Hochkultur, das sind die anderen

Statt Videospiele als Ergänzung der Erinnerungskultur zu betrachten, werden bis heute Hakenkreuze aus ihnen getilgt

  • Lee Wiegand
  • Lesedauer: 5 Min.

Als 1989 »Der letzte Kreuzzug« über die Kinoleinwände flimmerte, störte sich, wie das in Filmen allgemein kaum jemand tut, niemand daran, dass Indiana Jones, der Titelheld, auf einem von Hakenkreuzflaggen gesäumten Platz in Berlin der Bücherverbrennung beiwohnt. In der deutschen Version des gleichnamigen Point-and-Click-Adventures aus dem Hause LucasArts findet sich genau dieselbe Szene. Allerdings finden sich dort keine Hakenkreuze, auch der Begriff »Nazi« wurde konsequent aus dem Spiel geschnitten.

Fifa 1933
Eine Antwort auf Lee Wiegands Artikel »Hochkultur, das sind die anderen«: Man könnte FIFA 1933 programmieren und sich danach wundern, dass keine überzeugten Antifaschisten aus dem Spiel hervorgehen, obwohl man doch Hitler im Kopfballduell geschlagen hat, findet Ole Nymoen.

Gamern hierzulande ist das Problem hinreichend bekannt: Videospiele, die sich mit der NS-Zeit und dem Zweiten Weltkrieg auseinandersetzen - bekanntestes Beispiel sind Teile des Ego-Shooters »Call of Duty« -, müssen ohne NS-Symbolik auskommen oder sie landen auf dem Index. Das liegt an § 86 StGB, welcher das Verbreiten verfassungsfeindlicher Symbole unterbinden soll. Dafür gibt es nachvollziehbare Gründe: Die NS-Diktatur, ihre Verbrechen und die dafür stehende Symbolik sollen nicht verherrlicht werden.

Natürlich gibt es Ausnahmen, die von der sogenannten Sozialadäquanzklausel geregelt werden: Wenn ein Werk zur Förderung von Kunst und Wissenschaft oder zur politischen Aufklärung beiträgt, ist es möglich, vor deutschen Gerichten unter den genannten Aspekten einen Sonderstatus geltend zu machen. Das passiert zum Beispiel bei Spielfilmen und Fernsehserien immer wieder erfolgreich, schließlich käme niemand auf die Idee, dass »Indiana Jones«, »Inglorious Bastards«, »The Man In The High Castle« oder vergleichbare Filme und Serien den Nationalsozialismus verherrlichen wollen, somit verlangt auch niemand eine digitale Retusche.

Einer solchen Retusche fiel zuletzt das Videospiel »Wolfenstein II: The New Colossus« zum Opfer. In der Originalversion kämpft man als B.J. Blazkowicz, ein US-Soldat polnisch-jüdischer Herkunft, gegen die Nationalsozialisten. Diese haben in der Alternativweltgeschichte, die der Amazon-Serie »The Man In The High Castle« (die in Deutschland ungeschnitten erhältlich ist) nicht unähnlich ist, den Zweiten Weltkrieg gewonnen und die Vereinigten Staaten besetzt, gemeinsam mit Kollaborateuren des Ku-Klux-Klan setzen sie dort den Massenmord an allen vermeintlich Andersartigen fort. Blazkowicz kämpft an der Seite einer nordamerikanischen Widerstandsgruppe nicht nur gegen nicht enden wollende Horden von Deutschen, sondern auch mit persönlichen Tragödien: Sein homophober Vater liefert seine jüdische Mutter an die Nazis aus, die in einem deutschen Vernichtungslager stirbt.

Die »Wolfenstein II«-Fassung, die hierzulande erworben werden darf, driftet dagegen ins Absurde: Blazkowicz kämpft gegen ein namenloses »Regime«, dessen Führer ein »Kanzler« namens »Heiler«(sic!) ist, dessen ikonischer Oberlippenbart dem digitalen Rasierapparat zum Opfer fällt. Sämtliche Verweise auf den Holocaust und andere NS-Verbrechen fehlen. Auch der Antifaschismus verschwindet per Zensur, so dass das Spiel nur noch aus einem banalen Geballer auf austauschbare Bösewichter besteht.

»Wolfenstein II« erzählt eine komplexe Geschichte, sie fordert Gamerinnen und Gamer zu einer Auseinandersetzung und Positionierung heraus, auch zu aktuellen politischen Ereignissen und Entwicklungen, wie die Kontroverse um den antifaschistischen Grundtenor des Spiels in den USA bewiesen hat. Selbstverständlich ist ein solches Szenario (»Was wäre, wenn die Nazis den Zweiten Weltkrieg gewonnen hätten?«) contra facta, dennoch finden sich hier bemerkenswerte Parallelen zu Konzepten, welche im Sinne einer modernen Geschichtsdidaktik auch im deutschen Schulunterricht bereits erprobt sind: Weil es für Schülerinnen und Schüler langfristig demotivierend ist, stets nur historische Fakten auswendig zu lernen, werden sie hier mit historischen Szenarien konfrontiert, als wären diese noch offen und ungelöst, ähnlich einem Rollenspiel. Dies ermöglicht Lehrkräften die Möglichkeit, Schülerinnen und Schüler zu jener Auseinandersetzung im Sinne einer politischen Willensbildung zu ermuntern. Gerade in Anbetracht der deutschen Geschichte ist das sinnvoll. Jungen Menschen sind die Ereignisse vor 70 Jahren oft einfach zu abstrakt und fern. Zeitzeuginnen und -zeugen gibt es nur noch wenige. Videospiele könnten künftig eine Ergänzung einer Erinnerungskultur sein, die über das bloße Erinnern hinausgehen muss.

Kommen wir nun zurück zur Frage, warum man bei Filmen und Serien nur selten ein Problem mit der Darstellung verfassungsfeindlicher Symbolik hat, bei Videospielen dagegen fast immer. Dafür bietet sich der Vergleich zwischen »The Man In The High Castle« und »Wolfenstein II« an. Die einzelnen Episoden der Amazon-Serie haben ohne Probleme von der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) eine Alterseinstufung zwischen 12 und 16 Jahren erhalten. Das Pendant zur FSK im Bereich Videospiele ist die Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK). Beide Institutionen arbeiten nach einem ähnlichen Prinzip: Publisher von Filmen, Serien oder Videospielen reichen ihre Werke ein und stellen sie für eine Prüfung zur Verfügung, die Kontrollgremien prüfen diese und vergeben einen der fünf bekannten Aufkleber: »Ohne Altersbeschränkung«, »ab 6«, »ab 12«, »ab 16« oder »ab 18 Jahren« bzw. »keine Jugendfreigabe«. Sofern ein Werk keine Jugendfreigabe erhält, erfolgt ein weiteres Prüfverfahren, welches dazu führen kann, dass es von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BpjM) indiziert werden kann: das Spiel darf weder verkauft noch beworben werden.

Da die USK in der Praxis generell keine Alterskennzeichnung für Spiele mit verfassungsfeindlichen Symbolen vergibt und Spiele ohne den begehrten Aufkleber kaum verkauft werden können, befinden sich die Publisher in einer Zwickmühle, schließlich wollen sie auch auf dem deutschen Markt Gewinne erzielen. Zwar ist die Selbstkontrolle »freiwillig«, man begünstigt damit aber unter Umständen eine Indizierung. Um also zumindest den roten Aufkleber (»ab 18«) zu erhalten, unterzog der Hersteller Bethesda »Wolfenstein II« einer Selbstzensur und tilgte jede Erinnerung an die Nazis.

Ein Schicksal, das schon viele Spiele ereilte, denn bisher war kein Publisher bereit, den Rechtsweg zu gehen, um einen Präzedenzfall zu schaffen. Prinzipiell wäre hierdurch eine Änderung der Vergabepraxis zu erzwingen. Eine jahrelange Gerichtsverhandlung ist für ein gewinnorientiertes Unternehmen ein kostspieliges Abenteuer. Ohnehin besteht keine große Hoffnung auf Erfolg. Wie die Vergabepraxis der USK hängt auch das mit der gesellschaftlichen Einschätzung von Videospielen im Allgemeinen zusammen. Obwohl sie sich von banalen Pixelabenteuern zu schöpferischen Meisterwerken in Sachen Ästhetik und Inhalt entwickelt haben, gelten sie gemeinhin als »Schmuddelwerke«, mit denen Jugendliche ihre Zeit vergeuden, anders wird auch die Einschätzung eines verstaubten deutschen Richters nicht ausfallen. Hochkultur, das sind die anderen. Obwohl heute wahrscheinlich mehr Menschen Videospiele spielen als ins Kino gehen.

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