Zukunft in der dritten Dimension

Von Blumen und Bomben - ein Rundgang über die Internationale Luft- und Raumfahrtmesse ILA 2018

  • René Heilig
  • Lesedauer: 8 Min.

Geht es nach dem Willen der Messemacher, so soll man ILA ab sofort mit Innovation and Leadership in Aerospace übersetzen. Nun gut, Klingeln trotz Düsenlärms gehört zum Geschäft, doch man muss zugeben: Vor den Toren Berlins, wo noch immer die Milliarden verzehrende BER-Blamage Unmut und Spott auf sich zieht, war eine halbe Woche lang einiges aufgeboten, das wirklich Zukunft verspricht. Nicht alles davon ließ sich bei wendigen Manövern am Himmel bestaunen. In der Halle für Weltraumforschung beispielsweise hat man schlaglichtartig irdische Probleme aus kosmischer Sicht begutachten können. Auch die Klimakatastrophe. Die europäische Raumfahrtagentur ESA sah sich ein paar Lichtjahre weiter um und veröffentlichte passend zum Messebeginn die bislang detailreichste Karte der Milchstraße, benachbarte Galaxien inklusive. Vermerkt sind Daten von fast 1,7 Milliarden Sternen und bislang ungesehene kosmische Details, die man mit Hilfe der 2013 gestarteten Sonde »Gaia« vermessen hat. Faszinierend! Ob es wohl in irgendeiner dieser Galaxien kein Klimaleiden gibt?

An den zahlreichen Messeständen gab es nebst Erläuterungen der Angebote allerlei Prospekte, klebrige Bonbons, Gummibärchen in Flugzeugform, Kaffee und Kugelschreiber. Soweit, so normal. An einem Stand in Halle 3 regte der Anblick täglich frischer Nelken die von Technik geplagten Augen an. Wunderschön in all dem Trubel um Fortschritt und Profit. Und doch so total fehl am Platze. Die Blumen zierten den Stand von Diehl Defence. Über ihnen schwebten Bombenmodelle. Der Stiftungskonzern bietet an, was Gevatter Tod und seinen Generalen gefällt. Damit macht die deutsche High-Tech-Firma pro Jahr einen Umsatz von rund 500 Millionen Euro. Einer ihrer Slogans lautet: Wir nehmen uns die »Freiheit langfristig zu denken«.

Solch Freiheitsstreben begegnete man auf der ILA hundertfach. MBDA beispielsweise lässt keinen Raketenbereich aus. Von der Tornister-Waffe für den Infanteristen bis zum Marschflugkörper - alles der letzte Schrei. Den der Opfer hörte man nicht auf der Berliner Messe, die Testfelder der diversen Präzisionswaffen liegen weit weg - in Syrien, Jemen oder Afghanistan. Weitere werden bereits erschlossen, um - strategisch geplant - auch kommenden Generationen das Überleben streitig zu machen.

In diesem Jahr war Frankreich ILA-Partnerland. Deutschland und Frankreich sind nach dem Brexit-Beschluss Großbritanniens die unumstrittenen Führungsnationen in EU-Europa und beide haben bereits im vergangenen Jahr auf höchster Ebene vereinbart, dass man militärisch noch stärker den Ton angeben will.

Donnerstagnachmittag, der Regen hatte sich verzogen. Eskortiert von einer französischen »Rafale« und einem deutschen »Eurofighter« schwebte ein Airbus A400M heran. Dem Transporter entstiegen die beiden Verteidigungsministerinnen Ursula von der Leyen (CDU) und ihre französische Amtskollegin Florence Parly. Erster Programmpunkt: Das Modell der künftigen Euro-Drohne enthüllen. Wie geübte Mannequins lachten die beiden Damen in Dutzende Kameraaugen.

Bereits im Mai 2015 hatten Paris und Berlin eine Absichtserklärung unterzeichnet, laut der man das unbemannte MALE-System gemeinsam bauen will. Mit dabei sind Italien und Spanien, andere Länder sind eingeladen. Die notwendigen parlamentarischen Beschlüsse für den Bau der Drohne sollen im nächsten Jahr fallen, die Auslieferung ist für das Jahr 2025 (plus x) geplant. Doch darüber, wer was konstruiert und baut, wer die Triebwerke liefert und wer die Sensoren entwickelt, gibt es noch kein Einverständnis. Auch nicht über mögliche Stückzahlen. Folglich ist die Kostenfrage völlig offen.

Doch Deutschland und Frankreich planen weitaus mehr Kooperationen. Einen Tag vor dem Ministerinnenauftritt hatten die Flugzeugbauer Airbus und Dassault den Bau eines gemeinsamen Kampfjets namens Future Combat Air System (FCAS) vereinbart. Im Juni soll ein Fahrplan für das Rüstungsgroßprojekt folgen. Man brauche so einen Kampfjet, um Vorsorge treffen zu können, ließen sich die Ministerinnen zitieren. Vorsorge? Ja, für ein »starkes Europa, das seine Menschen und seine Werte schützen kann«, lautete die Antwort. Als ob tragfähige Verträge zur Abrüstung vor allem mit Russland nicht tausendmal billiger und vor allem sicherer wären.

Mal abgesehen vom Politischen, die Erfahrung mit solchen multinationalen Rüstungsprojekten lässt vor allem eines ahnen: Schwierigkeiten. Denn als »System of Systems« soll FCAS »ein breites Spektrum von Einsatzmitteln, die im Verbund arbeiten, zusammenbringen«. Weil die Ausrüstung der Streitkräfte technisch immer aufwendiger und damit teurer werde, sei es einfach nur klug, dass man sich zusammentut, um Technik und Technologie gemeinsam zu entwickeln - egal, ob es sich um schwimmende, rollende oder fliegende Systeme handelt, sagte von der Leyen. Und so unterschrieb sie mit Parly dann noch rasch eine Absichtserklärung zum Bau eines gemeinsamen See-Fernaufklärungsflugzeuges. Voran kommt man auch beim Ausbügeln eigener Unzulänglichkeiten auf dem Lufttransportsektor. Denn weil der einst als Nonplusultra gepriesene A400M nicht kann, was er können soll, stellen Deutschland und Frankreich einen gemeinsamen Luftwaffenverband auf. Dabei muss man auf bewährte Technik zurückgreifen - die Hercules C-130J. Das Flugzeug kommt aus den USA. Die auf der ILA geschlossene Vereinbarung regelt den Betrieb und die gemeinsame Ausbildung von deutschen und französischen Piloten sowie Mechanikern.

Selbst gestandene Offiziere der Luftwaffe staunen über Umfang und Eile der Aufrüstung. Unlängst noch habe man um jedes Ersatzteil betteln müssen, jetzt spielt Geld offenbar keine Rolle mehr. Ist das so? Nicht ganz. Hinter den Kulissen streitet die Große Koalition durchaus über den Finanzbedarf der Bundeswehr. Von der Leyen will angeblich noch in dieser Legislaturperiode zwölf Milliarden Euro über den bisherigen Plan hinaus erhalten. Olaf Scholz, der Finanzminister von der SPD, will die von seinem Vorgänger übernommene Schwarze Null retten. In der kommenden Woche beginnen die Haushaltsverhandlungen. Dabei wird vermutlich nicht ganz unbedeutend sein, dass Kanzlerin Angela Merkel bei ihrem jüngsten USA-Besuch versprochen hat, dass Deutschland die Verpflichtungen gegenüber der NATO einhalten wird. Das bedeutet: Zwei Prozent des jährlichen Bruttoinlandsproduktes bekommt das Militär.

Die Inspekteure aller deutschen Teilstreitkräfte halten die Hand auf. Jeder kann begründen, warum gerade sein Bereich jetzt ganz viel Zuwendung braucht, um Lücken in der Ausrüstung zu schließen. Doch dabei denken sie weniger an Gerät aus der Serie »Irgendwann«. Marktverfügbare Modelle seien die bessere Lösung, heißt es. Es mag ja sein, dass irgendwann nach 2040 der neue deutsch-französische Jet tatsächlich fliegt, doch schon Mitte des kommenden Jahrzehnts hat der »Tornado« seine mehrfach verlängerte Nutzungsdauer überschritten. Die Luftwaffe will und die Regierung muss einen Nachfolgetyp beschaffen. Einer, der wie der »Tornado« US-Atomwaffen abwerfen kann. Das ist die Voraussetzung, um an der sogenannten nuklearen Teilhabe der NATO beteiligt zu bleiben. So absurd es klingt, doch nur so kann die Bundesregierung, wenn sie allen Mut zusammennimmt, Ad-hoc-Irrsinnsaktionen des US-Präsidenten stoppen helfen.

Beim Thema »Tornado«-Ersatz kam die F-35 vom US-Hersteller Lockheed-Martin ins Gespräch. Nicht ganz zufällig hat die US Air Force zwei Exemplare des für Radar angeblich unsichtbaren Wundervogels zur ILA geflogen. Seht her und kauft, lautete die Botschaft. Eines jedoch macht stutzig. Die beiden Maschinen wurden nicht im Flug vorgeführt. Das, so ein Gerücht, liegt an einem System, das der kleine deutsche Elektronikhersteller Hensoldt in einem kleinen Lkw auf der Messe in Aktion vorstellte. Es handelt sich um eine Art passives Radar. Durch die damit mögliche Auswertung von Funkwellen-Anomalien kann man angeblich auch Tarnkappen-Bomber wie die F-35 sichtbar machen.

Tatsache ist, die USA streben wieder mehr Einfluss auf die deutsche Rüstung an. Gerade in der dritten Dimension. Der Plan geht auf. Beispiel: Die deutsche Luftwaffe benötigt ein Nachfolgegerät für ihren schweren Hubschrauber CH-53. Lockheed bietet einen an. Der Sikorsky CH-53K absolvierte auf der ILA seine Auslandspremiere. Gleichfalls am Himmel war das Konkurrenzmodel von Boeing, die CH-47 »Chinook«. Boeings Europa-Marketingchef Drew Magill warb damit, dass sein Konzern bereits 600 Mitarbeiter in Deutschland beschäftige und mit 100 deutschen Zulieferern zusammenarbeite. Er versprach, die Forschungszentren in Neu-Isenburg und München auszubauen, wenn die Bundeswehr sich für den »Chinook« entscheide. Und womit hielt Lockheed dagegen? Der Konzern ließ Sergei Sikorsky einfliegen. Vater Igor, der zur Zarenzeit in Russland Flugzeuge baute und zu Revolutionszeiten in die USA flüchtete, ist der Stammvater aller US-Hubschrauber. Sein Sohn hatte die Bundeswehr in den 1950er Jahren schon einmal mit Hubschraubern aus den USA versorgt.

Die ILA lieferte viele Zerrbilder. Abermals dominierte das Militär, obwohl die militärische Luftfahrt in Deutschland im vergangenen Jahr »nur« einen Umsatz von 29,2 Milliarden Euro (Vorjahr: 27,1 Milliarden) auswies. Die Beschäftigtenzahl erhöhte sich nur leicht auf 24 000 Mitarbeiter. Entscheidender Wachstumsmotor ist und bleibt der zivile Luftfahrtbereich. Er gibt 76 500 Beschäftigten Lohn und Brot und hat 73 Prozent Anteil am Gesamtbranchenumsatz. Hinzu kommt die Raumfahrttechnik. Deren Umsatz stieg gegenüber dem Vorjahr um drei Prozent auf drei Milliarden Euro. Allein der Auftragsbestand bei Airbus entspreche etwa neun Jahren Produktion - gemessen an den aktuellen Fertigungsraten, hieß es auf der Messe. Und wer den riesigen flüsternden A350 am Himmel über Schönefeld und allerlei erfolgreich staatlich geförderte Forschungsprojekte sah, glaubt daran, dass Ökonomie und Ökologie durchaus eine umsatzsteigernde Symbiose eingehen können. Alles in allem ist Klaus Richter, Präsident des Bundesverbandes der deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie (BDLV), optimistisch. Was ihn dennoch nicht davon abhält, an der Politik der Bundesregierung herumzumeckern. Man müsse, so Richter, die Diskussion über die Rüstungsexportkontrolle noch einmal gründlich führen. »Die gegenwärtige Exportpolitik schränkt nicht nur unsere Exportfähigkeit ein, sondern sie gefährdet unsere Möglichkeiten zu grenzüberschreitend integrierten Programmen, ja sogar zu europäischen Unternehmen.« Dem entgegenzuwirken, sei »Ausdruck politischer Verantwortung«, sagte Richter.

Stichwort Verantwortung: Als die ILA nach der deutschen Einheit 1992 erstmals wieder in Berlin veranstaltet wurde, standen Friedensaktivisten vor den Messetoren. Angeführt von der damaligen PDS und einigen Grünen hielten ein paar Dutzend Träumer Transparente hoch, auf denen Schwerter zu Pflugscharen umgeschmiedet wurden. Heute freuen sich deren Nachfolger im Berliner Senat und der Brandenburger Landesregierung darüber, in der Hauptstadtregion eine so erfolgreiche Innovationsmesse veranstalten zu können.

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