200 Euro mehr in die Lohntüte

Höhere Einkommen sollen nach dem Willen der Gewerkschaften den öffentlichen Dienst attraktiver machen

Sie sind S-Bahnfahrer, Feuerwehrleute und Krankenschwestern. Sie holen den Müll ab, pflegen Parks, arbeiten in Bürgerämtern, Jobcentern oder Kitas. Kaum eine Branche ist so vielgestaltig wie der öffentliche Dienst, für den an diesem Montag in Potsdam die Verhandlungen über Löhne und Arbeitsbedingungen beginnen.

Dabei geht es um rund 2,3 Millionen Menschen, die in Kommunen und beim Bund arbeiten. Indirekt verhandelt ver.di auch für die Bundesbeamten mit. Der geschäftsführende Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) sicherte bereits zu, den Abschluss zu übertragen. Das war nicht immer der Fall. De Maizière wird wahrscheinlich nur beim Auftakt der Tarifrunde dabei sein und dann an Horst Seehofer von der CSU übergeben, der ihm im Amt folgen dürfte.

Es wird eine klassische Lohnrunde werden. Die Gewerkschaften ver.di und GEW, der Beamtenbund sowie die Gewerkschaft der Polizei fordern sechs Prozent mehr Gehalt, mindestens aber 200 Euro mehr im Monat. Das soll den Rückstand zu den Löhnen in der Gesamtwirtschaft verringern und die Beschäftigten an der guten wirtschaftlichen Entwicklung beteiligen. Schon seit vier Jahren nähmen Bund, Länder und Kommunen mehr ein, als sie ausgeben, erklärt ver.di-Bundesvorstandsmitglied Wolfgang Pieper, der zusammen mit ver.di-Chef Frank Bsirske die Verhandlungen führen wird.

Das Jahr 2017 habe einen Überschuss von 36,6 Milliarden Euro gebracht und auch für die nächsten Jahre prognostizierten sämtliche Wirtschaftsforschungsinstitute vier bis fünf Prozent mehr Steuereinnahmen, rechnet er vor. Deshalb will ver.di diesen Vertrag auch nur für ein Jahr abschließen und dann neu verhandeln.

Die Arbeitgeberseite hat die Forderungen bereits zurückgewiesen. Schon richtig, sagen der Präsident der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände, Thomas Böhle und der Bundesinnenminister unisono, die Einnahmen mögen zwar hoch sein. Aber die Schulden und der Investitionsrückstand in vielen Kommunen seien es auch. Was bei den Löhnen abgesahnt werde, fehle für Schultoiletten und Straßenbau. Die Gewerkschaften kennen diese Totschlagargumente und kontern: Leere Kassen seien die Folge einer verfehlten Haushaltspolitik, die nicht von den Beschäftigten ausgebadet werden dürften.

Bei den letzten Verhandlungen vor zwei Jahren waren Städte, Gemeinden und der Bund erst nach massiven Warnstreiks bereit, ihren Beschäftigten rund 2,4 Prozent mehr zu zahlen. Die Länder schlossen 2017 ebenfalls mit 2,4 Prozent ab und blieben damit sogar noch unter dem »verteilungsneutralen Spielraum«. Diesmal wollen die Gewerkschaften für den öffentlichen Dienst mehr herausholen. Sie warnen: Bewegen sich die Arbeitgeber nicht, werden sich die Nachwuchsprobleme verschärfen.

Gute Löhne könnten den öffentlichen Dienst attraktiver machen, der offene Stellen etwa in Kitas oder Verwaltung nicht besetzen kann, weil es keine geeigneten Bewerber gibt. Besonders der Mindestbetrag von 200 Euro dürfte ein Knackpunkt werden. Die »soziale Komponente« stützt vor allem die unteren Lohngruppen, wie Wachpersonal oder Pflegehelfer. Nach Ansicht der Arbeitgeber würden diese aber längst besser bezahlt als bei privaten Anbietern.

Kürzere Arbeitszeiten, wie sie gerade bei der Metalltarifrunde im Mittelpunkt standen, will ver.di in dieser Tarifrunde nicht angehen. Grund genug gäbe es, denn viele Beschäftigte klagen über Überlastung. Anders als in der Industrie wählen aber schon jetzt viele als Ausweg die Teilzeit und verzichten damit auf Geld. Fast 46 Prozent der Tarifbeschäftigten sind es in den Kommunen, erklärt Wolfgang Pieper. In manchen Bereichen wie der Kinder-Jugendhilfe, wozu Kitas gehören, gebe es sogar mehr Teilzeit- als Vollzeitkräfte. Manche von ihnen würden allerdings auch gerne länger arbeiten.

Das zeigt einen Teil des Problems, auf das die Gewerkschaften noch Antworten suchen: Unterschiedliche Entwicklungen in den verschiedenen Bereichen des öffentlichen Dienstes könnten eine gemeinsame Forderung erschweren, heißt es in einer ver.di-Infobroschüre zur Tarifrunde. Offen sei zudem, wie man bei kollektiver Arbeitszeitverkürzung den Personalausgleich absichern kann, damit nicht Arbeitsverdichtung die Folge ist. »Bei der Krankenversorgung ist die Qualitätskontrolle schwieriger als beim Autobau«, sagt Pieper. Nicht zuletzt muss man Arbeitszeitverkürzung auch durchsetzen können. Und daran hat ver.di selbst erhebliche Zweifel.

Dennoch wollen die Gewerkschaften auch in dieser Runde mehr als nur Geld. So sollen etwa Schichtarbeiter weitere zusätzliche Urlaubstage bekommen. Und schließlich haben sie noch eine Forderung auf der Liste, die sich als echter Knaller herausgestellt hat: Es ist ein kostenloses Nahverkehrsticket für den öffentlichen Dienst. In Hessen gibt es das für die Landesbeschäftigten schon. Und der Bund denkt ja gerade ebenfalls in diese Richtung.

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