- Politik
- Nazifestival in Themar
So viel Widerspruch
Mehr Nazis als erwartet kamen zum Rechtsrockfestival nach Themar - und sie werden wiederkommen
Am wirkmächtigsten ist der Widerspruch immer dort, wo er mit Hilfe der weißen Kreuze zum Ausdruck gebracht wird. Die tauchen am Wochenende bei den Protesten gegen das zweitägige Neonazi-Festival in der Kleinstadt Themar immer wieder auf. Zunächst am Freitagabend, als etwa 300 Gegendemonstranten aus dem Inneren der Stadt bis auf etwa einhundert Meter vor die Westseite des Festivalgelände der Rechtsextremisten ziehen. Genau 194 der Demonstranten tragen je eines dieser Kreuze: 193 davon erinnern an die Todesopfer rechter Gewalt in Deutschland seit 1990; eines erinnert an den schwarzen US-Bürgerrechtler Martin Luther King, der ebenfalls von einem Rassisten ermordet wurde und den unter anderem der Superintendent des Kirchenkreises Hildburghausen-Eisfeld, Johannes Haak, während eines Friedensgebetes zitiert hatte. Eindringlicher als mit diesen Kreuzen kann man kaum darstellen, wogegen sich der Protest dieser Menschen richtet; für welche Ideologie und welche Taten die stehen, die sich auf einer Wiese am Rande Themars versammeln.
»Die« sind mehr als die Sicherheitsbehörden erwartet hatten – und auch mehr, als der Veranstalter dieses Rechtsrock-Konzerts angekündigt hatte, das wieder als politische Kundgebung getarnt ist. Hatte der Thüringer Verfassungsschutz im Vorfeld des Festivals mit bis zu 1.500 Rechtsextremen gerechnet, die nach Themar kommen würden, sind nach der sehr genauen Zählung der Polizei am Samstag bis zu 2.243 Neonazis auf dem Festivalgelände. Sie kommen nach Angaben der Polizei aus dem gesamten Bundesgebiet. Und aus dem europäischen Ausland, unter anderem aus Frankreich, Italien, Kroatien, Norwegen, Russland, der Schweiz, der Slowakei und Tschechien. Angemeldet waren 800 Versammlungsteilnehmer.
Immerhin treten die Sicherheitskräfte das ganze Wochenende über in Themar mit Macht auf. Vor allem die Polizei hat aus ihren Fehler während des riesigen Rechtsrock-Konzerts von Themar im vergangenen Jahr gelernt. Damals hatten am späten Abend dutzende, vielleicht sogar hunderte Neonazis der insgesamt 6.000 angereisten Rechtsextremen die rechte Hand zum Hitler-Gruß erhoben – ohne, dass die Polizei das über Videomaterial dokumentiert hatte. Und auch ohne, dass die Polizei dagegen eingeschritten wäre. Kaum einer der Neonazis, die sich damals strafbar gemacht haben, ist bis heute belangt worden.
Diesmal jedoch sind Kameraleute der Polizei auf dem gesamten Festivalgelände und auch auf den Zufahrten und -wegen zu sehen. Die Beamten stehen zudem nicht nur um das eigentliche Festivalgelände herum. Zahlreiche Polizisten sind mit ihrer schweren Schutzausrüstung direkt auf dem Festivalgelände postiert. Die Botschaft ist eindeutig: Fühlt euch nur nicht unbeobachtet. Und die Beamten greifen auch tatsächlich ein und durch, wenn sie mutmaßliche Straftaten feststellen. Als am Samstagabend beispielsweise ein indiziertes Lied gespielt wird, entscheidet die Polizeiführung: Der Sänger wird von der Versammlung ausgeschlossen. Mehrere Polizisten führen ihn sofort ab.
Solche Szenen freilich gegeben denen Kraft, die sich in Themar, mitten im ländlichen Raum, gegen die Rechtsextremen stellen. Weshalb es ganz am Ende der Gegendemonstration Applaus für die Polizisten gibt, die nicht nur aus Thüringen, sondern auch aus Baden-Württemberg, Hessen, Sachsen und Sachsen-Anhalt in den Landkreis Hildburghausen gekommen sind. Etwa 1.000 Beamte insgesamt. Solche Szenen freilich haben es möglich gemacht, dass die weißen Kreuze immer wieder aufgetaucht sind am Wochenende in Themar. Am Samstag tragen die Gegendemonstranten jede Stunde bis zu 20 dieser Kreuze auf einmal auf die Ostseite des Festival-Geländes. So entsteht direkt neben dem Rechtsrock-Konzert eine Art kleiner Friedhof. Zum Gedenken. Zum Mahnen.
Widersprüchliche Einschätzungen gibt es dazu, ob es genügend Menschen – gerade aus Themar – sind, die sich an dieser Art des Widersprechens beteiligen. Themars Bürgermeister, Hubert Böse, sagt am Samstagmittag, er sei sehr zufrieden mit der Teilnahme an den Protesten. »Man muss immer froh sein, dass sich Menschen aufmachen, auch die andere Seite von Themar zu zeigen. Ich bin dankbar für jeden Einzelnen.«
Der Sprecher des Bündnis für Demokratie und Weltoffenheit Kloster Veßra, Thomas Jakob, sieht das anders. Als er am Samstagnachmittag auf das kleine Grüppchen blickt, das in diesem Moment vielleicht zweihundert Meter von der Neonazi-Wiese entfernt steht – unter Bannern etwa mit der Aufschrift »Schöner Leben ohne Nazis« –, sagt er, er sei enttäuscht von der Teilnahme der Menschen aus Themar an den Protesten. Tatsächlich seien doch mehr Menschen aus der Umgebung oder aus Erfurt, Jena und Arnstadt zum Protest gekommen als aus der Stadt selbst. »Wenn gleich die Junge Gemeinde aus Jena noch nach Hause fährt, wie viele stehen denn dann noch hier?«, fragt er. Wenn man den Blick über die Straße so schweifen lässt und die Zahlen überschlägt, lautet die Antwort: etwa dreißig Männer und Frauen und Kinder vielleicht.
Einig sind sich Böse und Jakob jedoch darin, dass die Rechtsrock-Konzerte von Themar inzwischen auch den Alltag in der 2.800-Einwohner-Stadt beeinflussen. Selbst dann, wenn keine Neonazis von außerhalb in der Stadt sind. Es gehe, sagen beide, inzwischen ein Riss durch Themar, der diejenigen, die sich aktiv gegen Neonazis stellen, von denen trenne, die der Meinung sind, man solle die Rechtsextremen doch einfach machen lassen, die würden niemandem etwas tun. Letzteres eine Vorstellung, gegen die die Botschaft der weißen Kreuze ausdrücklich spricht. Wie genau diese Polarisierung in Themar sich im Alltag darstellt, das beschreibt Böse so: »Man ist manchmal anderen Menschen gegenüber nicht mehr so unvoreingenommen«, sagt er. »Wahrscheinlich ist man da ein Stück weit vorsichtiger geworden.«
Die bei Weitem größten Widersprüche in Themar am Wochenende tun sich allerdings dort auf, wo am Rande der Gegenproteste oder des Rechtsrock-Konzerts über die Frage gesprochen wird, wer eigentlich dafür verantwortlich ist, dass die Neonazis wieder in die Stadt gekommen sind; dass nicht einmal die strengen Auflagen vor Gericht gehalten haben, die die Behörden für das Festival verhängt hatten. Und dass, nachdem Thüringens Innenminister Georg Maier (SPD) im vergangenen Jahr angekündigt hatte, das Land werde die Kommunen im Freistaat deutlich besser als in der Vergangenheit beraten, um zu verhindern, dass deren Bescheiden immer wieder von Verwaltungsgerichten kassiert werden.
Ehe unter anderem ein von den Behörden verhängtes absolutes Alkoholverbot für die Veranstaltung der Rechtsextremen vom Verwaltungsgericht Meiningen gekippt worden war, hatte der Landkreis versucht, das Rechtsrock-Konzert komplett zu verbieten und dabei mit dem Umweltschutz argumentiert. Erst vor dem Verwaltungsgericht in Meiningen, dann vor dem Thüringer Oberverwaltungsgericht (OVG) in Weimar war der Landkreis damit gescheitert. Wobei vor allem die Begründung der Entscheidung der OVG-Richter sich wie ein Klatsche für die Thüringer Behörden liest. Die hatten den Verbotsbescheid unter anderem mit der Begründung aufgehoben, die darin behaupteten Gefahren für geschützte Tiere seien »ohne Substanz geblieben« – und das, obwohl die Behörden fast ein halbes Jahr lang Zeit gehabt hätten, den Sachverhalt genauer zu erforschen.
Begleitet wird dieses Desaster für die Behörden deshalb am Wochenende beständig von Vorwürfen vor allem gegen Maier. Der habe seine Versprechen aus der Vergangenheit nicht erfüllt, heißt es immer wieder bei den Gegendemonstranten, die – auch das gehört zur Wahrheit – zunehmend auch ihr Vertrauen in die Verwaltungsgerichte im Land verlieren. Und auch Hildburghausens Landrat Thomas Müller (CDU) äußert sich so. Jedenfalls in einem am Samstag veröffentlichten Interview mit. Angesprochen auf Aussagen Maiers und anderen Landespolitiker aus dem Jahr 2017 sagt er dort: »Die bringen auch nichts außer Treueschwüre auf die Beine.«
Am Samstagnachmittag klingt Müller dann allerdings ganz anders. Als er am Rande des Festivalgeländes gemeinsam mit Maier die Arbeit der Behörden in den vergangenen Wochen verteidigt, präsentieren sich beide als gute Partner, zwischen die kaum ein Blatt Papier passt. Dagegen habe man sich vom Thüringer Umweltministerium doch noch etwas mehr Unterstützung in Sachen Naturschutz-Argumentation erhofft, sagt Müller. Die These, Themar 2018 sei für den Staat ein Desaster, weißt Maier scharf zurück.
Und überhaupt: Der Verbotsbescheid gegen das Festival sei handwerklich nicht schlecht gemacht gewesen, beharren Müller und Maier. Dass die Gerichte die Versammlungsfreiheit höher bewerteten als den Naturschutz, müsse man zur Kenntnis nehmen. Allerdings, schiebt Maier nach, sei es doch »menschlich«, dass die OVG-Richter den Bescheid mit Verweis auf angebliche handwerkliche Mängel zurückgewiesen hatten. Sie merkten, sagt Maier, dass ihre Entscheidungen von vielen Menschen im Land kritisiert würden. »Der Druck steigt.« Da würden solche Bescheide dann »an die Behörden zurückgespielt«.
Und so ist bei all den Widersprüchlichkeiten am Ende dieses Protestwochenendes von Themar nur eines gewiss, bleibt nur eines unbestritten: Dass die Rechtsextremen wieder kommen werden. Der Jenaer Soziologe und Rechtsextremismusforscher Matthias Quent fasst das am Samstag in Hörweite des Neonazi-Festivals so zusammen: »Ich sehe derzeit keine Strategie und keine Konzepte, wie man dagegen im Moment erfolgreich vorgehen wollte.« Er war in den vergangenen Monaten immer wieder in Themar, um mit den Widerständigen dort nach Wegen zu suchen, wie man die Neonazis los wird. Dann setzt er nach: »Das ist ernüchternd, ich weiß. Aber das ist so.«
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