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- Gewalt in Kolumbien
Tödlicher Frieden
In Kolumbien hat die FARC-Guerilla die Waffen niedergelegt - das Töten geht trotzdem weiter, meint Heike Hänsel
Die politische Gewalt wendet sich zunehmend auch gegen die linke Opposition, die für eine neue Ressourcen- und Sozialpolitik eintritt. Im laufenden Wahlkampf für die Präsidentschaftswahlen wurde vor wenigen Tagen bei einer offiziellen Veranstaltung das Auto des linken Präsidentschaftskandidaten Gustavo Petro beschossen. Die Botschaft war klar: Wer die Privilegien der Oberschicht anzugreifen droht, spielt in Kolumbien nach wie vor mit seinem Leben. Die FARC, inzwischen eine legale politische Partei, hatten schon vor Wochen ihre Wahlkampagne aus Sicherheitsgründen eingestellt.
Das zeigt: Im »Post-Konflikt« Kolumbiens gibt es keine Bedingungen für eine freie und demokratische Entwicklung. Die Oligarchie - Großgrundbesitzer und Unternehmerfamilien mit engen Verbindungen zur Politik - will den Frieden nicht zulassen. Ohne eine gerechte Beteiligung der marginalisierten Landbevölkerung und die Überwindung der großen sozialen Spaltung im Land ist das Desaster aber programmiert, weil die Gründe für den Konflikt weiter bestehen: soziale Ungleichheit, Menschenrechtsverletzungen, Zugang zu Rohstoffen und ungleicher Bodenbesitz.
Und nicht nur das: Seitdem die Guerilleros die Waffen unter UN-Aufsicht niedergelegt haben, wurden 40 Mitglieder der FARC-Partei und Familienangehörige durch paramilitärische Verbände ermordet. Die UN haben im ersten Friedensjahr 105 ermordete Aktivisten aus sozialen und oppositionellen Bewegungen gezählt. Auch in diesem Jahr steigen die Mordzahlen wieder bedenklich an. Nach Angaben von Beobachtern sind für viele der Morde Auftragskiller verantwortlich, was den politischen Charakter der Taten unterstreicht.
Überall dort, wo soziale Kämpfe stattfinden, etwa im Verladehafen von Buenaventura, eskaliert die Gewalt gegen führende Vertreter und Aktivisten von sozialen Bewegungen, die sich für einen neuen sozialpolitischen Ausgleich einsetzen, Proteste organisieren und Streiks anführen. Nach Angaben einer internationalen Kontrollkommission wurden bislang von Regierungsseite lediglich zwölf von 34 Maßnahmen umgesetzt, gerade einmal vier von 40 vereinbarten Gesetzen erlassen, von denen viele eine neuen Sozialpolitik hätten regeln sollen.
Die FARC hat daher das Richtige getan und den Wahlkampf vorerst abgebrochen. Das ist auch ein Signal an die internationale Gemeinschaft. Erst recht mit Blick auf die Geschichte. Als die größte und älteste Guerillaorganisation Lateinamerikas in den 1980er Jahren schon einmal den Schritt in die Legalität wagte und die Linkspartei Unión Patriótica gründete, wurden über 4000 Funktionäre und Aktivisten dieser Gruppierung ermordet. Ein Massaker droht auch heute wieder.
Bei den letzten Angriffen auf Wahlkampfveranstaltungen der FARC-Partei war ersichtlich, dass die extreme Rechte um den ehemaligen Präsident Alvaro Uribe hinter den Attacken steht. Dazu muss sich die geschäftsführende Bundesregierung verhalten, die den Friedensprozess unterstützt und mit einem Sonderbeauftragten begleiten lässt, angesichts der Eskalation bislang aber schweigt.
Diese passive Haltung muss sich ändern, wenn man den Frieden in Kolumbien nicht in einem Blutbad enden lassen will. Wird der Übergang der FARC von einer Guerillaorganisation in eine legale Partei weiterhin gewaltsam sabotiert, drohen nicht nur die laufenden Friedensverhandlungen mit der Guerillaorganisation ELN zu scheitern. Es wäre auch ein fatales Signal für zukünftige Friedensprozesse unter UN-Aufsicht.
Die Bundesregierung kann im Rahmen der Europäischen Union auf ein Aussetzen des Freihandelsabkommens mit Kolumbien drängen, damit der kolumbianische Staat seine gegebenen Sicherheitsgarantien endlich wirksam durchsetzt. Anderenfalls wird nicht nur die Gewalt zunehmen. Auch würden rechtsradikale Teile der kolumbianischen Oligarchie gestärkt aus den bevorstehenden Wahlen hervorgehen. Der Frieden mit der FARC könnte dann in einem neuen permanenten Krieg gegen die Mehrheit Bevölkerung enden.
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