- Berlin
- Leerstand in Friedrichshain-Kreuzberg
Bezirk droht Enteignung an
Instrument soll ab Herbst greifen
»Zwangsmaßnahmen werden folgen«, droht der Friedrichshain-Kreuzberger Baustadtrat Florian Schmidt (Grüne) den Eigentümern von Riehmers Hofgarten per Twitter an, falls sie nicht »einen wesentlichen Teil des Komplexes einem gemeinwohlorientierten Eigentümer« überantworten. 60 Prozent Leerstand herrscht inzwischen in jenem Teil der Wohnhöfe aus der Gründerzeit, die einem Eigentümer aus der Türkei gehören. Falls der Eigentümer bis August nicht einlenke, würden Bußgelder fällig, notfalls die Einsetzung eines Zwangsverwalters, sagte Schmidt dem rbb. Ab diesem Zeitpunkt greift das verschärfte Zweckentfremdungsverbotsgesetz, das bei längerfristigem ungenehmigten Leerstand die einer Enteignung nahekommende Einsetzung eines Treuhänders erlaubt.
Rot-Rot-Grün hat vor kurzem das sogenannte Zweckentfremdungsverbot-Gesetz novelliert. Zum 1. August dieses Jahres treten Aspekte der Gesetzesänderungen in Kraft. Jedwede anderweitige Nutzung von Wohnraum als zu Wohnzwecken wird als Zweckentfremdung bewertet.
Durch das Gesetz wird beispielsweise geregelt, wie das Verfahren zur Registrierung einer Wohnung als Ferienwohnung läuft. Dazu gehört, die Ferienwohnung vorab dem Bezirk anzuzeigen. Außerdem ist es bald möglich, dass Verfügungsberechtigte von länger als drei Monate leerstehendem Wohnraum angehalten werden können, diesen dem Wohnungsmarkt zur Verfügung zu stellen. Bei fortwährender Zuwiderhandlung kann ein Treuhänder eingesetzt werden, der Verwaltung und Vermietung übernimmt. Diese Form des Verwaltungszwangs hält der Senat aufgrund der angespannten Wohnungsmarktlage für erforderlich. mkr
Inzwischen gleicht der Kampf um Riehmers Hofgarten einer unendlichen Geschichte. Bereits 2015 standen laut Bezirksamt in dem Komplex an der Yorckstraße 80 Wohnungen leer oder wurden als Ferienwohnungen zweckentfremdet. Im Herbst jenen Jahres beauftragte die Bezirksverordnetenversammlung Friedrichshain-Kreuzberg das Bezirksamt, »Wohnungen, die bekanntermaßen und in größerer Anzahl aus Spekulationsgründen leer stehen, wie zum Beispiel und insbesondere in Riehmers Hofgarten, auf Grundlage des Gesetzes zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in Berlin (ASOG) zur Unterbringung von obdachlosen Geflüchteten und Berliner*innen zu beschlagnahmen, beziehungsweise eine solche Nutzung zu erzwingen«. Das erregte damals zwar bundesweite Aufmerksamkeit, zum Vollzug kam es jedoch nicht.
Bemerkt hatte man im bezirklichen Wohnungsamt den Leerstand schon 2014. Schließlich hatte der Investor einen Antrag zur Genehmigung des Leerstandes gestellt, der bis Ende Mai 2018 gegolten hätte. Grund waren die geplanten Baumaßnahmen. Doch nachdem der Bezirk die einer Baugenehmigung vorangehende Bauvoranfrage wegen viel zu massiver geplanter Volumen ablehnte, wurde die Leerstandsgenehmigung bereits Mitte 2017 zurückgezogen. »Dagegen hatte der Investor Widerspruch eingelegt«, berichtet der für die Durchsetzung des Zweckentfremdungsverbots zuständige Bezirksstadtrat Knut Mildner-Spindler (LINKE) auf nd-Anfrage. »Nachdem es dann wieder mit dem Stadtplanungsamt zu Gesprächen über das Vorhaben kam, wurde der Widerspruch noch nicht zu Ende behandelt«, erklärt Mildner-Spindler. Die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Behörden gestalte sich manchmal schwierig, räumt er ein. Jedoch sei nun eine enge Abstimmung zwischen Schmidt und ihm vereinbart.
»Zwangsgelder sind angedroht und können vollstreckt werden«, heißt es aus dem Wohnungsamt. 10 000 Euro pro Wohnung können verlangt werden, notfalls auch mehrmals, so lange, bis der Eigentümer der Forderung nachkommt. Ob der Investor sich davon beeindrucken lässt, muss sich noch zeigen.
»Notfalls muss ein Treuhänder eingesetzt werden. Das wäre im Falle von Riehmers Hofgarten angebracht«, sagt Wiebke Werner, stellvertretende Geschäftsführerin des Berliner Mietervereins. »Die Treuhänderregelung muss in der Praxis so unterlegt sein, dass sie auch vollziehbar ist«, fordert sie.
»Ein Knackpunkt ist das finanzielle Risiko für die Bezirke«, erklärt Katrin Schmidberger, Wohnungsmarktexpertin der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus. Schon bei Verfahrenskosten im mittleren fünfstelligen Bereich, zu denen es bei den hohen Streitwerten recht schnell kommen kann, droht den zuständigen Ämtern eine Haushaltssperre. Zwar gibt es die prinzipielle Zusage von Senatsseite, diese Kosten per sogenannter Basiskorrektur im Nachhinein auszugleichen, allerdings kann das eine monatelange Hängepartie bedeuten. Und solange eine Haushaltssperre gilt, wird die tägliche Arbeit der betreffenden Behörde ungemein schwerer, selbst der Austausch eines kaputten Druckers wird dann zum Kraftakt. Dementsprechend vorsichtig sind die Behörden bei möglicherweise kostenträchtigen Entscheidungen, zumal noch offen ist, wie Gerichte bei einem neuen Gesetz entscheiden. »Es muss unser politisches Ziel sein, die Bezirke abzusichern«, sagt Schmidberger. LINKEN-Stadtentwicklungsexpertin Katalin Gennburg. »Für enteignungsgleiche Eingriffe braucht es einen Risikofonds«, fordert sie. »Die ohnehin personell noch unterausgestatteten Bezirke müssen befähigt werden, die Abläufe aus dem Zweckentfremdungsverbotsgesetz zu beherrschen«, so Gennburg.
»Es muss insgesamt einen Fonds für den Wohnungsmarkt geben, damit die Bezirke die Sicherheit haben, kurzfristig Geld zu bekommen«, sagt Rouzbeh Taheri vom Mietenvolksentscheid. »Denn die Senatsfinanzverwaltung sagt oft zunächst nein, wenn es um Geld geht«, erklärt Taheri.
Zur Anwendung des Gesetzes braucht es noch eine Rechtsverordnung und Ausführungsvorschriften. »Die Rechtsverordnung ist durch unser Haus fertig erarbeitet und muss nun durch weitere Senatsverwaltungen mitgezeichnet werden«, teilt Katrin Dietl, Sprecherin der Stadtentwicklungsverwaltung, mit. Im Herbst könnte diese nach der Beteiligung der Bezirke verkündet werden. Die Ausführungsvorschriften lägen derzeit in einer ersten Rohfassung vor, heißt es weiter. Da für die Bezirke schon als Entwurf »eine hilfreiche Auslegungs- und Arbeitshilfe darstellen, ist geplant, sie innerhalb der nächsten Tage zunächst zur fachlichen Stellungnahme an sie zu versenden«, so Dietl weiter. Die finale Fassung soll ebenfalls im Herbst vorliegen.
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