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Matter Nachschlag zur Volksbühne im handzahmen Kulturausschuss
Interims-Intendant Klaus Dörr soll improvisieren und erhält die Lizenz zum Superkuratieren - davon könnte auch die freie Szene profitieren
Erstaunlich handzahm präsentierte sich der Kulturausschuss im Berliner Abgeordnetenhaus in der ersten Sitzung nach der Abdankung des umstrittenen Volksbühnen-Intendanten Chris Dercon. Keine konkreten Angaben zur finanziellen Schieflage, die doch der Auslöser der spektakulären Trennung war, wurden eingefordert. Keine Nachfrage erfolgte zu den etwa zwei Millionen Euro Rückstellungen, über die die Volksbühne offenbar verfügt, und die erst jetzt dem kommissarischen Intendanten Klaus Dörr freigegeben werden.
Bei dem immerhin angeschnittenen Thema einer Abfindung für den gescheiterten Theaterchef Dercon vermied Kultursenator Klaus Lederer mit Verweis auf die noch laufenden Verhandlungen eine klare Ansage über deren Höhe. Man weiß also nicht, wie groß der finanzielle Abdruck des Theaterneulings neben den 2,98 Millionen Euro Vorbereitungskosten und den 19,508 Millionen Euro Zuschuss für die laufende Spielzeit noch sein wird. Nicht einmal über die zwei Eigenproduktionen, die die Volksbühne offenbar bis in die nächste Spielzeit verschieben muss, und deren Verschiebung angeblich das strukturelle Defizit der Bühne so krass verstärkte, dass nur die Trennung übrig blieb, war Auskunft zu erhalten.
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Das alles verblüffte. Kultursenator Lederer skizzierte immerhin die Genese des Scheiterns recht detailliert: «Seit November 2017 haben wir Indizien dafür, dass die Auslastung nicht den Erwartungen entspricht. Wir haben das Controlling verstärkt. Die Zahlen für den März waren dann dramatisch.
Chris Dercon hatte selbst um einen Termin gebeten. Im Gespräch fiel das Eingeständnis eines strukturellen Problems, das sich nicht kurzfristig beheben ließ. Für die kommende Saison gab es kein spielfähiges Repertoire. Lederer stellte andererseits klar, dass die Volksbühne keineswegs insolvent sei, und wies Presseberichte, die dies behauptet hatten, zurück.
Interims-Intendant Klaus Dörr soll nun den Spielbetrieb sicherstellen. Es deutet sich an, dass er zwei, vielleicht sogar drei Spielzeiten interimistisch agieren kann, bis ein Nachfolger gefunden ist.
Bis dahin herrscht so etwas wie freie Improvisation im Lückenfüllen. »Wir werden mit den Intendanten der anderen Berliner Theater beraten, welche Inszenierungen möglicherweise an der Volksbühne gezeigt werden können«, lautete eine Idee von Lederer. Er gab Dörr auch freie Hand, auf dem internationalen Markt nach geeigneten Produktionen zu suchen.
Dörr hat damit die Lizenz zum Superkuratieren. Am Rande der Sitzung wurde von einzelnen Abgeordneten auch spekuliert, dass es jetzt so etwas wie ein zwölfmonatiges Theatertreffen an der Volksbühne geben könne. Auch die freie Szene könnte von der Vakanz profitieren, zumindest deren Vertreter, die wie Constanza Macras oder Sasha Waltz in der Lage sind, große Bühnen zu bespielen.
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Es ist, typisch Berlin, mal wieder ganz viel am Werden, ohne dass die Richtung klar ist. Für die perspektivische Nachfolge von Dercon gab Lederer noch aus, dass jemand für ein Theater mit Ensemble und Repertoirebetrieb gesucht werde, und dass die Leitung gern jünger, weiblicher und diverserer Herkunft sein darf als bisher. Das ist sicher nicht falsch, aber auch keine hinreichende Bedingung für eine große Zukunft.
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