Warum nicht Robert Gauweiler?

Hauptfeldwebel ersetzt Preußengeneral als Namensgeber - »Entnazifizierung« sieht anders aus

  • René Heilig
  • Lesedauer: 5 Min.

Die bisher gültigen »Richtlinien zum Traditionsverständnis und zur Traditionspflege in der Bundeswehr« stammen aus dem Jahr 1982. Seither, so sagt die politische Führung der Bundeswehr, hätten sich »wesentliche Rahmenbedingungen« so sehr verändert, dass »eine Überarbeitung« notwendig wurde.

Alles begann mit Franco A. Der war Oberleutnant der Bundeswehr und ist seit dem 1. Dezember vergangenen Jahres nicht mehr nur beschuldigt, sondern vom Generalbundesanwalt angeklagt. Die Vorwürfe reichen von der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat, über Verstößen gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz und den illegalen Waffenbesitzes bis zum Sozialbetrug. A. ist offensichtlich ein überzeugter Rechtsextremist. Die Ermittler fanden Notizen, in denen er schon als Jugendlicher festhielt: »Wer Adolf Hitler schlecht macht, ist ein Lügner.« Schließlich sei der »einer der bedeutendsten deutschen Volksführer«. A. wollte Zeichen setzen gegen den Zuzug von Flüchtlingen, der mit einer »Rassenvernichtung« einher geht. Seine 2014 verfasste Abschlussarbeit an einer französischen Elite-Militärakademie sei keine wissenschaftliche Arbeit, sondern »ein radikalnationalistischer, rassistischer Appell«, merkte ein Gutachter damals an. Doch Konsequenzen blieben aus.

Sinnstiftung von links

Gemeinhin spricht man Linken und der LINKEN ab, sich überhaupt vorstellen zu können, dass die Bundeswehr Traditionen braucht. Und so wird die Meinung von Alexander Neu, LINKEN-Obmann im Verteidigungsausschuss, manchen gewiss verwundern: »Die Bundeswehr will sich auf die eigenen Traditionen besinnen – das muss nicht grundsätzlich falsch sein. Ich erinnere mich an Zeiten, da fühlte sie sich dem Gedanken verpflichtet, dass Frieden der Ernstfall ist.«

Damals habe sie ihren Verfassungsauftrag als Verteidigungsarmee erfüllt. Neu erinnert auch »an durchaus bemerkenswerte Leistungen der Bundeswehr, als es um Abrüstung ging«. Zudem sei leider vieles in Vergessenheit geraten, was unter dem Stichwort Staatsbürger in Uniform propagiert wurde. nd

Besonders darüber empörte sich von der Leyen und ordnete eine Art Durchsuchung in allen Dienstgebäuden an. Dabei fand sich erstaunlich vieles, was sinnstiftend von der Wehrmacht übernommen worden ist. Weg damit, lautete der Befehl, den man von der Leyen vielerorts sehr übel nahm. Ihre beste Verteidigung war ein Generalangriff gegen die Wehrmachttraditionen und die Verherrlichung von Hitler-Helden: »Am Tor der Kasernen stehen nach wie vor Namen wie Hans-Joachim Marseille oder Helmut Lent. Beide Namensgeber sind nicht mehr sinnstiftend für die heutige Bundeswehr«, sagte von der Leyen und verallgemeinerte: »Sie gehören zu einer Zeit, die für uns nicht vorbildgebend sein kann.«

Man muss von der Leyen zugute halten, dass sie den Prozess zur Erarbeitung eines neuen Erlasses sehr transparent gehalten hat. Maßstab für das Traditionsverständnis und die Traditionspflege in der Bundeswehr sei nichts anderes als das Grundgesetz mit seinen zentralen und universellen Werten wie Menschenwürde wie Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, wurde bei jedem veranstalteten Workshop betont. Der neue Erlass gewähre die Freiheit, aus allen Epochen der deutschen Militärgeschichte Vorbildliches in das Erbe der Bundeswehr zu übernehmen - wenn es fürs Militär sinnstiftend ist und dessen Werten entspricht. Er bietet Freiräume beispielsweise für regionale Besonderheiten oder für Bedürfnisse des jeweiligen Verbandes.

Zentraler Bezugspunkt für die Tradition der Bundeswehr sei ganz sicher nicht mehr deren Herkunft aus der Wehrmacht, sondern ihre eigene Geschichte, die offiziell 1956 begann. Seit der Herstellung der deutschen Einheit haben sich sich für die Truppe neue weltweite Aufgabe ergeben.

Nun hätte man das ja auch bei der ersten im Sinne des neuen Traditionserlasses vorgenommenen Kasernenumbenennung deutlich machen können. Doch so tapfer ist von der Leyen nun doch nicht. In Hannover werden der Name des preußischen Generals Otto von Emmich als auch der von deutschen Truppen im Ersten Weltkrieg besetzten französischen Stadt Cambrai, wo die erste Panzerschlacht stattgefunden hat, verschwinden. Gut so! Doch wann endlich folgt der Namensentzug für Kasernen, an deren Toren noch immer die Namen von Hitlers Fliegerassen Marseille und Lent sowie anderer Nazi-Eroberungskrieger stehen?

Die Feldjägerschule in Hannover wird künftig nach Tobias Lagenstein benannt. Der Hauptfeldwebel aus dem Feldjägerbataillon 152 in Hannover ist nur 31 Jahre alt geworden. Am 28. Mai 2011 kamen er und Major Thomas Tholi bei einem Bombenanschlag in der nordafghanischen Stadt Taloqan um. Langenstein war Chef des Personenschutzkommandos des damaligen deutschen ISAF-Regionalkommandeurs Markus Kneip. Der Generalmajor, heute ein Vertrauter der Ministerin, der selbst schwer verletzt wurde, hatte sich mit hochrangigen afghanischen Behördenchefs getroffen.

Die Feldjäger in der Kaserne tragen die Umbenennung mit, die Stadt Hannover ist dafür. Stadtratsmitglied Dirk Machentanz, einer von den LINKEN, hat sich bei der Abstimmung im Verwaltungsausschuss enthalten. Nicht, weil er den alten Namen behalten will. Er findet es problematisch, die Kaserne nach einem Mann zu benennen, der in Afghanistan gestorben ist. Schließlich sei der Auslandseinsatz nicht normal, sondern ein Skandal. Die Grünen im Rat stimmten zwar zu, doch auch sie sahen, dass der Afghanistaneinsatz »Schattenseiten« hat.

Wohl wahr! Man denke nur an die Bombardierung von Zivilisten im Kundus-Fluss 2009. Über Hundert Menschen starben auf Befehl eines deutschen Offiziers, den man später zum General ernannte. Wie ordnet man so etwas ein in die Traditionslinien der Bundeswehr?

Zugegeben, von der Leyens Untergebene haben sich bei der Suche nach einem passenden Namen Mühe gegeben. Und dabei zugleich die Enge deutlich gemacht, zu der der neue Traditionserlass zwingt. Man muss die Wehrmachtzeit keineswegs aussparen oder auf den Widerstand um Oberst Stauffenberg reduzieren, wenn man nach Bewahrenswertem im Sinne des Grundgesetzes sucht. Im Zweiten Weltkrieg sind von der Wehrmachtjustiz über 30 000 Todesurteile gegen eigene Soldaten ausgesprochen und über 23 000 vollstreckt worden. Den meisten dieser Mordbefehle lagen »Fahnenfluchten« oder der Tatbestand »Wehrkraftzersetzung« zugrunde.

Todgeweihte aus dem Wehrmachtsuntersuchungsgefängnis am Waterlooplatz in Hannover wurden auf dem Schießplatz in Hannover-Vahrenheide erschossen - das ist dort, wo man unlängst das neue Übungszentrum der Feldjäger eingeweiht hat. Es hätte also sogar einen regionalen Grund gegeben, einen anderen Namen ans Kasernentor zu schreiben. Mit dem man zugleich eine eindeutige Haltung zu allem, was mit Wehrmacht zu tun hat, dokumentiert hätte.

Fündig hätte man auch im Zuchthauses Brandenburg-Görden werden können. In dessen Totenliste sind sieben Hannoveraner, die wegen »Fahnenflucht« oder »Wehrkraftzersetzung« zum Tode verurteilt wurden. So hätte der Name von Robert Gauweiler am Kasernentor seiner Heimatstadt stehen können. Den hatte man schon vor Hitlers Machtantritt wegen Hochverrat verurteilt und anschließend ins KZ eingesperrt. Als man den Vater von sechs Kindern dann zur Wehrmacht presste, gab er seinen Kampf gegen den Krieg nicht auf. Im Dezember 1944 wurde er wegen »Zersetzung der Wehrkraft« in Hamburg erschossen.

Gauweiler schrieb im letzten Brief an seine Frau Thea: »Du brauchst Dich wegen meiner Hinrichtung nicht zu schämen, denn Du weist wie ich, daß ich kein Verbrecher war, wohl ein Mensch, der eine Überzeugung hatte und nun für diese Überzeugung sterben muß.«

Ob die Bundeswehr wohl irgendwann in der Lage ist, eine solche Überzeugung zu teilen?

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