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Was hilft: EU-Regeln missachten
Über Schuldenberge und wirtschaftspolitische Pläne der italienischen Regierung.
Vor drei Jahren hat die linke Regierung in Griechenland versucht, die Sparpolitik zu beenden, die die EU und Deutschland dem Land aufgezwungen haben und die Millionen Bürger in die Armut gedrängt hat. Der selbstbewusste Finanzminister Yanis Varoufakis wollte sogar die Bundesregierung und EU-Spitzenpolitiker davon überzeugen, dass eine Kehrtwende in ganz Europa nötig ist, damit es wieder aufwärts und den Menschen besser geht. Die Regierung ist damit komplett gescheitert. Nun hat die italienische Regierung aus der rechten und migrantenfeindlichen Lega und der Fünf-Sterne-Bewegung angekündigt, dass sie die Sparpolitik beenden und die EU-Regeln ändern will. Dafür erntet sie viel Kritik, aber auch Zustimmung von Wirtschaftsforschern.
Von den »revolutionären Maßnahmen«, die Italiens Premier Giuseppe Conte diese Woche bekräftigte, sollen allerdings - anders als in Griechenland - auch Reiche profitieren.
Der italienische Staat hat seit vielen Jahren sehr hohe Verbindlichkeiten. Zuletzt betrugen die gesamten Schulden fast 132 Prozent des Bruttoinlandsprodukts - damit waren sie weit höher, als die EU-Fiskalregeln eigentlich erlauben. Demnach soll die Gesamtverschuldung bei maximal 60 Prozent der Wirtschaftsleistung liegen, die jährliche Neuverschuldung soll drei Prozent nicht übersteigen.
Willkürliche EU-Vorgaben
Diese Grenzen, die in den 1990er Jahren willkürlich festgelegt wurden, haben eine enorme Bedeutung erlangt, insbesondere in der Eurozone. Zwar halten viele Staaten die Vorgaben nicht ein, zuletzt lagen zwölf von 19 Euro-Staaten über der 60-Prozent-Grenze, auch Deutschland. Die EU-Kommission kontrolliert aber ständig die Einhaltung der Kriterien und übt mal mehr, mal weniger Druck aus, wenn die Verschuldung höher ist. In der Regel werden die Regierungen dann zu einer Sparpolitik gedrängt oder genötigt.
Der österreichische Wirtschaftsforscher und Finanzfachmann Stephan Schulmeister hält dieses Euro-Regelwerk für »unhaltbar«. Nicht nur, weil Sparpolitik häufig Sozialabbau und Lohnkürzung bedeutet. Sondern auch, weil das offizielle Ziel - solide Staatsfinanzen - so nicht zu erreichen ist. Das zeigt die Erfahrung. So liegt in Griechenland, wo besonders rigide gespart wurde, die Staatsverschuldung mittlerweile bei 179 Prozent. Auch Italien hat sich anders entwickelt, als das EU-Lehrbuch vorsieht.
Italien hatte vor der Jahrtausendwende einen sehr hohen Schuldenstand, der bis 2007 allmählich sank. Nicht weil die Regierungen gespart haben. Die jährliche Neuverschuldung war oft höher als erlaubt. Sondern weil der Staat als Mitglied der Eurozone niedrigere Zinsen zahlen musste. Auch die Wirtschaft wuchs, viel schwächer als in Spanien oder Portugal, aber immerhin. Die Arbeitslosenquote lag 2007 bei rund sechs Prozent und damit niedriger als in Deutschland.
Die Wende
Mit der Wirtschafts- und Finanzkrise 2008/2009 kam die Wende. Das Bruttoinlandsprodukt sackte ab und schrumpfte auch in den folgenden Jahren immer wieder. Mit Ausnahme von Griechenland hat sich seither kein Land in der Eurozone ökonomisch so schwach entwickelt wie Italien. Die reale Wirtschaftsleistung pro Kopf ist noch heute acht Prozent niedriger als vor der Finanzkrise. Immer mehr Beschäftigte verloren ihren Job, unter jungen Menschen ist derzeit jeder Dritte arbeitslos.
Seit 2007 steigt auch die Gesamtverschuldung wieder, die derzeit in deutschen Medien dauernd beklagt wird. Dabei hat Italien keineswegs in großem Stil Kredite aufgenommen, im Gegenteil: Die jährliche Neuverschuldung war in den vergangenen Jahren niedriger als vor der Finanzkrise und lag konstant unter der EU-Grenze von drei Prozent. Das war nicht einfach, schließlich hat der Staat mit Milliardensummen Banken gerettet.
Die Gesamtverschuldung ist dennoch gestiegen. Ein Grund: Das Bruttoinlandsprodukt ist gesunken, und daran wird sie gemessen. Das heißt: Wenn die Wirtschaftsleistung sinkt und die Verschuldung gleich bleibt, steigt die Schuldenquote. Mit seiner Sparpolitik hat Italien den Abschwung verstärkt anstatt die Wirtschaft anzukurbeln mit einer expansiven Politik, mit Investitionen in die Infrastruktur oder großen Konjunkturprogrammen.
Genau das hat Deutschland seit der Finanzkrise getan. Die staatlichen Ausgaben sind kräftig gestiegen, viel stärker als in Italien. Zunächst wurden Konjunkturpakete aufgelegt und Kurzarbeit finanziell unterstützt, später die Mütterrente eingeführt und mehr investiert. Das, sagt Schulmeister, ist ein wesentlicher Grund dafür, dass in Deutschland nach der Finanzkrise die Wirtschaft gewachsen und die Arbeitslosigkeit gesunken ist.
Auch Portugal und Frankreich sind nicht der herrschenden Lehre gefolgt und haben über viele Jahre die EU-Vorgaben ignoriert. Sie haben mehr Geld ausgegeben als eigentlich erlaubt ist und eine höhere Neuverschuldung in Kauf genommen. Die Europäische Zentralbank hat ebenfalls EU-Regeln nicht allzu streng ausgelegt und in großem Stil Staatsanleihen gekauft. Genau diese Verletzungen von EU-Regeln seien der Grund für den jüngsten Aufschwung in Europa, betont der Wirtschaftsforscher. Die Sanierung der Staatsfinanzen gelinge nur, wenn die Wirtschaft wachse, und nicht, wenn sie durch Austeritätspolitik abgewürgt werde.
Wobei auch klar ist: Für Italiens Probleme ist nicht allein das Regelwerk der EU verantwortlich. Ökonomen verweisen zum Beispiel auf Korruption, ineffiziente öffentliche Einrichtungen und mangelnde Förderung produktiver Wirtschaftssektoren. Die EU-Regeln behindern aber Regierungen, in einer Krise das Nötige zu tun. Sie begünstigen Sozialabbau und Lohndruck und laufen damit den Belangen von abhängig Beschäftigten, Arbeitslosen und Rentnern zuwider.
Italiens Vorhaben
Italiens Regierung will sich nun für eine Lockerung der Fiskalregeln einsetzen. Man wolle die öffentlichen Schulden reduzieren, allerdings nicht durch Sparen, sondern durch eine Wachstumsstrategie, erklärte Premier Conte diese Woche.
Konkret ist auf Initiative der Fünf-Sterne-Bewegung ein »Bürgereinkommen« von 780 Euro im Monat geplant. Diese Hilfe für Arme ist an Bedingungen geknüpft: Die Empfänger sind verpflichtet, einen Job zu suchen, wenn ihnen drei Stellen angeboten werden, müssen sie eine davon annehmen. Die Leistungen wären also vergleichbar mit dem deutschen Hartz IV.
Auf Betreiben der rechten Lega sollen zudem die Steuern für Bürger und Unternehmen drastisch gesenkt werden - von derzeit 23 bis 43 Prozent auf 15 bis 20 Prozent. Davon würden vermutlich auch Durchschnittsverdiener profitieren, mit Sicherheit aber Reiche und Firmen, die bisher unter hohe Steuersätze fallen. Das zusätzliche Geld, das Unternehmen dann zur Verfügung stünde, ist nicht an Bedingungen geknüpft.
Die Ökonomin Lucrezia Reichlin von der London Business School hält die Wirtschaftsvorhaben der neuen Regierung insgesamt für unrealistisch. Dies sei aber kein Argument, dass die EU am Status quo festhalte. Sie müsse vielmehr eine Wachstumsstrategie für Italien entwickeln, fordert die frühere Forschungsdirektorin der Europäischen Zentralbank.
Auch Stephan Schulmeister plädiert für eine Änderung der EU-Fiskalregeln. Womöglich sei es taktisch unklug, dass sich Italien wie Griechenland offensiv gegen die EU-Vorgaben stelle - und nicht wie Frankreich oder Spanien ohne große Worte die Regeln missachte und so einen Aufschwung ermögliche. Dennoch ist zu erwarten, dass die EU mit Italien gnädiger umgeht als mit Griechenland. Italien ist die drittgrößte Volkswirtschaft in der Eurozone. Premier Conte erklärte denn auch, er sei überzeugt von der Verhandlungsmacht seiner Regierung.
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