Rechnung mit vielen Unbekannten

Malaysia vor der Wahl: Ein ramponierter Regierungschef, ein Ex-Premier als Oppositionskandidat und viel Ungewissheit

  • Thomas Berger
  • Lesedauer: 3 Min.

Malaysia vor einem Machtwechsel, erstmals in der Geschichte der einstigen britischen Kolonie? Noch ist es zwar zu früh für fundierte Prognosen. Zu viele Unbekannte beeinflussen die Bewertung der Chancen, selbst die Umfrageinstitute halten sich tendenziell zurück. Einerseits sehen die jüngsten Befragungen weiter eine Mehrheit von Nationaler Front und Vereinigter Nationalorganisation der Malaien (UMNO). Andererseits muss sich das seit der Unabhängigkeit regierende und politisch in den Augen Vieler inzwischen abgewirtschaftete Regierungsbündnis in jedem Fall auf Verluste einstellen. Die Frage ist, ob es zumindest für eine knappe Mehrheit reicht.

Premier Najib Razak ist längst einer der unbeliebtesten Machthaber in der Landesgeschichte. Vor allem wegen des Skandals um den staatlichen Entwicklungsfonds 1MDB, der schon seit mehreren Jahren in finanzieller Schieflage ist. Wie Millionensummen von dort auf Privatkonten Najibs landeten, konnte der Regierungschef bis heute nicht erklären. Auch die Wirtschaft stagniert weitgehend, vor allem für junge Leute fehlen Jobs.

Der Mann, der eigentlich der Herausforderer wäre, kommt erst in einem Monat aus dem Gefängnis frei. Anwar Ibrahim, inzwischen 70-jährig, ist die Ikone der Oppositionsbewegung. Er wurde zunächst vom damaligen Regierungschef Mahathir Mohamad als Kronprinz aufgebaut. Dann kam die Entmachtung Anwars und Vorwürfe von Korruption und (in Malaysia unter Strafe stehender) homosexueller Aktivitäten. Eine erste Haftstrafe hat Anwar schon abgesessen. 2015 wurde er zu weiteren fünf Jahren verurteilt. Nach Verbüßen von zwei Dritteln, so hieß es im Januar von offizieller Stelle, dürfte er nun am 8. Juni entlassen werden.

Zu spät, um die Opposition in diesem für sie bisher wichtigsten Wahlkampf anzuführen, zumal seine eigenen Wahlrechte noch weiterhin suspendiert bleiben. Folglich musste sich die Pakatan Harapan, die sich auf die Volksgerechtigkeitspartei und die liberale Demokratischen Aktionspartei (DAP) stützt, nach einer anderen charismatischen Führungsfigur umsehen. Und wurde ausgerechnet in jenem Mann fündig, der Anwar dereinst so brutal abserviert hatte. Mahathir mag 92 sein, wirkt aber geistig agiler als so mancher. Am derzeitigen Premier hatte der »Altstar«, den viele Landsleute bis heute als Modernisierer Malaysias sehen, schon zu Zeiten, als er selbst noch UMNO-Mitglied war, kein gutes Haar gelassen.

Das Bündnis zwischen den liberalen Parteien der Pakatan und Mahathir ist ein taktisches, um dem Land zu einem Neuanfang zu verhelfen. Ideologisch gibt es markante Differenzen. So bleibt Mahathir ein Konservativer, der eher an einen starken Staat als an demokratische Mitwirkung des Einzelnen glaubt. Den einen oder anderen oppositionellen Wähler mag die Personalie vergraulen - während umgekehrt die Hoffnung herrscht, er könnte Stimmen aus konservativen Kreisen einholen. Denn dort haben die beiden liberalen Parteien, die eine starke Basis unter der chinesischen und indischen Minderheit besitzen, nach wie vor nur begrenzten Rückhalt.

Inzwischen hat die Oppositionsallianz in vorletzter Minute weitere prominente Unterstützung gewonnen. Auch Daim Zainuddin und Rafidah Aziz haben die Seiten gewechselt. Beide waren einst unter Mahathir Minister. Beide gehörten bis vor kurzem noch der UMNO an.

Der langjährige DAP-Spitzenmann Lim Kit Siang kündigte unterdessen an, dass Pakatan Harapan, sollte die Allianz gewinnen, zügig nach Wegen suchen werde, um den »brain drain« zu stoppen. Gerade gut ausgebildete Malaysier gehen wegen des schwierigen Arbeitsmarktes ins Ausland - insgesamt sind es schon eine Million. Unter anderem im benachbarten Stadtstaat Singapur haben etliche ein gutes Auskommen gefunden. Wirtschaftsexperten wie Ng Yeen Seen, die Chefin des Instituts Centre for Research, Advisory and Technology, befürchten bei einem Machtwechsel jedoch auch ein Ende der engen Partnerschaft Malaysias mit China, was diverse Großprojekte und ganze Branchen hart treffen könnte.

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