Perlen für Nachtschwärmer

Seit 2001 bietet das FilmDebüt dem Regie-Nachwuchs Sendezeit im Ersten. Leider erst zu später Stunde

  • Jan Freitag
  • Lesedauer: 3 Min.

Volljährig - welch ein Sehnsuchtswort! Wer volljährig ist, darf eigene Entscheidungen fällen, und zwar selbst falsche wie Konsumsucht oder Komasaufen, aber auch harmlose. Ewig fernsehen zum Beispiel. Fast scheint es da, das »FilmDebüt im Ersten« geht ins 18. Jahre, und will die bevorstehende Volljährigkeit bewusst bis zum Morgengrauen feiern. Andererseits: brauchte man nicht schon bei der Premiere im Juni 2001 viel Kaffee, um die Erstlingswerke junger Regisseure zu sehen? Mag sein. Was uns die ARD-Programmdirektion in den späten Nachtstunden anbiet, grenzt an Publikums- und Künstlerverachtung.

Thomas Stubers Feuilletons rauf, Festivals runter gefeierte Sozialdrama »Herbert« mit dem furiosen Peter Kurth als Ex-Boxer etwa, der altersgrau und müde in den Trümmern seiner gescheiterten Rotlichtexistenz herumirrt, eröffnet die neue Runde zwar zur dritten Primetime um 22.45 Uhr. Jonas Rothlaenders sensibles Beziehungsdrama »Fado« aber läuft bereits am Ende der Geisterstunde. Und da sind wir noch nicht mal beim Anstoßzeitverlierer schlechthin: »Dinky Sinky«.

Am 27. Juni skizziert der erste Langfilm von Mareille Klein das flächendeckende Phänomen von Frauen rund um die 40, im physiologisch ratsamen Zeitraum Mutter zu werden und jenseits aller Familienplanung die Würde zu wahren. Es ist eine Gesellschaftsstudie von großer Wahrhaftigkeit, hingebungsvoll verkörpert von der Theaterschauspielerin Katrin Röver (»Hindafing«), überdies zu einem Thema, das die ARD ständig freitags zur besten Sendezeit verseift. »Wir haben den Film daher für 20.15 Uhr angeboten«, beteuert die zuständige BR-Redakteurin Claudia Gladziejewski. Die Fernsehfilmkoordination aber zeigt ihn um 1.15 Uhr, also unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Eine Frechheit. Und doch erträglich, irgendwie.

Wie vergleichbare Talentschmieden der Dritten Programme hat das FilmDebüt ja was anderes im Sinn als Einschaltquote und Breitenwirkung. Jedes Jahr Richtung Sommer geht es der ARD ja auch darum, auf dem monokulturell ausgelaugten Acker öffentlich-rechtlicher Eigenproduktionen (vom kommerziellen ganz zu schweigen) mehr als Krimis, Liebeskomödien, Krimis, Sozialdramen und Krimis anzupflanzen. Und das gelingt auch 2018. Zentral, meint Sabine Holtgreve vom federführenden NDR, sei dabei die Tragikomödie. »Ein wahnsinnig anspruchsvolles Fach.«

Den Ernst des Lebens leicht zu erzählen, gelingt Helena Hufnagels Adoleszenzverzögerungsstudie »Einmal bitte anders« (5. Juni, 22.45 Uhr) dabei ebenso versiert wie in der Woche drauf Max Zähles Ganovenstück »Schrotten« mit Frederick Lau und Lucas Gregorowicz als Schrottplatz-Erben auf Abwegen. Der Experimentalplattform so richtig gerecht werden bei aller Kreativität aber doch eher die Computerspielgroteske »Polder - Tokyo Heidi« (12. Juni, 0.35 Uhr). Und wenn der Versuch einer Kleinkriminellen, mit Hilfe von Dominic Raacke als Psychiater von der schiefen Bahn zu kommen, sieben Tage zuvor von Überwachungskameras und Smartphones gefilmt wird, zeigt sich die ästhetische Wucht solcher Filmreihen.

Für die sind zudem nicht nur Hochschulabsolventen verantwortlich, deren »Feuer absolut ansteckend« sei, wie Sabine Holtgreve schwärmt. Auch diesmal liegt der Frauenanteil mit 30 Prozent der zwölf Filme weit überm Schnitt der Männerbranche Film. Mit Budgets weit unter einer Million Euro gelingt den Kinokoproduktionen allerdings umso mehr Bemerkenswertes. Auch wenn es zur Sendezeit im Ersten fast niemand sieht.

FilmDebüt im Ersten, ab 29. Mai. Mehr Infos über die gezeigten Filme und Sendezeiten auf www.daserste.de

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