Egon Erwin Kisch

Kalenderblatt

  • Martin Stolzenau
  • Lesedauer: 2 Min.

Als »Rasender Reporter« erlangte er Weltgeltung. Seine Reportagen aus fünf Kontinenten boten »Wahrheit als das edelste Rohmaterial der Kunst« in einer geschliffenen Sprache, an der er zuweilen sehr lange feilte. Dabei setzte der kritischer Denker, der sich über die Niederungen eines »Parteischriftstellers« erhob, in allen Lebenslagen »Menschlichkeit über Parteidisziplin«. Doch zum anstehenden 70. Todestag stehen seine rund 20 Bücher nirgends auf den Bestsellerlisten. Noch zu stark haftet ihm aus der Zeit des Kalten Krieges der Stallgeruch des kommunistischen Autors mit allen damit verbundenen Vorbehalten an. Dazu gesellt sich der Ruf als ein überaus aktiver Nachtschwär- mer und Frauenheld.

Egon Erwin Kisch wurde am 29. April 1885 in einem der schönsten Renaissancehäuser der Prager Altstadt geboren. Das Haus mit Grundmauern aus dem 14. Jahrhundert war 1866 von Jonas Enoch Kisch, dem Großvater, für 100 000 Gulden erworben worden. Die Familie gehörte zum deutsch-jüdischen Besitzbürgertum der »Goldenen Stadt«. Der Vater war Tuchhändler. Erste Schreibversuche startete dessen berühmter Sohn 1905 als Volontär beim »Prager Tageblatt«. Es folgten ein kurzes Studium an der Wredeschen Journalisten-Hochschule in Berlin und Tätigkeit als Lokalreporter bei der bürgerlichen Prager Zeitung »Bohemia«. 1912 veröffentlichte er sein erstes Buch: »Aus Prager Gassen und Nächten«. Mit der Aufdeckung der Spionageaffäre des Oberst Redl 1913 erlangte er schlagartig internationale Bekanntheit.

Im Erste Weltkrieg verschlug es ihn zunächst an die serbische Front und nach einer Verwundung im Frühjahr 1917 ins Kriegspressequartier nach Wien. Die Erfahrungen des Völkergemetzels machten ihn zum Kriegsgegner, Mitbegründer eines »Arbeiter- und Soldatenrates«, Chef der »Roten Garde« und Mitglied der KP. Nach Pressearbeit für den Wiener »Neuen Tag«, kurzer Haft und Abschiebung kehrte er 1921 nach Berlin zurück und schrieb für zahlreiche Zeitungen Reportagen von Reisen durch Europa, die UdSSR, USA, China und Afrika (»Zaren, Popen, Bolschewiken«, »Paradies Amerika«, »China geheim«). Die zwei wichtigsten Frauen an seiner Seite waren Gisl Lyner und Jarmila Haasová.

Nach der Machtübernahme der Nazis gehörte Kisch als Jude und linker Autor zu den ersten Verhafteten, konnte aber dank internationaler Proteste ausreisen. Er berichtete aus dem Spanischen Bürgerkrieg für die Weltpresse, musste dann vor der deutschen Wehrmacht aus Frankreich in die USA fliehen, wo er als unerwünschte Person galt, weshalb er nach Mexiko übersiedelte (»Entdeckungen in Mexiko«). Im März 1946 kehrte er nach Prag zurück; der Großteil seiner Familie war in NS-Lagern umgekommen. Auch Kisch war nicht mehr viel Lebenszeit vergönnt. Dem zweiten Schlaganfall folgte am 31. März 1948 der Tod. Martin Stolzenau

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!