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Spahns Blick auf Hartz IV
Der künftige Minister steht vor großen Aufgaben in der Gesundheitspolitik. Ihm fehlt die soziale Ader
Wenige Tage vor seinem Amtsantritt als neuer Gesundheitsminister hat der CDU-Politiker Jens Spahn viel Kritik auf sich gezogen. Anlass sind seine Äußerungen am Wochenende über Hartz-IV-Bezieher. Spahn hatte gegenüber der Funke Mediengruppe behauptet, die Tafeln »helfen Menschen, die auf jeden Euro achten müssen. Aber niemand müsste in Deutschland hungern, wenn es die Tafeln nicht gäbe«. Deutschland habe »eines der besten Sozialsysteme der Welt«.
Die Grünen-Chefin Annalena Baerbock warf dem CDU-Mann vor, sich über Arme zu erheben und als künftiger Gesundheitsminister das Thema zu verfehlen. Ähnlich äußerte sich der Parlamentarische Geschäftsführer der Linksfraktion, Jan Korte. »Wer in diesen Zeiten derart kaltherzig und abgehoben über die Armen und Schwachen in dieser Gesellschaft redet, sollte von sich aus auf das Ministeramt verzichten«, erklärte Korte. Selbstkritik und Einsicht seien bei Spahn aber nicht zu erwarten. Deshalb solle ihn Kanzlerin Angela Merkel (CDU) nicht zum Minister machen.
DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach sah bei Spahn eine »große Ahnungslosigkeit«. Davon zeuge seine Aussage, die Hartz-IV-Regelsätze würden »mit großem Aufwand genau bemessen«, erklärte Buntenbach. Tatsächlich seien die Regelsätze politisch motiviert kleingerechnet worden. Ausgaben für einen Weihnachtsbaum oder Malstifte für Schulkinder seien etwa bei der Herleitung der Sätze gestrichen worden.
Dass er sozialen Problemen mit Ignoranz begegnet, wird sich wohl auch in Spahns Gesundheitspolitik bemerkbar machen. Er ist in vielen Fragen aber auch an den schwarz-roten Koalitionsvertrag gebunden. Zudem stehen in keinem anderen Ressort die Lobbyisten so eng beieinander wie im Gesundheitsministerium. Es geht um die Verteilung von 344 Milliarden Euro an Krankheitsausgaben im Gesundheitswesen - gut sieben Prozent des Bruttoinlandsproduktes.
Das Augenmerk der Interessenvertreter richtet sich vor allem auf die Einnahmen und Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Zu den Lobbyisten zählte früher auch Spahn selbst: Nach Angaben des Info-Dienstes »Versicherungswirtschaft Heute« hat er 2006 mit befreundeten Lobbyisten die Agentur »Politas« gegründet, die Kunden aus dem Medizin- und Pharmabereich beraten hatte.
Spahn muss sich nun eigentlich um große Probleme kümmern. Es geht um den Pflegenotstand, Ärztemangel auf dem Land und Krankenhaus-Missstände. Von der SPD-Forderung nach einer Bürgerversicherung ist nur die Annäherung der Honorarordnung für gesetzlich und privat Versicherte übrig geblieben. Für die Krankenkassen bringt der Koalitionsvertrag zunächst eine Angleichung der Beitragssätze von Arbeitern und Angestellten sowie den Unternehmern. Dadurch werden Unternehmer um 7,7 Milliarden Euro belastet und die Versicherten um den gleichen Betrag entlastet. Allerdings ist es möglich, dass die beitragzahlenden Unternehmer sich an den Reserven der GKV in Höhe von 28 Milliarden Euro schadlos halten wollen, indem sie auf eine Senkung des allgemeinen Beitragssatzes drängen.
Wegen der konjunkturbedingten Mehreinnahmen der GKV werden auch andere Lobbyisten aktiv. So geht es zunächst um die Verteilung des Überschusses vom vergangenen Jahr in Höhe von 3,1 Milliarden Euro. Mehr und besser bezahltes Personal in Kliniken und Altenheimen, Investitionen in die Digitalisierung des Gesundheitswesens, zusätzliche Anreize für Land- und Hausärzte oder eben Beitragssenkungen sind mögliche Alternativen.
Bei näherer Betrachtung der einzelnen Ausgabenentwicklung im vergangenen Jahr wird deutlich, wo die Risiken der Zukunft liegen: In einer gegenüber der ursprünglichen Planung günstigeren Entwicklung der Finanzen. So stiegen die Leistungsausgaben je Versicherten nur um 3,4 Prozent - geplant waren 3,9 Prozent. »Dies darf aber nicht darüber hinwegtäuschen«, so der Verband der Ersatzkassen, »dass die Ausgaben der GKV dennoch stetig und deutlich zunehmen. Die Kostenentwicklung darf deshalb auch in dieser Legislaturperiode nicht außer Acht gelassen werden.«
Das positive Finanzergebnis - ein Überschuss dieser Kassensparte von 1,1 Milliarden Euro - dürfe auch nicht darüber hinwegtäuschen, dass es durch »Fehlsteuerungen im morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich (Morbi-RSA) erhebliche Wettbewerbsverzerrungen zwischen den Krankenkassen gibt«. Gemeint ist der Ausgleichstopf zwischen Kassen mit hoher und mit niedriger Risikostruktur der Versicherten. Empfänger sind die AOK, Zahler die anderen drei Sparten. Spahn fällt als Minister die undankbare Rolle des Schiedsrichters zu.
Bei den einzelnen Posten legten die Arzthonorare der Ersatzkassen am kräftigsten (4,5 Prozent) zu. Die Kliniken verteuerten sich um knapp drei Prozent. Die Arzneimittelkosten liegen dazwischen, wobei die Kassen langfristig über große Preissteigerungen bei sogenannten Originalpräparaten klagen.
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