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  • Seenotrettung im Mittelmeer

Die letzten Helfer

Kriminalisierung, gesunkenes mediales Interesse und abebbende Spendengelder - diese Organisationen sind trotzdem auf Rettungsmission vor der Küste Libyens

  • Fabian Hillebrand
  • Lesedauer: 6 Min.

Kriminalisierung von Rettungseinsätzen durch europäische Behörden, ein gesunkenes mediales Interesse und abebbende Spendengelder: Es steht nicht gut um die Seenotrettung im zentralen Mittelmeer. Immer weniger Schiffe von privaten Rettungsorganisationen patrouillieren vor der Küste Libyens. Waren es im Sommer 2017 noch über zwölf, ist ihre Zahl auf weniger als die Hälfte gesunken. Und auch von denen sind inzischen einige nicht mehr in der Lage, auf Rettungsmission zu fahren: Die Behörden in Malta und Italien legen immer wieder Steine in den Weg.

Die Europäische Union weigert sich derweil standhaft, legale und sichere Migrationswege nach Europa zu ermöglichen. Das hat zur Folge, dass sich das zentrale Mittelmeer zu einer der Hauptfluchtrouten entwickelt hat. Und zu einer der tödlichsten: Die International Organisation for Migration (IOM) zählt mindestens 792 Menschen, die im Jahr 2018 bereits bei der gefährlichen Überfahrt ums Leben gekommen sind. Es wären noch viel mehr, wenn nicht private Seenotrettungsorganisationen vor den Küsten Afrikas patrouillieren würden. Wer sind die Retter, die allen politischen Widerständen zum Trotz weiter versuchen, Menschen vor dem Ertrinken zu bewahren? Ein Überblick:

Sea-Eye – die Gemäßigten

Der Verein Sea-Eye hat zwei Fischerboote, die einst für die Deutsche Demokratische Republik unterwegs waren, für den Zweck der Seenotrettung umgerüstet. Das Schiff Sea-Eye fuhr 2016 das erste Mal auf Rettungsmission vor der libyschen Küste. Später kam dann noch die Seefuchs dazu, die zwischenzeitlich schon als Museumsschiff ausgestellt worden war. Aufgrund abebbender Spendengelder kann sich der Verein mittlerweile nur noch den Betrieb eines Schiffes leisten.

Beim letzten Einsatz der Seefuchs kam es zu einer brisanten Situation: Die Helfer hatten am Sonntag, den 27. Mai, 138 Menschen aus einem überfüllten Gummiboot gerettet. Die Seefuchs ist aber für den Transport einer solch großen Zahl an Menschen nicht ausgerüstet. Normalerweise übergibt das Schiff Menschen an größere Frachter oder europäische Kriegsschiffe, die die Menschen dann nach Italien bringen. Dieses Mal blieben die Hilferufe unerhört, das Schiff drohte zu kentern. Nur unter erheblichen Schwierigkeiten konnte die Seefuchs in den Hafen von Pozzallo in Sizilien einlaufen.

Sea-Eye kündigte im Juni an, ihre Rettungseinsätze abzubrechen. Das niederländische Verkehrsministerium hat dem Rettungsschiff »Seefuchs« den seerechtlichen Schutzstatus entzogen, teilte die Organisation mit. Vorher hatten italienische Behörden Druck auf die Niederlande gemacht. In einer Pressemitteilung schreibt Sea-Eye von einer regelrechten Jagd auf das Rettungsschiff.

Mission Lifeline – die Angeklagten

Mission Lifeline ist ein Verein aus Dresden. Im Jahr 2017 hat der Verein der Initiative Sea-Watch ein Schiff abgekauft. Das für die Seenotrettung umgebaute Forschungsschiff Lifeline rettet seitdem Geflüchtete vor der Küste Libyens. Das Auslaufen des Schiffes verzögerte sich aber im Jahre 2018. Die ersten Missionen, die für März geplant waren, mussten ausfallen. Werftarbeiten standen an, zum Stichtag waren aber nicht genügend Spendengelder eingegangen. Auf eine der ersten Missionen der Lifeline kam es dann zu einer tagelangen Hängepartie: Erst nach langen Verhandlungen hat die NGO die Erlaubnis erhalten, mit mehr als 230 Geflüchteten in den Hafen der maltesischen Hauptstadt Valletta einzulaufen. Die maltesische Regierung kündigte an, die Aktivitäten von Seenotrettungsorganisationen bis zum Abschluss der Ermittlungen gegen den »Lifeline«-Kapitän zu unterbinden.

Es ist nicht das erste Mal, das die Nichtregierungsorganisation Probleme hat: Weil das rassistische Pegida-Bündnis die Organisation als »Schlepper-NGO« bezeichnete, gab es einen juristischen Streit, der noch immer nicht ausgestanden ist. Zudem ermittelte die Dresdner Staatsanwaltschaft 2017 gegen zwei Mitglieder des Vereins wegen des Verdachts möglicher Einschleusungen. Die Ermittlungen wurden eingestellt, der Start der Missionen verzögerte sich aber auch damals – »bloß, weil irgendein Wutbürger Anzeige erstattet hat«, wie der Vorsitzende des Vereins, Axel Steier, kommentierte. Die Lifeline lief am Mittwoch, den 13. Juni, nach verlängerter Winterpause erneut aus.

SOS Mediterranée / Ärzte ohne Grenzen – die Profis

Das Schiff Aquarius der Hilfsorganisationen SOS Mediterranée und Ärzte ohne Grenzen geriet in den vergangenen Tagen ins Zentrum eines diplomatischen Machtkampfes. Vollkommen mit Geflüchteten überladen wartete das Schiff am Wochenende auf dem Mittelmeer auf die Nennung eines sicheren Zielhafens durch die koordinierende Seenotleitstelle in Rom. Die italienische Regierung verweigerte auf Druck des neuen italienischen Innenministers und stellvertretenden Ministerpräsidenten Matteo Salvini von der rechtsradikalen Lega erstmals einer Hilfsorganisationen das Einlaufen in einen italienischen Hafen. Erst die Zusage Spaniens, die über 600 im Mittelmeer geretteten Geflüchteten aufzunehmen, »um eine humanitäre Katastrophe zu verhindern«, entschärfte die Situation. Aktuell befindet sich das Schiff auf der Überfahrt nach Valencia und sollte dort am Samstagabend einlaufen. Mit einer Transportkapazität von bis zu 700 Geflüchteten ist die Aquarius das größte Schiff unter den Seenotrettern. Die Aquarius operiert wegen den Problemen mit den italienischen und maltesischen Behörden im Moment aus dem fränzösischen Marseille.

Sea-Watch – die Radikalen

Währenddessen zeichnet sich eine weitere Krise ab. Die Sea-Watch 3, betrieben von dem Verein Sea-Watch, wartet vor der libyschen Küste auf Anweisungen, wohin sie 41 lebend aus dem Meer gezogene Menschen und zwölf tot geborgene Geflüchtete bringen kann. Die Rettungsleitstellen in Italien und Malta hätten sich bislang als für nicht zuständig erklärt, hieß es am Mittwoch von Bord. »Der Streit um die Verteilung von Asylbewerbern darf nicht auf Kosten von Menschen in Seenot geführt werden«, sagt Johannes Bayer, Vorsitzender von Sea-Watch und Leiter der aktuellen Mission der Sea-Watch 3. Das Schiff kann mit einer Besatzung von 22 Menschen und einer Länge von knapp 50 Metern bis zu 350 Geflüchtete an Bord nehmen. Sea-Watch steht öffentlich für legale Fluchtwege ein und fordert offene Grenzen für alle.

Proactiva Open Arms – die Festgesetzten

Proactiva Open Arms ist eine Nichtregierungsorganisation aus Katalonien, die als Vereinszweck angibt, im Mittelmeer Menschen aus Seenot retten und auf Ungerechtigkeit aufmerksam machen zu wollen. Im März wurde das Schiff der Organisation von der italienischen Staatsanwaltschaft beschlagnahmt. »Man wirft uns kriminelle Machenschaften sowie die Begünstigung illegaler Migration vor«, schrieb der Gründer der Hilfsorganisation Proactiva Open Arms, Oscar Camps, auf Twitter. Der Beschlagnahmung war eine Konfrontation mit der libyschen Küstenwache vorausgegangen. Die Soldaten hätten die privaten Seenotretter mit Waffen bedroht, berichtete die Hilfsorganisation. Weil sie gerettete Frauen und Kinder 73 Seemeilen vor der libyschen Küste nicht den Libyern übergeben wollten, hätten diese mit Schüssen gedroht. Als die Katalanen dann Italien erreichten, wurde das Schiff konfisziert.

Die katalanische Organisation betrieb vor der Beschlagnahmung zwei Schiffe, die größere Open Arms, die bis zu 250 Geflüchtete mit an Bord nehmen kann, und das Segelschiff Astral, dass nur wenige Geflüchtete temporär aufnehmen kann. Inzischen geht das Schiff wieder auf Mission, mehrere Geflüchtete wurden nach Barcelona gebracht.

… und ein Flugzeug gibt es auch noch

Neben den Rettungsschiffen ist auch die Moonbird vor Ort, um die Seenotrettung zu unterstützten. Das private Suchflugzeug, welches von Malta aus die libysche Küste absucht und Sichtungen an die zentrale Seenotrettungsstelle in Rom weitergibt, wird von der Humanitarian-Pilots-Initiative und Sea-Watch betrieben. Auch das Flugzeug wird inzischen am starten gehindert.

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