Wer liebt, vergisst die Konsequenzen

»Emilia Galotti«: Im Theater an der Parkaue will Kay Wuschek den Jugendlichen ein altes Stück andrehen

  • Christian Baron
  • Lesedauer: 4 Min.

»Von dem Weine«, so steht es auf der letzten Seite in Goethes »Die Leiden des jungen Werther«, »hatte er nur ein Glas getrunken.« Ein Nachbar hatte in der Nacht zuvor zwar einen Knall gehört, sich aber nichts weiter gedacht. Stunden nach dem suizidalen Schuss fand ein Bediensteter den noch röchelnden Mann, »im blauen Frack mit gelber Weste«. Selbstmord aus Kummer um eine Liebe, die unerfüllt blieb, weil die Schranken der Ständegesellschaft es so wollten. Zum Bürger degradiert, hatte Werther im Werben um Lotte gegen den adligen Albert keine Chance. Als letzten Ausdruck des Protests gegen die Unfreiheit der Liebe ließ Goethe seinen Protagonisten ein aufgeschlagenes Exemplar von »Emilia Galotti« auf dem Schreibtisch platzieren. Auch in Gotthold Ephraim Lessings 1772 uraufgeführtem Stück geht es um absolutistische Willkür.

Bis heute gehört dieses bürgerliche Trauerspiel zum Germanistenkanon. Bei der Rede über dieses Werk entfährt generationsübergreifend vielen, die es sich seit Jugendtagen nicht mehr zu Gemüte geführt haben, ein schweres Seufzen: »Was haben uns die Lehrer damit traktiert!« Wer jedoch im Erwachsenenalter den Text neu liest, der findet darin Anregendes über das Walten von Macht und Herrschaft, auch über die Folgen von Anpassung und Rebellion. Beides wird in der zeitgenössischen Dramatik selten in so augenöffnender Sinnlichkeit verhandelt wie bei Lessing.

Darum steht es noch immer auf den Lehrplänen der Schulen und auf den Spielplänen der Bühnenstätten für Kinder und Jugendliche. Im Theater an der Parkaue hat Intendant Kay Wuschek bei der jüngsten Inszenierung die Regie übernommen und seine Fassung am Dienstagabend im frisch renovierten Haus in Lichtenberg zur Premiere gebracht. Sein Zugriff auf den Stoff ist anders, weil sprachlich aufgemöbelt; und er ist mutig, weil witzig statt tragisch.

Schon die Darbietung der ersten anderthalb Zeilen des ersten Auftritts lohnt es, nacherzählt zu werden, denn da macht diese Vorstellung bereits unmissverständlich klar, dass sie Lessing zum Spaßonkel frisieren will.

Bernd Färber performt so, als handele es sich bei dem durch ihn verkörperten Prinzen Hettore Gonzaga um eine Mischung aus dem hyperaktiven Louis de Funès (»Nein!« - »Doch!« - »Oh!«) und dem cholerischen Gernot Hassknecht aus der »heute-show«: »Klagen, nichts als Klagen! Bittschriften, nichts als Bittschriften!«, greint er. Dann wiederholt er die beiden Substantive wieder und wieder, gräbt mit seinen Händen in einem Papierstapel, wirbelt die Blätter durch die Luft, zieht Grimassen. Irgendwann schreit er so laut, dass selbst die Bewohner der dem Theater benachbarten Wohnhäuser intellektuell und akustisch verstanden haben dürften, was hier gespielt wird.

»Emilia Galotti« als Klamauk. Darauf kann man sich ja mal einlassen. Zumal die einfach gestrickte Handlung durchaus Humorpotenzial birgt: Der Prinz soll die Gräfin Orsina heiraten, er liebt aber Emilia aus dem Bürgertum. Die ist dem Grafen Appiani versprochen. Also spinnt Marinelli, des Prinzen Kammerdiener, eine Intrige, die erst den Grafen und dann Emilia das Leben kostet.

Mit Ausnahme der Emilia (Katja Plodzistaya) festigt sich aber mit jeder weiteren Person, die an der Parkaue das Setting betritt, eine Erkenntnis: Es ergibt keinen Sinn, dieses Drama in jene »bitterböse Komödie« zu verwandeln, als die der Programmzettel den Abend anpreist. Der Maler Conti (Frank Riede) könnte dem Kabinett des Dr. Parnassus entflohen sein, Marinelli (Sandra Uma-Schmitz) agiert im silbern glänzenden Anzug wie das Abziehbild eines Klischees eines Handlangers eines Zeichentrickschurken, Emilias Eltern Odoardo (Ulrich K. Müller) und Claudia (Juschka Spitzer) legen hölzerne Slapstickeinlagen aufs Parkett, und Gräfin Orsina (Inga Wolff) wirkt wie eine unbeholfene Parodie auf Daniela Katzenberger.

Humor ist gemeinhin ein Mittel der Distanzierung. Weil Wuschek sein Konzept konsequent durchzieht, finden die Schauspieler nicht so recht in ihre Rollen und dem Publikum bleibt jede Nähe zu den Figuren verwehrt. Dabei ist Theater bei diesem Thema gar nicht anders zu machen als mit Konfrontation, Einfühlen, Mitfiebern.

Wer neunzig Minuten lang einer Comedynummer zusieht, dem erschließt sich überhaupt nicht, warum es am Ende zu diesem aus heutiger Sicht ungeheuerlichen Twist bis hin zur Familientragödie kommen muss.

Die Liebe ist so totalitär, dass ihr nicht mit Argumenten beizukommen ist, und erst recht nicht mit ironischem Abstand. Sie ist einfach da - und wer sie erlebt, der blendet auf dem Weg zu ihrer Erfüllung die möglichen Konsequenzen seines Tuns aus.

So geschieht es mit dem Prinzen in »Emilia Galotti«, und so widerfährt es auch dem armen Werther. »Von Alberts Bestürzung, von Lottens Jammer lasst mich nichts sagen«, schreibt Goethes Erzähler zum Schluss. Und er hat recht, denn am Tod durch Liebe ist nichts erheiternd.

Nächste Vorstellungen: 15., 16. März

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