem im Kollektiv aufgegangen ist, sie symbolisieren die jämmerlich in den Seilen hängende Revolution. Und wieder intoniert im Hintergrund jemand Tracy Chapman: »Don’t you know / They’re Talkin’ ’bout a Revolution / It sounds like a whisper.« Das Reden von der Revolution ist zwar noch allgegenwärtig, aber es klingt nurmehr wie ein Flüstern. Denn selbst der rhetorisch Radikalste traut sich aus Angst vor der öffentlichen Degradierung zum Naiven nicht mehr, wirklich ans Eingemachte zu gehen.
Nach dem Ende der Systemkonkurrenz von gezähmtem Kapitalismus und pervertiertem Sozialismus sind sich offenbar alle einig, dass die kapitalistische Wirtschaftsform die beste aller machbaren Welten ist. Wer das anders sieht, der macht sich lächerlich. Bestenfalls. Welch schöne Pointe: Armin Petras und sein ausgezeichnet harmonierendes Ensemble antworten mit einem Vorzeigewerk des Naturalismus auf die etablierte Unart, eine menschengemachte Gesellschaftsordnung mit einem Naturgesetz zu verwechseln.
Nächste Vorstellungen: 25. Februar, 18. März
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