• Politik
  • Ein Jahr Macron-Präsidentschaft

»Bei der Front National ist die Luft raus«

Frank Baasner zu einem Jahr Macron-Präsidentschaft in Frankreich und deren Auswirkungen auf Europa

Emmanuel Macron hat am Donnerstag den Karlspreis für europäische Verständigung verliehen bekommen. Hat er die Ehrung verdient?

Sie kommt zumindest sehr früh. Aber er hat sehr mutig mit pro-europäischen Überzeugungen Wahlkampf gemacht - und auch damit gewonnen. Zum anderen hat er den anderen Europäern richtig große Vorlagen geliefert mit seinen drei Reden in Athen, an der Sorbonne und im Europäischen Parlament. Er hat viel auf den Tisch gelegt, auch mit dem Risiko, mit seinem Vorstoß zu scheitern. Das verdient schon Respekt.

Frank Baasner

Prof. Dr. Frank Baasner ist Direktor des Deutsch-Französischen Instituts Ludwigsburg. Neben den Beziehungen zwischen beiden Staaten beschäftigt er sich u.a. mit dem politischen System Frankreichs. Über ein Jahr Präsidentschaft von Emmanuel Macron, deren Folgen für die französische Parteienlandschaft und Macrons Reformvorschläge für die EU sprach mit ihm Uwe Sattler.

Der deutsch-französische Motor hat die europäische Integration jahrelang angetrieben. In letzter Zeit stottert er etwas. Wo klemmt es?

Da kommen viele Sachen zusammen. Erst mal ist die EU mit 28 oder bald 27 Mitgliedern etwas anderes als eine EU mit 6, 9, 12 oder 15 Staaten. Das Gewicht des bilateralen Sonderverhältnisses Deutschland-Frankreich hat relativ abgenommen. Und wenn man die EU zusammenhalten will, und das betont ja Angela Merkel immer wieder, dann lässt sich nicht mehr so einfach sagen: Wir machen mal hier Vorschläge und der Rest wird sich schon damit abfinden. Daneben gibt es inhaltlich natürlich auch Unterschiede in den Positionen. Die deutsche Regierung hat sich bis jetzt nicht klar geäußert, wie sie eigentlich zu Macrons Vorschlägen steht. Es ist sehr viel abgewehrt worden, es gab auch Unterstellungen, die einfach nicht stimmen. So hieß es, Macron wolle die alten EU-Schulden Frankreichs einfach vergemeinschaften. Aber das stimmt nicht, er will nach vorne gemeinsame Budgets stärken. Die Deutschen reagieren mit so einem Abwehrreflex. Das ist, wie ich finde, ein Fehler. Man muss ja nicht allem zustimmen, aber wir brauchen eine Debatte darüber, und zwar eine öffentliche, wohin wir eigentlich wollen mit dieser EU. Wenn Deutschland sich da nicht äußert, kann es in ganz Europa keine Debatte geben. Deswegen ist dieser Motor im Moment noch nicht so richtig in Fahrt.

Nun trägt Emmanuel Macron seine Ideen auch relativ forsch vor.

Tja, so ist er halt.

Könnte nach einem deutschen nun ein französisches Europa kommen?

Also dass mal ein anderes Land mit seiner Regierung oder in diesem Fall mit seinem Präsidenten in Vorleistung tritt und nicht alles immer nach Deutschland starrt, um zu schauen, was jetzt der Herr Schäuble oder der Herr Scholz so sagen, das finde ich gut. So wenig wie das vorher ein rein deutsches Europa war, so wenig ist es heute ein französisches Europa. Aber dass da ein gewisser Führungsanspruch ist, das ist eigentlich in Ordnung. Irgendjemand muss ja mal aus den Pantoffeln und sagen, wo es langgehen könnte, und dann wird darüber geredet. Dafür haben wir ein Parlament, dafür haben wir eine öffentliche Meinung, dafür haben wir Medien. Wenn keiner voranschreitet, wird es auch keine Debatte geben.

Wenn sich Deutschland etwas bedeckt hält, was die Vorschläge von Macron anbelangt, könnte sich der Präsident auch andere Partner für seine europapolitischen Ideen suchen?

Die Frage ist spannend. Man hat ja das Gefühl, Macron lasse sich nicht aufhalten und macht einfach immer weiter. Aber wenn wir realistisch sind: Es ist ja nicht so viel an Alternativen da. Italien wäre der geborene Partner, ist aber eben permanent in der Regierungskrise. Sonst sehe ich kein Land von Gewicht, das an die Stelle Deutschlands treten könnte.

Europapolitik war für alle französischen Präsidenten immer eine Art verlängerte nationale Politik. Ist das unter Macron anders geworden?

Ich würde eher sagen, Macron tritt in eine Tradition ein, die seit Gründung der fünften Republik mit de Gaulle eigentlich immer da war. Nämlich dass Frankreich versucht, auf der weltpolitischen Bühne eine eigenständige Rolle zu spielen. Nicht unbedingt gegen andere, aber eben eigenständig. Das hat er sehr, sehr stark wieder gemacht, da braucht man bloß seinen Besuch in den USA anzugucken. Und mit diesem Kurs will er zugleich den Franzosen das Gefühl geben, dass Frankreich wieder Akteur auf der internationalen Bühne ist. Das gehört auch zu Macrons Strategie der Popularität. Übrigens: Dass er Europa als verlängertes Nationales sieht, kann man ihm ebenso wenig vorwerfen wie Deutschland, das es nicht anders macht. Es gibt nationale Interessen, es gibt aber auch gemeinsame europäische Interessen. Daher spricht der Präsident sehr bewusst von einer europäischen Souveränität.

Macrons Innenpolitik scheint aber nicht sehr populär zu sein, schließlich gibt es heftige Proteste dagegen. Hat er gerade im sozialen Bereich die Erwartungen nicht erfüllt?

Macron ist nicht mit einer gigantischen Mehrheit gewählt worden. Das heißt, die Erwartungen, die an ihn gerichtet waren, das waren von Anfang an nicht die Erwartungen einer sehr großen Mehrheit. Von daher finde ich sogar, dass er relativ wenig Gegenwind hat. Die traditionelle französische Version war ja, man macht irgendwelche Reformen, dann fangen einige Gruppen an zu streiken, dann gibt es einen Solidarisierungseffekt, dann streiken fast alle. Das ist im Moment allerdings nicht der Fall. Es gibt Streiks zum Beispiel der Eisenbahner. Aber die Bereitschaft der Bürger, das gut zu finden, ist sehr begrenzt. Macron macht eben politisch genau das, was er gesagt hat. Ein bisschen autoritär, aber ich sehe kein Abweichen von dem, was er im Wahlkampf angekündigt hat. Dass das nicht alle Franzosen glücklich macht und nicht alle mit Hurra hinter ihm herlaufen, ist richtig. Aber seine Umfragewerte sind nach wie vor deutlich besser als jene von Hollande und Sarkozy seinerzeit.

Seit Macrons Amtsantritt hört man weniger von der extremen Rechten.

Das ist das wirklich Erstaunliche: Bei der Front National ist die Luft einfach raus. Das sagen mir auch viele Franzosen, Bürgermeister, Abgeordnete aus allen möglichen Lagern, rechts, links, oben, unten. Natürlich gibt es noch diese potenziell zehn Millionen Wähler, man muss da mal gucken, wohin die sich orientieren. Denn selbst FN-Mitglieder oder auch Kandidaten fürs Parlament sind über die Abwärtsbewegung extrem verunsichert.

War es Macrons Politik, die der FN den Wind aus den Segeln genommen hat?

Es war immer ein Teil des Erfolgs der Front National zu sagen, das System muss sich ändern. Und nun ist der Macron da und der ändert das System ziemlich heftig. Es funktioniert nicht mehr für den FN zu behaupten: Guck mal, die anderen Parteien sind doch alle gleich und systemtragend. Und selbst bei klassischen FN-Themen wie der Einwanderung geht Macron voran und entwirft ein Einwanderungsgesetz, das eben eine legale Einwanderung ermöglichen soll. Damit hat er ein Feld besetzt, bei dem Marine Le Pen mit ihren Aussagen zur illegalen Immigration nur noch ganz schwierig punkten kann. Die Dynamik ist weg bei der Front National.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!