Kampf gegen befürchtete Engpässe
Thüringer Unternehmen suchen zunehmend im Ausland nach Azubis
Erfurt. Angesichts befürchteter Engpässe bei Fachkräften gehen Unternehmen in Thüringen gezielt im Ausland auf die Suche nach Auszubildenden. Industrie, Handwerk und Pflege haben dabei nicht nur ost- und südeuropäische Länder wie die Ukraine, Bulgarien und Spanien im Blick, ergab eine Umfrage der Deutschen Presse-Agentur. Zunehmend werben sie auch in Vietnam um Azubis. Dabei geht es um klassische Facharbeiter-Berufe wie Mechaniker ebenso wie um Kranken- und Altenpfleger oder Berufe im Gastgewerbe. Nach den aktuell verfügbaren Zahlen der Landesarbeitsagentur absolvierten Ende 2016 knapp 1200 Jugendliche mit ausländischem Pass in Thüringen eine Berufsausbildung, das waren vier Prozent aller Lehrlinge im Freistaat.
Die zahlenmäßig größte Gruppe bilden Vietnamesen (186) vor Spaniern (172), Ukrainern (84) und Bulgaren (74). Bei der Industrie- und Handelskammer (IHK) Erfurt, die 65 000 Betriebe in Mittel- und Nordthüringen vertritt, hat sich die Zahl ausländischer Azubis 2017 verdoppelt. Über 400 junge Leute aus rund 60 Ländern, darunter auch Geflüchtete, werden in den Mitgliedsbetrieben ausgebildet. Neben Vietnam liegt der Schwerpunkt auf der Ukraine. Im dortigen Lwiw hat die Erfurter IHK vor knapp einem Jahr eigens ein Bildungszentrum eingerichtet, in dem junge Leute auf eine Ausbildung in Thüringen vorbereitet werden.
»Der Zuspruch ist extrem gut«, sagt Thomas Fahlbusch, der für Ausbildung zuständige Abteilungsleiter der Erfurter IHK. Im Bildungszentrum erlernen junge Ukrainer zunächst die deutsche Sprache auf einem möglichst hohen Niveau. »Wir holen niemanden nach Deutschland, der nicht auf B2-Niveau Deutsch spricht«, so Fahlbusch. Angehende Elektroniker oder Metaller, die an hochmodernen Maschinen arbeiteten, müssten das »Fachdeutsch« schließlich beherrschen. Ähnlich läuft es in der IHK und Handwerkskammer Südthüringen mit vietnamesischen Jugendlichen, für die die beiden Kammern im vergangenen Herbst ein vom Land finanziell unterstütztes Pilotprojekt zur Berufsausbildung gestartet haben.
16 Jugendliche aus Vietnam absolvieren seit September in sieben Betrieben der Region ihre Ausbildung unter anderem zum Fleischer, Glas- und Gebäudereiniger und Informatiker. Vor dem Wechsel nach Thüringen haben sie in ihrem Heimatland einen einjährigen Deutschkurs absolviert. Bis 2020 sollen in Südthüringen 140 vietnamesische Lehrlinge eine Berufsausbildung durchlaufen - für die Kammer ein entscheidender Beitrag zur Fachkräftesicherung.
»Die Sprache ist ganz klar die schwierigste Barriere«, sagt Anett Grieser, stellvertretende Schulleiterin der Euro-Akademie Pößneck, an der seit zwei Jahren Vietnamesen zu Altenpflegern ausgebildet werden. Altenpfleger müssten sich nicht nur mit den Pflegebedürftigen verständigen können, sondern auch medizinische Anweisungen von Ärzten verstehen. Das falle den Azubis nicht leicht. »Und der Ostthüringer Dialekt macht ihnen noch zusätzliche Probleme.« Fachlich seien die Leistungen der vietnamesischen Pflege-Azubis gemischt, schätzt sie ein. »Es gibt die sehr Leistungsstarken, es gibt auch die, bei denen man Bedenken hat.«
Die oftmals erforderliche intensive persönliche Betreuung ausländischer Lehrlinge bedeutet für die Unternehmen zusätzlichen Aufwand. Nach Beobachtungen der Arbeitsagenturen sind deshalb vor allem größere Unternehmen mit eigenen Personalabteilungen dazu bereit. Kleinere Handwerksbetriebe tun sich damit schwerer. Hier geben es Vorbehalte wegen der sprachlichen Voraussetzungen und des Bildungsniveaus, so Frank Hohle, Geschäftsführer bei der Handwerkskammer Ostthüringen. Trotz des Bedarfs an Fachkräften vor allem im Bau- und Elektrogewerbe werbe die Kammer aber nicht gezielt um diese Gruppe. »Wir haben dafür viele Flüchtlinge in Ausbildung oder in der Berufsvorbereitung.« dpa/nd
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