Heute werde ich auch eins los!

Ein vier Kilo schwerer Ziegelstein dokumentiert das Lebenswerk des Satirikers und komischen Künstlers Ernst Volland

  • Fritz Tietz
  • Lesedauer: 7 Min.

Musst du auch zu Jörg Schröder?», fragte S., als er erfuhr, dass ich für ein Porträt des 2013 verstorbenen Autors Horst Tomayer Interviews mit einigen seiner Berliner Freunde führen wollte. Tatsächlich hatte ich auch den legendären März-Verleger Schröder angefragt. Aber der lehnte ab. Zu viel zu tun, zu viele Termine. «Ach was, Termine», sagte S., «du hättest ihm Geld bieten müssen!» Damit spielte er zweifellos auf den sagenhaften Geschäftssinn an, dank dem Schröder seiner wirtschaftlichen Misere nach Konkurs und weiteren Schicksalsschlägen seit Jahrzehnten zu trotzen verstand. Ich sagte: «Nein, Schröder nimmt doch von mir kein Geld.»

Und rief den nächsten Tomayer-Kumpel an: Ernst Volland, Jahrgang 1946, lebt seit Ende der 1960er Jahre als Satiriker und Künstler in Berlin. Ob er Lust und Zeit habe. «Ja, komm vorbei. Zehn Uhr. Aber Punkt zwölf muss ich los. Termin in Görlitz. Unaufschiebbar.»

Halb zwölf waren wir durch. Das heißt, Volland war’s, der das Interview abrupt beendete: «Das reicht doch jetzt», sagte er. «Außerdem müssen wir noch ein paar Takte über das hier sprechen.» Er wies auf einen Stapel Bücher, gab mir eins. «Ernst Volland» stand vorne drauf, und es wog bestimmt vier Kilo.

Eine Werkschau. Fast 600 Seiten. Auf dem Innentitel las ich: «Eingebrannte Bilder, Plakate, Cartoons, Buntstiftbilder, Fakes, Dokumente» - «Quasi mein Leben», sagte Volland. «Kostet 44 Euro.»

Ich schlug das Trumm auf. Da, die berühmte Reklameparodie mit dem kleinen Mädchen, erschienen 1980 in der Zeitschrift «Pardon». «Ich trinke Jägermeister, weil mein Dealer zur Zeit im Knast sitzt.» - «Ich dachte, die stammte von Henning Venske», sagte ich. - «Nix da, der war nur Chefredakteur. Die Idee war von mir», sagte Volland.

Ernst Volland war in den 70er und 80er Jahren bekannt in der linksalternativen Berliner Szene. Er malte, zeichnete und fotografierte, schrieb, mischte sich mit seiner Kunst politisch ein. Später gründete er eine Komische-Foto-Agentur. Die Liste seiner Veröffentlichungen ist lang, die stilistische Bandbreite immens. Mehrfach wurde er für seine Fotomontagen und Plakate juristisch belangt. 1982 zerstörte die Berliner Polizei eine seiner Ausstellungen. Und er organisierte einige ausgefuchste Fakes. So den Brief eines Elternpaars, das sich in angeblicher Sorge über das Gottesbild seiner Tochter hochrangigen Geistlichen anvertraute. Deren Antworten machte Volland öffentlich. Und er erfand den Künstler Blaise Vincent, malte schnell ein paar Bilder und zeigte diese als Werke des bis dahin unbekannten französischen Neuerers in einer beachteten Einzelausstellung. Ein Exponat wurde gar in die Sammlung der Berliner Nationalgalerie übernommen. So führte Volland die Kunstszene vor.

All das war nun in diesem Ziegel dokumentiert, und der sah auf den ersten Blick sehr gut aus. Auch roch er sehr gut. Doch Volland war nicht zufrieden. Zu schleppend liefe der Verkauf, kaum Besprechungen. Und die Lesung neulich: schlecht besucht. Sehr ernüchternd finde er das alles und unverständlich: «Ich bin doch in der Linken kein Unbedeutender.»

Der Verlag könne sich keine aufwendigere Reklame für das Buch leisten, so Volland weiter, weshalb er das Marketing selbst betreibe. «Im Moment meine Hauptbeschäftigung. Ziel: 300 verkaufte in diesem Jahr. Gerne mehr.» Seine Vertriebsstrategie: «Freunde und Bekannte anschreiben, um ein Treffen bitten und dann mit genug Büchern im Gepäck da hin. - Klappt ganz gut.» Erst gestern habe er so zwei Exemplare verkauft. «Und bei dem Termin heute werde ich auch eins los. Garantiert.» Er las mir einen Brief an den «Konkret»-Herausgeber Hermann Gremliza vor: Warum sein Buch in Gremlizas Magazin noch nicht erwähnt worden sei. Der Redaktion liege ein Exemplar vor. «Keine Antwort bisher», sagte er kopfschüttelnd, «verstehst du das? Nicht mal ›Konkret‹ will was von mir wissen. Aber Gremliza liest nächste Woche in Potsdam, da spreche ich ihn an.»

Ich blätterte, um meine Ratlosigkeit zu überspielen, in dem Buch herum, registrierte ein paar aus der Zeit gefallene Karikaturen, eine Reihe unscharfer Fotos, und dann fiel mir ein: Das war ja ein astreines Network-Marketing, das Volland da betrieb. Ganz ähnlich, wie meine Freundin Paulina ihre Aloe-Vera-Präparate vertickte: im Verwandten-, Freundes- und Bekanntenkreis, dabei darauf spekulierend, dass man ihr schon deshalb etwas abkauft, um sie nicht zu düpieren. Aus reiner Gefälligkeit. Oder aus Mitleid.

Ich schielte zur Uhr. Zehn vor zwölf. «Musst du nicht zum Zug?», fragte ich. Doch Volland hatte die Ruhe weg. Fing jetzt mit seiner Einkommenssituation an. Die Miete. Zum Glück niedrig. Aber eine miese Rente. Und sonst? «Nix! Mir bleibt gar nichts übrig. Ich muss dieses Buch zu Geld machen. Egal, wie!» Und obwohl er es unausgesprochen ließ, war mir längst klar, was er erwartete. Ich sagte: «Naja, 44 Euro. Die hab’ ich auch nicht mal eben über.» - «Ach was, das Buch müsste viel teurer sein. Bei den Herstellungskosten!» - «Zumal ich gerade einen meiner Brotjobs schmeißen musste.» - «Aber deine Frau? Verdient doch ordentlich, oder?» - «Ordentlich nun gerade nicht.» - «Und ihr habt ein Haus.» - «Ja, zum Glück. Aber das füllt mein Konto aktuell auch nicht. Im Gegenteil. Die Unterhaltskosten.»

Fünf vor zwölf. Um Zeit zu gewinnen, sagte ich: «Ich kann ja mal überlegen, ob ich wo was über dein Buch schreiben kann.» Tatsächlich kannte ich keine Redaktion, die ich würde überzeugen können. Ernst Volland? Wer? Nee. «Vielleicht musst du einen aktuellen Knaller liefern, um besprochen zu werden», unkte ich hilflos, aber mir fiel bloß Vollands Europawahlwerbung für Martin Schulz ein, die ich neulich auf YouTube entdeckte. Erwähnte die aber lieber nicht. - Musste er nicht endlich los?

Und dann hatte er mich. «Ernst, ich würde dir ein Buch abkaufen. Aber die vier Kilo im Rucksack schleppen …» - «Das sagen alle: zu schwer. Kein Problem. Ich kann es dir schicken. Gegen Versandkosten, versteht sich. Wie war deine Adresse noch?» Er notierte sie. Und dann ging alles ganz schnell. Punkt zwölf verließen wir seine Wohnung, fuhren noch eine kurze U-Bahnstrecke gemeinsam.

Ich ärgerte mich schwarz: Ein Interview für ein Projekt, dessen Finanzierung völlig ungeklärt war, mit 44 Miesen absolvieren! Plus Versandkosten! So etwas konnte auch nur mir passieren. Dazu benagte mich dieser schlimme Verdacht: Hatte Volland mir das Interview bloß aus verkaufsstrategischem Kalkül gewährt? War seine wirtschaftliche Lage wirklich so prekär, dass er einen einnahmeklammen Kollegen wie mich anbaggern musste?

Und überhaupt: Wo lebten wir eigentlich? Was waren das für Verhältnisse, die einen Künstler zu solchen Marketendereien nötigen? Was für eine Gesellschaft, die ihm Klinkenputzereien diesen Ausmaßes aufzwingt? Was für ein Staat, der glaubt, sich für seine Künstler solche notdürftigen Bedingungen leisten zu können, anstatt alles dafür zu tun, dass sie neue Werke schaffen, die dann ein funktionierendes Verlags- und Galeriewesen vermarktet - und wenn einer aus Gründen nichts mehr schafft, er keine Armut zu fürchten hat? Und warum begann ich jetzt allen Ernstes darüber nachzudenken, diesen Artikel zu schreiben, nur um mit dem Zeilenhonorar meine Interviewkosten «gegenzufinanzieren», wie man in Arschlochkreisen sagt, zu denen ich offenbar längst gehörte?

Bald darauf kam das Buch. Mit einer persönlichen Widmung und einer Rechnung über 44 Euro, Mehrwertsteuer inklusive - jedoch: ohne Versandkosten. Ich schrieb erst diesen Text. Dann die Überweisung. Und dachte, als meine 44 Euros auf Vollands Konto rübermachten: Vielleicht hätte ich Jörg Schröder tatsächlich Geld bieten müssen.

Nachtrag: Ein paar Tage später erhielt ich diese SMS: «Danke für die Überweisung. Geht’s mit Tomayer voran? Grüße aus Lissabon. Ernst.» Zehn Tage drauf schickte er mir ein Foto, das zwei junge Frauen in nächtlicher Stadtszenerie zeigt, dazu die Message: «Hallo aus Hanoi». Eine Woche später sandte er mir einen Link zu einer Rezension seines Buches von Ex-SPD-Chef Sigmar Gabriel in der «Zeit». Dort ist als Kaufpreis 59 Euro angegeben, und ich fragte mich: Nur ein Irrtum der Redaktion, oder hat Volland es geschafft, diesem Rezensenten 15 Euro mehr abzuknöpfen?

Ernst Volland: Eingebrannte Bilder, Plakate, Cartoons, Buntstiftbilder, Fakes und Dokumente. Hirnkost-Verlag, geb., 592 S., 44 €.

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