Tauziehen um Kandidat Jordi Sànchez
Spaniens Richter untersagt Freigang für potenziellen katalanischen Regierungschef, Parlament klagt gegen Richter
Die Frist läuft, die Regierungsbildung stockt. Bis zum 22. Mai muss in Katalonien ein neuer Regierungschef gewählt werden, sonst wird das Parlament erneut aufgelöst und es kommt zu vorfristigen Neuwahlen wie am 21. Dezember 2017 auf Anordnung der Zentralregierung in Madrid, die Katalonien seit Ende Oktober unter dem Artikel 155 zwangsverwaltet. Der für den 13. April geplante Versuch, Jordi Sànchez zum Regierungschef zu wählen, wurde schon tags zuvor unterbunden. Der spanische Ermittlungsrichter Pablo Llarena untersagte dem unter anderem wegen Rebellion in Untersuchungshaft befindlichen Jordi Sànchez den Freigang und ohne Präsenz ist eine Wahl nicht regelkonform.
Das katalanische Parlament, indem das Unabhängigkeitslager mit 70 der 135 Sitze eine absolute Mehrheit besitzt, greift nach dem vierten gescheiterten Versuch zur Regierungsbildung nun selbst zu juristischen Mitteln und legte Klage gegen den Richter Llarena wegen Rechtsbeugung ein. Parlamentspräsident Roger Torrent setzte die geplante Parlamentssitzung zur Investitur ab und sprach von »Angriffen durch spanische Institutionen«.
Der Richter am Obersten Gerichtshof hat Sànchez trotz Forderungen des UN-Menschenrechtskomitees erneut verweigert, seine politischen Rechte ausüben zu können. Nachdem Llarena den Untersuchungsgefangenen schon Mitte März nicht zur Wahl ins Parlament ließ, hatte der sich an das Komitee in Genf gewandt. Und das hatte unmissverständlich von Spanien gefordert, »alle Maßnahmen zu ergreifen, damit Jordi Sànchez seine politischen Rechte ausüben kann«.
Auf einer Sitzung des Parlamentspräsidiums wurde nun dem Rat hochrangiger Juristen gefolgt. Schon den Vorwurf der Rebellion gegen den in Deutschland weilenden Ex-Präsidenenten Carles Puigdemont, Sànchez und andere katalanische Politiker hatten der andalusische Verfassungsrechtler Javier Pérez Royo und mehr als hundert spanische Juristen verworfen und als »grotesk« bezeichnet. Sie sprechen auch von »Rechtsbeugung« und »Rechtsumgehung« durch den Richter. Dass Llarena den Kandidaten Jordi Turull sogar noch inhaftieren ließ, bevor er im zweiten Wahlgang gewählt werden konnte, nennt der Professor der Universität Sevilla den »schwersten Fall von Rechtsbeugung, die ein Richter in einer Demokratie« begehen könne.
Das Parlament wird nun eine Klage gegen »den Richter oder die Richter« einreichen, die »bewusst und absichtlich grundlegende Rechte der Parlamentarier verletzen«, namentlich Sànchez und Turull. Der Llarena-Beschluss sei »offensichtlich willkürlich, ungerecht und rechtswidrig«. In einem neuen Artikel streicht Royo heraus, dass sich der Richter auf »keinerlei Gesetz« beruft. »Das klingt unglaublich, ist aber so.« Der setze sich komplett »über die Verfassung, das katalanische Autonomiestatut« und zudem »über die Strafprozessordnung« hinweg.
Llarena hatte nur lapidar auf seinem Beschluss im März verwiesen und sieht in den UN-Forderungen keine »konkreten Anweisungen«. Die seien für sein Gericht ohnehin nicht bindend, meint er. Er führt nur den Willen der rechten spanischen Regierung aus. Ministerpräsident Mariano Rajoy hatte unzweideutig erklärt: »Wir wollen nicht, dass die Regierung Kataloniens von Leuten geführt wird, die Rechnungen offen haben«, sagte er in Bezug auf die von seinem Ministerium für Staatsanwaltschaft geschmiedeten Anschuldigungen.
So ist auch kaum noch verwunderlich, dass Madrid sogar dem Parlament mit »Konsequenzen« droht, wenn es diese Klage einreicht. Der Regierungssprecher Íñigo Méndez de Vigo warnte, dass man sich der »Veruntreuung und anderer Delikte« schuldig mache, werde Klage gegen den Richter eingelegt.
Eine Amtseinführung ist nun bis Mai ausgesetzt und immer stärker rückt nun die Forderung auf die Tagesordnung, zum Plan A zurückzukehren und definitiv Puigdemont zu wählen. Dessen Wahl wurde trickreich mithilfe des Verfassungsgerichts über »vorläufige Maßnahmen« verhindert, die die Regierung nicht einmal beantragt hatte. Ob das Gericht die Verfassungsbeschwerde der Regierung annimmt, hat es aber nicht entschieden, eine Ablehnung ist nach Verfassungsrechtlern zwingend, mit denen auch die vorläufigen Maßnahmen fallen würden.
Eine Beruhigung im Katalonien-Konflikt ist nicht in Sicht: Für das Wochenende sind wieder massive Proteste angekündigt, die sich auch gegen das Vorgehen der spanischen Justiz gegen die Komitees zur Verteidigung der Republik (CDR) wenden, denen jetzt sogar wegen friedlicher Straßenblockaden schon »Terrorismus« vorgeworfen wird. Am Samstag finden dezentral Demonstrationen statt und am Sonntag soll es eine riesige Demonstration in Barcelona geben.
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