Wohin bewegt sich die Literatur?
Kuratorin Olumide Popoola über das afrikanische Literaturfestivals »Writing in Migration«
Frau Popoola, warum ist es an der Zeit, dass Berlin ein ausschließlich auf afrikanische Literatur spezialisiertes Festival bekommt?
Damit Autorinnen und Autoren in den Vordergrund kommen, die bisher häufig nur am Rande beachtet oder auf identitätspolitische Themen reduziert werden. Ich möchte, dass ganz unterschiedliche Stimmen zu Wort kommen und sie vor allem über das Handwerk des Schreibens sprechen lassen.
Was ist die inhaltliche Idee hinter dem Festival?
Migration ist hier in einem weiten Sinne definiert. Es geht eher um ein »In-Bewegung-Sein«, ob es sich nun um Autoren handelt, die sich zwischen verschieden Ländern oder Sprachen bewegen, oder in ihrer Arbeit mit unterschiedlichen Elementen spielen. Spannende Fragen sind für mich, wie jemand mit erlebten Traumata umgeht oder diese literarisch verarbeitet. Aber es soll auch darum gehen, inwieweit Literatur aus Afrika und der Diaspora »in Bewegung« ist, was sich dort getan hat. Mir ist wichtig, einen Blick auf junge Autoren zu werfen: Was machen sie anders als die Klassiker? Inwiefern brechen sie vielleicht mit alten Normen?
Wie hat sich Literatur aus Afrika und der Diaspora jüngst entwickelt?
Es geht heute nicht mehr so sehr um die koloniale und postkoloniale Identität wie bei der ersten oder zweiten Generation afrikanischer Autoren nach der Unabhängigkeit, obwohl das natürlich immer mitschwingt. Es geraten Alltagsthemen in den Vordergrund, darunter auch solche, die früher tabuisiert waren, wie zum Beispiel queeres Leben. Vor allem gibt es nicht mehr die eine afrikanische Identität. Wie die Debatte um die »Afropolitans« zeigt, definieren sich einige Autorinnen und Autoren heute als in unterschiedlichen Kontinenten beheimatet.
Viele der bekannten afrikanischen Autor*innen leben in Ländern des globalen Nordens und setzen in der öffentlichen Wahrnehmung häufig die Standards dafür, wie afrikanische Literatur wahrgenommen wird. Welchen Einfluss hat das auf Schriftsteller*innen, die den Kontinent nicht dauerhaft verlassen?
Das ist schon etwas problematisch. Einerseits für uns Schriftstellerinnen selbst: Ich müsste ja eigentlich nicht als afrikanische Schriftstellerin arbeiten, sondern könnte auch einfach nur Schriftstellerin sein. Das hat viel mit Marketing zu tun. Natürlich bin ich nigerianisch, bin von Nigeria geprägt, habe aber einen deutschen Pass und müsste nicht diesen Raum als »nigerianische Schriftstellerin« einnehmen. Autoren, die den afrikanischen Kontinent nicht verlassen, bekommen viel weniger Aufmerksamkeit, obwohl es vor Ort interessante Entwicklungen gibt. Andererseits wird von afrikanischen Autorinnen, die im Norden leben, erwartet, dass sie über »afrikanische Themen« schreiben. Sie sollen authentisch sein, was immer das heißt. Es ist ein zweischneidiges Schwert. Es gibt jedoch auch Verlage, die unerwartete Bücher veröffentlichen. So entsteht hoffentlich eine breitere Sichtweise auf Literatur aus Afrika.
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