Im Café mit Hitler und Lenin
Eine Ausstellung in Bremen erinnert an den von den Nazis verfemten Maler Josef Scharl
Auf die Machtübernahme der Nazis reagierte der Münchner Maler Josef Scharl mit zwei drastischen Bildern. Das eine zeigt einen geschlachteten Hammel, schon ohne Fell und Stümpfen statt Hufen. Auf dem anderen ist ein toter Mann zu sehen, lang ausgestreckt und nackt. In beiden Bildern geht es um weit mehr als nur um eine ganz konkrete Szene. Das eine gibt als Stillleben, das andere als Landschaftsbild eine ganze Atmosphäre wieder.
Scharl gehört zu den zahlreichen Künstlern, deren Karrieren durch den deutschen Faschismus unterbrochen wurden. Nachdem er 1935 mit einem Ausstellungsverbot belegt wurde, konnte er 1938 mithilfe seines Freundes Albert Einstein in die USA fliehen, wo er 1954 starb. An die Erfolge, die er in der Weimarer Republik feierte, konnte er dort nicht mehr anknüpfen. Auch in Deutschland ist Scharl nur wenig bekannt. Es ist allein schon deswegen notwendig, dass sich die Kunstgeschichtsschreibung wenigstens posthum dieses Künstlers annimmt - so wie es die Museen der Böttcherstraße in Bremen tun.
Dabei hat der 1896 geborene Autodidakt ein beeindruckendes Werk hinterlassen. Bekannt wurde er in den frühen zwanziger Jahren mit einem eigenwilligen Stil. Inspiriert von den Landschaftsbildern Vincent van Goghs, verfolgte er gemäß seiner eigenen Zeit eine neusachliche Malweise. Er malte unter der Verwendung leuchtender, prägnanter Pinselstriche entkleidend realistische Alltagsszenen oder Porträts von Verlierern der Weimarer Nachkriegsgesellschaft. Die Welt, die Josef Scharl auf seinen Leinwänden zeigt, ist die Welt der Arbeiter, Bettler und Obdachlosen.
Die leuchtenden Farbflächen, die er in den Bildnissen seiner Figuren verbaut, adeln sie, verleihen ihnen Kraft und Spannung. Dies gilt bereits für die »Alte Frau«, die er 1923 malte. Ihr farbloses, dunkles Kleid und das helle Kopftuch, genauso wie die Suppe, die sie isst, suggerieren Armut. Ihre Augen sind leer, sie scheint mehr Typus als Individuum zu sein. Man überrascht, oder erschrickt sogar an der Dynamik, die der vom Essen erhobene Kopf und die vom Löffeln erhobene Hand vermitteln. Tatenkraft und Wut gehen so von der alten Suppenesserin aus. Farbflächen können, wenn man sie in bestimmter Weise setzt, revolutionär sein.
Im Laufe der zwanziger Jahre wird Scharls Farbauftrag plastischer. Nach einem Aufenthalt in Italien 1932 entsteht die »Mutter von Norma« - das Bild einer alt und erschöpft wirkenden, schwangeren Frau, die ein kleines Kind im Arm hält. Plastisch und hell stechen drei Punkte hervor: das grobe Gesicht der Mutter, ihre verhornten Füße sowie der nackte Hintern des Kindes. Der Hintergrund, aus dem diese grotesken Sterne hervorscheinen, ist ein schwarzes, kittelartiges Kleid.
Solcherart leuchtende Farbhalbkugeln sind ab den frühen dreißiger Jahren charakteristisch in Scharls Werk. In der Bremer Ausstellung hängt das Bildnis der »Mutter von Norma« einem berühmten Selbstporträt der Worpsweder Malerin Paula Modersohn-Becker von 1906 gegenüber. Die Malerin zeigt sich hier halb nackt und schwanger in glatt aufgetragenen, leuchtend hellen Farben. Die proletarische Frau ist so der bürgerlichen gegenübergestellt, möglicherweise aber auch ein proletarischer Pinselstrich einem bürgerlichen. Herkunft und Haltung sind eben auch eine Frage der Form.
In beinahe jeder seiner Schaffensphasen malte Scharl, der selbst für kurze Zeit bis zu einer Verletzung im Ersten Weltkrieg an der Front kämpfen musste, Bilder von Soldaten. Sein Bild »Uniform« von 1931 zeigt vor schwarzem Hintergrund eine Figur, die sich aus leuchtenden Lammellenflächen zusammensetzt. Diese Figur ist fleischlos, sie ist nur noch Maske und Kostüm. »Triumphzug« von 1932 zeigt eine Versammlung lächerlich wirkender Gestalten mit Schmissen auf den Wangen und Lorbeerkränzen auf den Köpfen. Die Militarisierung scheint ihn zu alarmieren. Scharls Soldatenfiguren werden mit der Zeit immer abstrakter. 1937 malte er ein schmales, hohes Gemälde mit dem Titel »Hierarchie«. Die soldatischen Figuren hat er zu einer vertikalen, ornamentalen Struktur angeordnet.
Eines seiner in Bremen ausgestellten Hauptwerke wirkt beinahe prophetisch - »Blinder Bettler im Café« von 1927. An sauber gedeckten Tischchen sitzen mit schwarzen Anzügen und weißen Hemden zivil uniformierte Herren (nebst zweier Damen, die ebenso uniformiert rote Kleider und blaue Hüte tragen). Ein Kellner, der aussieht wie Hitler, weist einer Karawane aus blinden und lahmen Gestalten, die an Künstler wie Vincent van Gogh, Paul Gauguin oder Karl Valentin erinnern, die Tür.
Scharls Café ist eine gesellschaftliche Metapher. Unter den Herren scheinen sich auch Politiker wie Friedrich Ebert und Lenin zu befinden. Der rabiate Oberkellner Hitler trieb sich im Entstehungsjahr des Bildes häufig in Münchner Bars und Cafés herum. Josef Scharl wird ihm dort sicherlich hin und wieder über den Weg gelaufen sein. Scharl selbst wurde schließlich zu einem jener vertriebenen Künstler. Man neigt dazu, solche Bilder heute teleologisch zu sehen. Dabei beschreibt das Bild seine eigene Gegenwart, die handgreiflich genug ist. Von heute aus gesehen, weist es in eine noch schlimmere Zukunft.
»Josef Scharl: Zwischen den Zeiten«, bis zum 3. Juni in den Museen der Böttcherstraße in Bremen. Anschließend wird die Ausstellung vom 14. Juni bis zum 14. Oktober im Barlach-Haus in Hamburg zu sehen sein.
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