Waren und ihre Geschichten

Catalin Mihuleac: »Oxenberg & Bernstein«

  • Friedemann Kluge
  • Lesedauer: 2 Min.

Genau besehen, besteht diese rumänisch-jüdische Familiensaga aus zwei Geschichten, nicht parallel laufend, aber diachronisch ineinandergreifend. Die eine ist die jener titelgebenden Firma Oxenberg & Bernstein, die von den USA aus weltweit mit Second-Hand-Kleidung handelt. Oder nein: Nach ihrer eigenen Geschäftsphilosophie handelt sie gar nicht mit Gegenständen, sondern mit der Geschichte dieser Gegenstände. Was zu so skurrilen Situationen führt, dass man, beispielsweise, dem japanischen Endverkäufer Takafumi eine kugelsichere Weste aufschwatzt, die »John F. Kennedy an jenem fatalen Tag in Dallas anzuziehen vergessen hatte«. Oder den Waffenrock Heinrich Bölls verkauft mit dem »Loch der Kugel, die ihn am Rücken verletzt hat«. Oder eine Perlenschnur, die zuvor angeblich den Hals von Raissa Gorbatschowa geziert hat.

»Was ich mache«, so die Protagonistin Suzy, »kann man nicht mehr Handel treiben nennen. Es ist Kunst. Minimal Art. Minimal Art mit maximaler Wirkung.« Sie ist der Meinung, dass der Amerikaner »der beste Freund des Menschen« sei - »nach dem Hund, dem Pferd, dem Schwein und der Nutria«. Einen Blick auf die USA (vor Trump!) werfend, hält der rumänische Autor Cătălin Mihuleac scharfsinnig fest: »Das Land der alten Emigranten fürchtet sich vor den neuen Emigranten.«

Dieser Teil des Romans ist köstlich, bisweilen zum Schreien komisch. Das Lachen gefriert aber urplötzlich und beinahe ohne Vorwarnung, wenn Cătălin Mihuleac den Leser in die zweite Geschichte hineinstößt. Da geht es nämlich um das Pogrom vom 29. Juni 1941 in der nordostrumänischen Stadt Iaşi. Mit 13 266 Opfern war es eines der entsetzlichsten Pogrome, die es im osteuropäischen Raum überhaupt je gegeben hat (und ausnahmsweise diesmal fast ganz ohne nazideutsches Zutun): »Das copyright für das Pogrom liegt bei den rumänischen Behörden. Um seine Umsetzung haben sich Militärs, Polizisten und Gendarmen gekümmert. Die Legionäre, die lange auf solch eine Gelegenheit gelauert hatten. Und ein Teil der christlichen Stadtbevölkerung, aufgehetzt vom Gebell der Propaganda.«

Mihuleacs detaillierte Schilderungen der Morde, Plünderungen, Vergewaltigungen. Folterungen verstören, schlagen selbst dem noch auf den Magen, der sich in Bezug auf Auschwitz, Treblinka, Sobibor etc. als literaturerfahren einschätzen mag.

»Oxenberg & Bernstein« ist ein mitreißender Roman, schöpfend aus einem ungeheuren Sprachreichtum, in einzigartig schillernden, ebenso kraftvollen wie poetischen, vielfach auch sarkastischen Bildern, die staunen machen. Dass Cătălin Mihuleac in Deutschland noch nicht früher entdeckt wurde, ist ein fast unentschuldbares Versäumnis. Man hofft auf Weiteres.

Cătălin Mihuleac: Oxenberg & Bernstein. Roman. Aus dem Rumänischen von Ernest Wichner. Zsolnay Verlag, 365 S., geb., 24 €.

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