Egon Erwin Kisch
Kalenderblatt
Als »Rasender Reporter« erlangte er Weltgeltung. Seine Reportagen aus fünf Kontinenten boten »Wahrheit als das edelste Rohmaterial der Kunst« in einer geschliffenen Sprache, an der er zuweilen sehr lange feilte. Dabei setzte der kritischer Denker, der sich über die Niederungen eines »Parteischriftstellers« erhob, in allen Lebenslagen »Menschlichkeit über Parteidisziplin«. Doch zum anstehenden 70. Todestag stehen seine rund 20 Bücher nirgends auf den Bestsellerlisten. Noch zu stark haftet ihm aus der Zeit des Kalten Krieges der Stallgeruch des kommunistischen Autors mit allen damit verbundenen Vorbehalten an. Dazu gesellt sich der Ruf als ein überaus aktiver Nachtschwär- mer und Frauenheld.
Egon Erwin Kisch wurde am 29. April 1885 in einem der schönsten Renaissancehäuser der Prager Altstadt geboren. Das Haus mit Grundmauern aus dem 14. Jahrhundert war 1866 von Jonas Enoch Kisch, dem Großvater, für 100 000 Gulden erworben worden. Die Familie gehörte zum deutsch-jüdischen Besitzbürgertum der »Goldenen Stadt«. Der Vater war Tuchhändler. Erste Schreibversuche startete dessen berühmter Sohn 1905 als Volontär beim »Prager Tageblatt«. Es folgten ein kurzes Studium an der Wredeschen Journalisten-Hochschule in Berlin und Tätigkeit als Lokalreporter bei der bürgerlichen Prager Zeitung »Bohemia«. 1912 veröffentlichte er sein erstes Buch: »Aus Prager Gassen und Nächten«. Mit der Aufdeckung der Spionageaffäre des Oberst Redl 1913 erlangte er schlagartig internationale Bekanntheit.
Im Erste Weltkrieg verschlug es ihn zunächst an die serbische Front und nach einer Verwundung im Frühjahr 1917 ins Kriegspressequartier nach Wien. Die Erfahrungen des Völkergemetzels machten ihn zum Kriegsgegner, Mitbegründer eines »Arbeiter- und Soldatenrates«, Chef der »Roten Garde« und Mitglied der KP. Nach Pressearbeit für den Wiener »Neuen Tag«, kurzer Haft und Abschiebung kehrte er 1921 nach Berlin zurück und schrieb für zahlreiche Zeitungen Reportagen von Reisen durch Europa, die UdSSR, USA, China und Afrika (»Zaren, Popen, Bolschewiken«, »Paradies Amerika«, »China geheim«). Die zwei wichtigsten Frauen an seiner Seite waren Gisl Lyner und Jarmila Haasová.
Nach der Machtübernahme der Nazis gehörte Kisch als Jude und linker Autor zu den ersten Verhafteten, konnte aber dank internationaler Proteste ausreisen. Er berichtete aus dem Spanischen Bürgerkrieg für die Weltpresse, musste dann vor der deutschen Wehrmacht aus Frankreich in die USA fliehen, wo er als unerwünschte Person galt, weshalb er nach Mexiko übersiedelte (»Entdeckungen in Mexiko«). Im März 1946 kehrte er nach Prag zurück; der Großteil seiner Familie war in NS-Lagern umgekommen. Auch Kisch war nicht mehr viel Lebenszeit vergönnt. Dem zweiten Schlaganfall folgte am 31. März 1948 der Tod. Martin Stolzenau
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