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- Theatertreffen 2018
Treten Sie nicht auf Helena!
Theatertreffen: »Beute Frauen Krieg« vom Schauspielhaus Zürich in den Rathenau-Hallen
Es gibt nicht nur die Poesie der Seligpreisungen, es gibt auch den Enthusiasmus des Verfluchens. Er ist zu einem starken Theaterabend geworden. »Beute Frauen Krieg« heißt die Collage vom Schauspielhaus Zürich, Regie: Karin Henkel, Bühne: Muriel Gerstner. Verfugt wurden Euripides’ »Troerinnen« und »Iphigenie in Aulis«, in Fassungen von John von Düffel und Soeren Voima. Der Blick auf den Kampf um Troja, aufs Schicksal der Hekabe, die als Königin der Stadt von den Griechen zur Sklavin niedergestampft wird - gemeinsam mit Andromache und Kassandra, Kriegsmitbringsel des geilen Agamemnon. Dann das Schicksal der schönen Helena: Huren-Hitze als Kriegsgrund? Und erzählt wird auch die Geschichte einer Familie, in der Klytaimnestra ihren Gatten Agamemnon ermordet - er hatte die gemeinsame Tochter Iphigenie fürs Kriegsglück geopfert.
Ein langer Steg in großer Halle. Vorhänge fallen, schaffen drei Räume für drei Publikumsgruppen. In jedem Raum simultan je eine Erzählung: Andromache, Helena, Kassandra. Die Zuschauer ziehen von Ort zu Ort. Eine Wiederholungsschleife. Das Ensemble spricht sehr, sehr leise - aber wir tragen Kopfhörer. Ein Intensitäts-Kunststück: Die Stimmen bohren sich ins Hirn, das Hirn bittet das Herz herauf zu sich. Empfindungsdenken. Im Dunkeln die grünen Leuchtpunkte unserer Kopfhörer, wie Sternenferne. Weltall, Erde, Mensch. Von sehr weit kommen wir uns sehr nah: Die Götter sind tot, der Mensch nahm alles selbst in die Hand - vor allem den Stein, der erschlägt. Der Mensch nun selber Gott? Über dieser Vision wird er zum Gespenst.
»Gebt mir meine Kinder wieder!« Oder: »Sterben, sterben, sterben!« Im Dröhnen Trauer, im Wispern Wut. Andromaches Baby wird an eine Wand geschlagen, von der Folie schmiert Blut herab. »Wein doch nicht, du bist doch tot.« Carolin Conrad: im Wahn so zornesfest. Noch im Wesenlosen so klagend konturiert. Bezwingende Hochtextspannung. Bedrängende Texthochspannung. Viel Schwarz. Helena aber ist blond, im grellroten Pink-Rot - Hilke Altefrohne und Isabelle Menke bilden ein plumpfreudiges, beinahe schnippisches Doppel aller Diven-Klischees. Und die Kassandra von Dagna Litzenberger Vinets: schmächtige Zombiepuppe einer gnadenlosen Vergewaltigung. Käte Strong als Hetäre: eine wendige, zwischen Englisch und Deutsch wechselnde Moderatorin des Unheils.
Der gesamte Spieltrupp: Wallungen tausendfach gescherbter Elendsseelen. Die Männer funktionsvernagelt: Trainingshose, Paradeuniform, kriegssteifes Bein.
Andromache im Pappverschlag. Helena in der Mitte des Stegs, auf zwei Salontischen Cognac und ein kleiner Grieche aus Gips: In rotziger Kokettheit tänzelt, trotzt, posiert sich die Schöne das Unglück aus dem Leibe, ein Mythos sein zu müssen. Kassandra liegt im Flitterkleid verkrümmt auf einer sich drehenden Dance-Platte. Die furchtbare Gabe, Zukunft zu sehen, machte aus einem Menschen ein neurotisch zernichtetes Bündel Unglück, dem niemand glaubt. »Ich bin der Untergang.« Wahrheit ist immer der Untergang. Stets produziert der Weg zur Macht einen geradezu metaphysischen Todesappetit; jedes Neue vermählt sich mit dem Urgeschehen menschlicher Existenz: dem Schuldigwerden. Das Frühzeit-Grundgesetz, gültig bis heute, von Erdoğan bis Putin, von Assad bis zu sonstzuwem: Unrecht behauptet, nun endlich das Recht zu sein; Ungerechtigkeit posaunt, sie heiße jetzt Gerechtigkeit; die alte Schlacht lügt, sie sei fortan der neue Frieden.
Im Zwielicht jeder Zeit steht alles für Wiederholungen bereit. Und so wirkt die Hekabe von Lena Schwarz - eine heimatlose Königin im schweren Mantel für den fortan unendlichen Winter der Welt, Haarsträhnen im Gesicht als wünsche sie sich eine Tarnkappe - wie eine unsterbbar zum Klagen Verdammte. Klage, will sie Würde bleiben, ist immer auch Selbstanklage: Schuld und Schmach und Schande - sind nicht auch Opfer Täter und die Täter Opfer?
Der Philosoph Peter Sloterdijk nennt das, was alle Mächtigen so treibt, den »zukunftsblinden Interventionismus«. Eine Politik, »beginnend mit der Destabilisierung unwillkommener Regime, endend mit der Überlassung ruinierter Staaten an Chaos, Terror und nie beendbarem Bürgerkrieg«. Wahre Friedensgeschichte? Die läge einzig in der Kunst, den Zufall zu zähmen. Kunst der Künste. Griechischer Stoff. Akut in wirren Zeiten, jetzt, da die Ratlosigkeit besonders sumpfig blüht - und der Rezeptehandel auch.
So ist dieser Abend ein Mechanismus-Protokoll - vom Weltenlauf, in dem auch wir heute als kluge Idioten feststecken. Glaube - auch ans Gute! - macht gefährlich frei, weil er jedes Schuldigwerden an eine Notwendigkeit delegiert. Ein Blick rundum genügt: Allenthalben, aus allen Richtungen, Kriegserklärungen - deren Hauptvokabeln aber Frieden, Freiheit, Moral, Vaterland, Sicherheit sind. Die Orte der Enttäuschungen sind austauschbar, die Vergangenheit grüßt ins Morgen, »wir würgen an mehreren Welten« (Volker Braun).
Wir stecken fast drei Stunden in Klagen und Klitterungen. Sind umschlichen von Untoten. Die aufgereckt stehen, wie Schatten gehen oder am Boden liegen. Beim Segmentwechsel sind alle Bewegungen in Stille und Vorsicht getaucht. Die ist geboten. »Treten Sie nicht auf die schöne Helena!«, bittet einer der Griechen.
Weitere Vorstellung: 8. Mai
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