Gefördert, reglementiert und gegängelt

Siegfried Kuntsche stellt die Akademie der Landwirtschaftswissenschaften der DDR vor - ein Unikat auf deutschem Boden

  • Hubert Laitko
  • Lesedauer: 4 Min.

In der DDR gab es von 1951 bis zum Ende des Staates eine Großorganisation der agrarwissenschaftlichen Forschung, die als Deutsche Akademie der Landwirtschaftswissenschaften zu Berlin (DAL) ins Leben trat und 1972 in Akademie der Landwirtschaftswissenschaften der DDR (AdL) umbenannt wurde. Unter ihrem Dach war der Löwenanteil der außeruniversitären Forschungskapazitäten konzentriert, über die die DDR auf diesem Gebiet verfügte. In der deutschen Agrar- und Wissenschaftsgeschichte war eine Institution dieser Art ein Unikat; etwas Vergleichbares hat es auf deutschem Boden weder vorher noch nachher gegeben.

Siegfried Kuntsche bietet einen überzeugenden Gesamtüberblick über die Geschichte dieser Einrichtung nebst einer ungewöhnlich ausführlichen Zeittafel. In seinen Urteilen ist er streng darauf bedacht, nicht mehr zu sagen, als durch die heute verfügbaren Fakten belegt werden kann. Dahinter liegt ein weiter Raum möglicher Deutungen, den sich die Leserinnen und Leser selbst erschließen können.

Während des Wirkungszeitraums der Akademie erfolgte der Übergang zu großbetrieblichen, wissenschaftsaffinen Strukturen in der Landwirtschaft - deshalb brauchte die DDR die DAL/AdL dringend. Zugleich wurde dieser Übergang von der Partei- und Staatsführung auf dem Weg der Kollektivierung weitgehend administrativ bewerkstelligt, und die Grundzüge der Agrarpolitik wurden von der Führung der SED vorgegeben und waren der Kritik entzogen. Das setzte der praktischen Wirksamkeit der Akademie eine unüberwindbare Grenze, sie wurde von der herrschenden Macht sowohl gefördert als auch reglementiert und gegängelt.

Das alles aber vollzog sich, wie Kuntsche detailliert und präzise nachweist, auf eine höchst differenzierte und variable Weise. Es war ein Unterschied, ob die Führung der SED ihre Dominanz durch das Setzen allgemeiner Rahmenbedingungen geltend machte, innerhalb derer sich die DAL/AdL selbst positionieren konnte, oder ob sie in deren konkrete Arbeit dirigistisch eingriff. So nahm ihr in den 1970er Jahren, ihrer schwersten Zeit, das persönliche Machtdiktat des Politbüromitglieds Gerhard Grüneberg fast jede Luft zum Atmen. Für Grüneberg war die Akademie keine souveräne Beratungsinstanz, sondern bloße Erfüllungsgehilfin bei der von ihm ohne jede Beratung mit ihr durchgesetzten desaströsen Politik der betrieblichen Trennung von Tier- und Pflanzenproduktion. Als aber 1981 im Politbüro Werner Felfe die Zuständigkeit für die Landwirtschaft übernahm, endete für die Akademie ein Jahrzehnt rigider Bevormundung, und es öffnete sich wieder ein Raum selbstbestimmten Arbeitens.

So ist das vorliegende Werk auch ein Lehrstück konkreter Analyse. Oft genügt es nicht, einfach »die SED« oder »die Akademie« zu sagen - man muss genau hinsehen, mit wem man es jeweils zu tun hat. Das gilt schon für die Gründung der DAL, die Züge einer Sensation trug: 1951, noch zu Lebzeiten Stalins, als in Moskau der Scharlatan Trofim Lyssenko als Präsident der sowjetischen Akademie der Landwirtschaftswissenschaften auf dem Höhepunkt seiner Macht stand, wurde in der kleinen und in jeder Hinsicht abhängigen DDR eine Agrarakademie gegründet, an deren Spitze mit dem Pflanzengenetiker und Züchtungsforscher Hans Stubbe ein offener Gegner Lyssenkos stand und bei der der Lyssenkoismus personell und konzeptionell keinen Fuß in die Tür bekam, obwohl sich Teile des SED-Apparates sehr darum bemühten. Das wäre nicht möglich gewesen, hätte nicht der Generalsekretär der gleichen Partei, Walter Ulbricht, der DAL gegenüber Moskau den Rücken freigehalten.

Eigentlich wäre für dieses Buch ein gut ausgestattetes Teamprojekt vonnöten gewesen. Kuntsche hat es allein geschafft, und das aus drei Gründen: Weil er selbst ein volles Vierteljahrhundert beharrlich darauf hingearbeitet hatte, weil er sich auf die Auskünfte zahlreicher Zeitzeugen und ein umfangreiches Massiv von Sammelbänden, Institutsgeschichten, Biografien und Autobiografien aus der Feder seiner früheren Kolleginnen und Kollegen von der AdL stützen konnte, und schließlich, weil der Leipziger Universitätsverlag weit mehr als üblich an der Vollendung dieses Werkes Anteil nahm, das nun als eine wissenschaftliche, editorische und verlegerische Meisterleistung einer kritischen Öffentlichkeit zur Beurteilung vorliegt.

Siegfried Kuntsche: Die Akademie der Landwirtschaftswissenschaften 1951- 1990. 2 Bde., Leipziger Universitätsverlag, 973 S., geb., 98 €.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -