Lustrierte Ikone

Geheimdienstvorwurf gegen die feministische Theoretikerin Julia Kristeva

  • Velten Schäfer
  • Lesedauer: 2 Min.

Sie ist eine der wenigen bulgarischen Geisteswissenschaftlerinnen, die Weltruhm genießen: 1941 in Sliwen geboren, 1965 als mit einem französischen Stipendium nach Paris geschickt und dort schnell etabliert, gilt die Schriftstellerin, Philosophin, Psychoanalytikerin und Literaturtheoretikerin Julia Kristeva sogar als eine zentrale Figur im Aufkommen der postmodernen Theorien der 1970er und 1980er Jahre.

Entsprechend hochdekoriert ist die feministische Ikone. Seit 1987, als sie den »Orden der Künste und der Literatur« des französischen Kultusministeriums erhielt, wurde ihr alle zwei oder drei Jahre eine prominente Auszeichnung zuteil. Kristeva hält nicht weniger als acht europäische und nordamerikanische Ehrendoktorwürden, ist zudem »Ritterin der Ehrenlegion«, einst von Napoleon gestiftet.

Aktuell aber macht sie nicht mit dem Formulieren von Erleuchtungen Schlagzeilen, sondern im Resultat einer Durchleuchtung. In Bulgarien will die Kommission zur »Lustration« von Lebensläufen eine Akte gefunden haben, die belege, dass Julia Kristeva sich 1971 zur Kooperation mit dem bulgarischen Auslandsgeheimdienst verpflichtet habe und als »Sabina« geführt worden sei.

Kristeva weist die in der vergangenen Woche erstmals erhobenen Vorwürfe auf ihrer Homepage als »grotesk« und »falsch« zurück. Sie wolle gegen entsprechende Veröffentlichungen vorgehen. Inzwischen wurden in Sofia Papiere vorgelegt, die die Geschichte von »Sabina« zu stützen scheinen. Das Dossier steht nun im Internet. Unter den rund 200 Seiten gibt es allerdings kein Dokument, das sie persönlich geschrieben oder unterzeichnet hätte. Auch nach der Veröffentlichung bleibt Kristeva bei der Darstellung, es habe ihres Wissens nie ein Geheimdienstmitarbeiter zu ihr Kontakt aufgenommen.

Wie dem auch sei - dramatisch sind die Inhalte der Akte nicht. Demnach galt Kristeva dem Geheimdienst bei ihrer Ausreise anno 1965 - erwartbar - als loyal. Merkwürdig scheint der Zeitpunkt ihrer mutmaßlichen Anwerbung: 1971 war sie bereits mit dem Schriftsteller Philippe Sollers verheiratet, stand vor der Übernahme einer Professur an der Universität Denis Diderot und plante ein Leben in Frankreich.

Der Akte zufolge sollte »Sabina« die französische Intellektuellenszene auf antisozialistische Elemente untersuchen. Allzu eifrig hat sich die mutmaßliche Geheime nicht verhalten. manchmal schwänzte die in der Akte beschriebene Person die Treffen, selten gingen ihre Berichte über Gemeinplätze hinaus. Nachdem Kristeva 1972 gemeinsam mit ihrem Ehemann einen offenen Brief gegen die Repression in der CSSR veröffentlicht hatte, versandete auch die Quelle »Sabina«. 1973 wurde die Akte geschlossen. vs

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