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Das bringt doch alles nichts

Bayern-Arzt Müller-Wohlfahrt sagt, Doping sei im Fußball sinnlos. Derweil werden üble Fälle aus der DDR bekannt

Dr. Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt ist 75 und Facharzt für Orthopädie. Seine Diagnosen und Heilungserfolge sind Legende und wer diesen älteren Herrn federnd über den Rasen zum Verletzten eilen sieht, ist bereit, ihm den einen oder anderen Irrtum durchgehen zu lassen. Oder?

Seit 1977 betreut Müller-Wohlfahrt - mit zwei kurzen Unterbrechungen - die Fußballer des FC Bayern München. «Doc» sagen die Münchner Spieler zu ihm. Sein Star-Patient Usain Bolt, Sprint-Fabelweltrekordler, nennt ihn wahlweise «Mull», einen Freund oder aber «den besten Arzt der Welt». Dieser Tage nun ist Müller-Wohlfahrts Buch «Mit den Händen sehen» herausgekommen und im passend dazu erschienenen «Zeit»-Interview, liefert der Meister der händischen Muskeldiagnostik ein Musterbeispiel für die Entrücktheit des Fußballs in Sachen Doping: Nein, nie sei ihm das Thema Doping in seinen Jahren beim FC Bayern oder der Nationalmannschaft untergekommen. Für Supersprinter Bolts Sauberkeit würde er «beide Hände!» ins Feuer legen. Und er habe nie Verdacht geschöpft, bei keinem der vielen Fußballer, die er in seiner langen Laufbahn behandelt hat: «Es würde nichts bringen, Muskelmassen anzutrainieren, denn dann würden sie zu schwer werden.»

Doping im Fußball bringt nichts? Eine Argumentation, die man lange nicht mehr gehört hat: Spätestens seit - ja, seit wann eigentlich nicht mehr? Seit 2015 bekannt wurde, dass die Sportmediziner Armin Klümper und Joseph Keul von der Universitätsklinik Freiburg in den späten 70er und frühen 80er Jahren den Fußballern des VfB Stuttgart «schnelle Beine» machten? Oder seit 2010 Sporthistoriker Erik Eggers herausfand, dass die 1954er Weltmeistermannschaft aller Wahrscheinlichkeit nach mit dem Aufputschmittel «Pervitin» nachgeholfen hatte - einem Metamphetaminpräparat, dass die Deutschen im Zweiten Weltkrieg ihren Soldaten verabreichten, zur Steigerung von Ausdauer, Konzentration und Stimmung? Oder seit dem Dopingskandal um den spanischen Dopingarzt Eufemiano Fuentes, dessen Klienten auch aus Spaniens Fußballklubs gestammt haben sollen? Der Skandal wurde 2006 ruchbar. Zu dieser Zeit verrieten etliche Profifußballer und auch Bundesligatrainer Peter Neururer, die Einnahme des Stimmungsaufhellers «Captagon» sei in den 1980er Jahren «gang und gäbe» gewesen.

An diesem Mittwoch, just an jenem Tag also, an dem die «Zeit» die Dopinglebensweisheiten des Münchner Orthopädie-Gurus in die Welt trompetete, hielt in Berlin der Dopingopferhilfeverein eine Pressekonferenz ab. Wie so oft ging es um den bitteren Preis, den Tausende Kinder und Jugendliche in der DDR zahlen mussten - für die 755 Olympiamedaillen, 768 Weltmeister- und 747 Europameistertitel, mit denen sich die DDR in ihren vier Jahrzehnten so gerne der Überlegenheit im Kampf der Systeme rückversicherte: Massenhaftes Doping Minderjähriger.

Diesmal saßen zwei Turnerinnen und eine Sportgymnastin auf dem Podium, alle in den 70er Jahren geboren, und als die Frauen ihre Kindheitserfahrungen schilderten, flossen schon bald die Tränen, nicht nur bei Dörte Thümmler, 1987 Weltmeisterin am Stufenbarren, die von den sadistischen Methoden ihres Trainers beim SC Dynamo Berlin berichtete, denen sie bereits im Kindesalter ausgesetzt war. Heute leidet sie an chronischer Erschöpfung und ist seit acht Jahren «endberentet», wie sie sagt. Mit 46. Sie berichtet von der täglichen Angst vorm Training und vor allem vor dem Trainer, der übrigens bis heute noch in Berlin mit jungen Turnerinnen in der Halle ist, wie eine erwachsene Amateurin aus dem Publikum einwirft.

Ines Geipel, Vorsitzende des Dopingopferhilfevereins, glaubt, die Arbeit ihres Vereins sei heute nötiger denn jemals zuvor: «Je mehr wir arbeiten, desto größer wird die Dunkelheit, in die wir schauen.»

Auch der Fußball rücke immer mehr ins Betrachtungsfeld der Dopingaufarbeiter. 20 ehemalige DDR-Spitzenfußballer hätten sich bisher beim Verein gemeldet. Zwölf anonymisierte Schilderungen gibt der Verein an die Öffentlichkeit weiter: Fußballer der Jahrgänge 1959 bis 1971, die meisten sollen das Anabolikapräparat Oral-Turinabol bekommen haben, ohne über die Nebenwirkungen aufgeklärt worden zu sein. Heute leiden sie an Krebs, Skeletterkrankungen, verweiblichten Brüsten, multiplen Schmerzerkrankungen, etliche auch unter Depressionen.

Die Athleten aus den zwölf anonymisierten Protokollen spielten in zehn verschiedenen Klubs, was Geipel den Schluss ziehen lässt, dass Oral-Turinabol in der Oberliga Usus war, «auch schon im Juniorenbereich», wie die Geschädigten berichteten. Geipel und ihr Verein forderten deshalb am Mittwoch, dass sich auch der Deutsche Fußball-Bund «an einem einzurichtenden ›Notfonds für Sportopfer‹ substanziell beteiligen solle: »Das sind harte Fälle, insofern richtet sich unsere Forderung auch an den DFB. Es ist erschreckend, in welchem Maße im DDR-Fußball gedopt wurde«, sagt Geipel.

Beim DFB, bei dem übrigens Dr. Müller-Wohlfahrt seit 1995 als Teamarzt fungiert, zeigte man sich schon am Donnerstag zumindest nicht vollkommen abgeneigt: Der sieben Millionen Mitglieder starke Verband signalisierte laut »Süddeutscher Zeitung« über einen Sprecher, man habe den Hinweis des DOH »zur Kenntnis« genommen: »Sollte es dokumentierte Fälle aus dem Fußball geben, ist der DFB grundsätzlich bereit, den gesamten Sachverhalt zu prüfen.«

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