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Durch die Trutzburg weht ein frischer Wind

Künstler, Medienschaffende und Handwerker in einer früheren Kaserne beleben Hamburgs Stadtteil Altona-Nord

  • Volker Stahl, Hamburg
  • Lesedauer: 5 Min.

Wie Asterix und seine Freunde aus dem Dorf Kleinbonum den römischen Invasoren erfolgreich trotzen, widersetzt sich auch die Genossenschaft fux eG in der ehemaligen Viktoria-Kaserne (Altona-Nord) der Renditesucht einer Marktwirtschaft, die immer mehr sozialen Ballast abwirft. Aus einer Zwischenlösung ist nicht nur ein millionenschweres Sanierungsprojekt mit 40 fest angestellten Handwerkern entstanden, sondern auch ein bezahlbarer Freiraum für Kreative mit Anschluss ans Quartier.

Gute Gründe, um sich mal vor Ort umzuschauen: Die Führung durch die ehemalige preußische Zuchtanstalt übernimmt Kristina Sassenscheidt. Eine optimale Besetzung, denn die studierte Architektin liebt nicht nur alten Backstein, sondern ist nach sieben Jahren als Pressesprecherin des Denkmalschutzamtes seit 2016 verantwortlich für Projektsteuerung in der fux eG, die das 1885 fertiggestellte Gebäude zu einem Ort für Kultur, Bildung und Produktion umwandelt. »Ziel war es, erschwingliche Arbeits- und Atelierräume zu schaffen, die nicht mehr als knapp fünf Euro Kaltmiete kosten«, sagt die 40-Jährige.

Gewohnt wird nicht in der Viktoria-Kaserne

Die Kaserne wurde um 1880 in fünf Jahren gebaut, als Preußen Altona zum Garnisonschwerpunkt machen wollte. Nach dem Ersten Weltkrieg bestimmte der Versailler Vertrag: Das Militär muss raus! Die Polizei kam und blieb bis in die 1980er Jahre. In der Weimarer Republik waren dort stationierte Einheiten der Bereitschaftspolizei 1932 am Altonaer Blutsonntag beteiligt, als ein Nazi-Aufmarsch außer Kontrolle geriet und 18 Menschen starben. Nach 1945 richtete sich die britische Besatzungsmacht im Gebäude ein, das später als Unterkunft für Obdachlose, Opfer der Sturmflut 1962 und wohnungslose Familien diente.

2010 kamen die ersten Künstler. Das heute unter Denkmalschutz stehende Gebäude hat nach dem Ausbau rund 9000 Quadratmeter Nutzfläche. »Gewohnt wird hier nicht«, sagt fux-Projektleiterin Kristina Sassenscheidt, »es handelt sich um eine reine Gewerbeimmobilie.« Nur der Bildungsanbieter dock europe, der im Haus einen Seminarraum hat, betreibt 34 Übernachtungsmöglichkeiten – vor allem für Seminarteilnehmer und Besucher von Anwohnern. Die Preise sind fair: 22 Euro pro Nacht plus 5 Euro für Frühstück im Vierbettzimmer, das Doppelzimmer kostet 37,50 Euro. vs

Doch wer verstehen will, wie die einstige »militärische Trutzburg« zur Hochburg der Kreativwirtschaft avancierte, muss die Vorgeschichte kennen: 2010 bezogen rund 150 heimatlose Künstler die Reste des massiven Backsteinbaus am Zeiseweg, Ecke Bodenstedtstraße mit Zustimmung der Stadt. Den vorher im Frappant an der Großen Bergstraße untergekommenen Kreativen gefiel ihre neue Heimat. Als das Gebäude 2013 verkauft werden sollte, gründeten sie mit Freiberuflern, Medienarbeitern und Handwerkern die fux eG, um die Ex-Kaserne in eine kollektiv verwaltete Kreativimmobilie zu verwandeln. Nach einigem Hin und Her kauften die nun 230 Genossen das Ensemble zwei Jahre später für 1,85 Millionen Euro, zahlbar in fünf jährlichen Raten, die bis 2019 abgezahlt sind.

»Das war natürlich ein politischer Preis«, sagt Kristina Sassenscheidt, nicht zuletzt gedacht als Tribut an die vertriebenen Frappant-Künstler, die eine langfristige Perspektive bekommen sollten. Doch mittlerweile ist aus dem Ort mehr geworden als ein Auffangbecken für heimatlose Künstler. In den Ateliers, Studios, Büros und Werkstätten in der ehemaligen Viktoria-Kaserne arbeiten heute rund 150 Menschen aus den Bereichen Kunst, Kultur und Gestaltung.

Im Keller schleppen während unseres Rundgangs Handwerker und Helfer Holzlatten die Flure entlang, durch die ein Stimmengewirr wabert, oft unterbrochen von Hämmern und Bohrern. »Es gab hier einen Sanierungsstau von mehreren Jahrzehnten«, so Sassenscheidt, »die Kellerräume waren total durchnässt. Es wurde eine Feuchtigkeitssperre eingezogen, die Wände mussten neu verputzt werden.« Die Entfeuchtung dauert Jahre. Die ersten Bereiche sind trocken. 40 bei fux Festangestellte sind auf der Baustelle beschäftigt, darunter Genossen mit handwerklichem Hintergrund, die von Tischlerfirmen unterstützt werden. Auch Geflüchtete, die über die italienische Insel Lampedusa nach Hamburg kamen, haben Arbeitsverträge erhalten.

In den Räumen des ehemaligen Luftschutzkellers entstehen die Vereinsräume der Genossenschaft und nachbarschaftliche Einrichtungen wie der »Umsonstladen« und ein Jugendtreff. Das alles kostet Geld, viel Geld. Die milde Gabe der ZEIT-Stiftung, die 15 000 Euro lockermachte, ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Die erwarteten Gesamtkosten seien von prognostizierten viereinhalb auf nun zehn Millionen gestiegen, erzählt die Projektleiterin. Neben öffentlichen Geldern und Stiftungskapital werden auch von »investierenden Genossen« kleinere Beträge in das Projekt eingebracht. Ein durchaus lohnendes Geschäft für die Investoren, denn die Einlagen sind mit zwei Prozent verzinst. Ein Anteil kostet 500 Euro.

Auf dem Flur im ersten Stock klopft Kristina Sassenscheidt an eine Bürotür: »Theo, bist du da?« Theo Bruns vom Verlag Assoziation A ist da, aber auf dem Sprung nach München. Den Verlag aus dem linken Spektrum gibt es seit den 1970er Jahren. Die Titel der Bücher heißen »das kommunebuch«, »Der lange Sommer der Migration« oder »Wege durch den Knast«. Seit anderthalb Jahren hat der Verlag sein Büro in der Kaserne - wenn das die alten Preußen wüssten! »Wir sind aus der 68er-Bewegung heraus entstanden«, sagt Bruns, »durch die fux-Genossenschaft bot sich die wunderbare Gelegenheit, die alten Impulse wieder aufzunehmen.« Bruns, der das Hamburger Büro des in Berlin beheimateten Verlags leitet, fühlt sich als Teil des selbstverwalteten Modells wohl. »Es gibt hier sehr viele Synergieeffekte, auch die Ausrichtung in den Stadtteil hinein ist vorbildlich im Sinn der Stadtentwicklung von unten.«

Und bezahlbar sind die Gewerberäume auch. Die durchschnittliche Miete beträgt 4,80 Euro pro Quadratmeter, wobei Künstler weniger zahlen als beispielsweise Journalisten wie Christoph Twickel, der lange in der Bewegung »Recht auf Stadt« aktiv war. Im Ost-Flügel des ersten Stockwerks residiert der Chaos Computerclub. »Dort ist aber jetzt niemand anzutreffen, die sind eher nachtaktiv«, scherzt Sassenscheidt und verrät, wie es da aussieht: »Viele Rechner, alte Sofas und leere Mate-Flaschen.« Dann geht es zum Salon D, der von Friseurmeisterin Doreen Grahl betrieben wird. Sie erzählt, dass sie schon bei der Gründung von fux dabei war und seit einem Jahr »nutzende Genossin« sei. Sie habe sich im 45-Quadratmeter-Laden schnell heimisch gefühlt: »Sehr viele meiner besten Freunde haben hier ihren Arbeitsplatz.« Grahl ist mit dem Salon seit zehn Jahren eine Institution im Stadtteil und hat einen festen Kundenstamm.

»Die größte Herausforderung wird es sein, das Gebäude energetisch in den Griff zu kriegen«, erzählt Sassenscheidt. Der Einbau der doppelt verglasten Fenster erfolgt mithilfe der Hermann-Reemtsma-Stiftung, die 350 000 Euro dazugab. Die Rahmenfarbe orientiert sich denkmalgerecht an der grün-braunen Erstfassung. »An die dunkle Farbe werden sich einige vermutlich noch gewöhnen müssen«, wird Sassenscheidt später sagen, als kräftige Handwerkerhände die erste Fenster-lieferung in den Innenhof wuchten.

Die Tour endet beim Künstler Thomas Ehgartner, ein »Frappant-Vertriebener«. Er bereitet als Kurator gerade eine neue Ausstellung vor. Als Gäste erwartet er »viele Künstler und Leute aus dem Stadtteil«. Journalisten und Kunstkritiker ließen sich eher selten blicken. Auf eine Einladung der Presse zur Vernissage hat er verzichtet: »Bringt eh nichts, Hamburg ist eben eine Kaufmannsstadt und keine Kunsthochburg.« So wird vielen Ehgartners politische Kunst aus Abfall, an die Mittelmeerküste angespülter Hinterlassenschaften von Flüchtlingen, entgehen. Zuletzt hat er 30 Kilogramm Plastik aus Griechenland mitgebracht, darunter eine Rettungsweste, hinter der sich womöglich ein menschliches Drama verbirgt.

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